15. November 2020

Covid-PCR-Test: Wie empfindlich ist er eigentlich?

PCR-Tests suchen nach einem Schnipsel der Erbsubstanz eines Erregers – wie nach einer Nadel im Heuhaufen. Sie gelten als sehr empfindlich. Viel wurde bisher diskutiert über die möglichen falsch-positiven Resultate der PCR-Tests für SARS-CoV-2. Ich erachte diese Diskussion als müssig: Natürlich können wir bei einer sehr hohen Testaktivität einzelne Personen sehen, die ein falsch-positives Resultat aufweisen. Doch während der epidemischen Phase einer Infektion ist dieses Problem zu vernachlässigen. Ein positives Resultat weist fast immer eine Infektion mit dem Erreger nach. Manchmal wird bestritten, dass ein Erregernachweis eine Infektion bedeutet. Auch dies erachte ich als irrelevant. Eine infizierte Person kann auch symptomfrei sein, aber der Erreger hat sich – das sagt uns die PCR – im Nasenrachenraum der Person vermehrt. Und in der Regel bildet die Person dann auch Abwehrzellen gegen den Erreger. Damit haben wir eine Infektion. Basta.

Erkrankung trotz negativem Test keine Seltenheit
Interessanter scheint mir die Frage, wie empfindlich der Test eine Infektion tatsächlich nachweisen kann. Kein Diagnoseverfahren ist perfekt. Auch der PCR-Test nicht. Tatsächlich können wir bei Personen, die mit Covid-19-Verdacht hospitalisiert werden, in 10 bis 20 Prozent der Fälle, bei denen alle Zeichen und Befunde sehr typisch für eine Infektion sind, den Erreger nicht mittels PCR im Nasenrachenabstrich nachweisen. Oft gelingt ein Nachweis, wenn man den PCR-Test dann in anderen Abstrichmaterialien (Auswurf, Lungenspülflüssigkeit) wiederholt. Diese Problematik ist uns Klinikern in der Medizin allgemein bestens bekannt. Nie würden wir eine Diagnose nur wegen eines einzigen negativen Befunds ausschliessen. Wir kombinieren bei unserer Beurteilung verschiedene Befunde und Symptome zu einer Wahrscheinlichkeit – eine Kernkompetenz der Kliniker.

PCR-Test zur Eindämmung der Epidemie
Aktuell verfolgen wir bei Covid-19 noch immer die Strategie des Containments: Wir möchten möglichst jede weitere Ausbreitung stoppen. Dazu setzen wir u.a. auf eine sehr aktive Testung der Bevölkerung. Wir möchten damit verhindern, dass Personen mit einer Covid-19 Infektion andere anstecken können. Dabei haben wir ein Problem: Wir wissen, dass knapp die Hälfte der Infektionen von Personen ausgehen, die kurz davor stehen, selbst Symptome zu entwickeln. Diese Personen ausfindig zu machen ist praktisch unmöglich. Man müsste die ganze Bevölkerung fast täglich testen. Daher empfiehlt das BAG auch nicht die Testung von symptomlosen Personen. Auch wenn wir es schaffen, die Hälfte der Infektionen durch eine rasche Testung und Isolation der positiv Getesteten zu identifizieren, haben wir schon viel erreicht – jedenfalls in der Theorie.

Wie gut ist die PCR für eine Frühdiagnose
Für eine Früherkennung von Covid-19 müssen wir auch wissen, wie gut der PCR-Test tatsächlich eine Infektion früh entdecken kann. Eine finnische Autorengruppe ist der Frage nachgegangen (Kortela et al, prePrint, 4. Nov.20). Das Problem bei jeder Testevaluation ist der Goldstandard: Womit vergleiche ich das Resultat, was ist meine Referenz (vgl. Bericht infekt.ch). Die Autoren haben diesmal zwei Standards verwendet: Labor und Klinik. Innovativ an der Evaluation war der Langzeitverlauf: Sie haben untersucht, wie die Kliniker nach einem Krankheitsverlauf von einigen Tagen die Krankheit beurteilten. Das heisst, es wurden mehrere Labortests gemacht: Auch wenn ein Test erst beim zweiten oder dritten Mal als positiv beurteilt wurde, gingen die Autoren von einer Infektion aus.

Schwieriger ist es bei den klinischen Diagnosen: Auch wenn man einen Patienten mehrmals beurteilt, kann es sein, dass die Kliniker immer noch davon ausgehen, dass eine Covid-19-Infektion nicht auszuschliessen sei. Die Autoren definierten dazu eine Gruppe mit hohem Krankheitsverdacht – das heisst, der Test wurde evaluiert gegenüber dem Goldstandard «hoher Krankheitsverdacht oder laborbestätigte Infektion».

Für die Festlegung des «hohen Krankheitsverdachts» haben sich die Autoren an einen etablierten klinischen und epidemiologischen Score gehalten. Der Vergleich der Patienten, welche mittels PCR bestätigt waren (n=328) oder nur einen «hohen Krankheitsverdacht» hatten (n=88) zeigte keine wesentlichen Unterschiede der beiden Gruppen (Letztere etwas seltener Fieber, häufiger Raucher).

Sensitivität geringer als bisher angenommen
Die Autoren haben nun die Positivitätsrate der PCR über die Zeit (Anzahl Tage seit Symptombeginn) dargestellt. Die Empfindlichkeit (Sensitivität) gibt dann an, wie viele der Tests zum entsprechenden Zeitpunkt tatsächlich eine Infektion richtig erkannt haben. Als Diagnose wurde wie oben dargestellt einer der beiden Goldstandards Labor (durchgezogene Linie) respektive Klinik oder Labor (punktierte Linie) verwendet (s. Abb.).

Dabei fällt auf, dass die PCR nur gerade drei bis vier Tage nach Symptombeginn eine Sensitivität von 95 Prozent erreicht. Deutlich tiefer, 79 Prozent, ist die Sensitivität, wenn in den ersten 24 Stunden nach Symptombeginn getestet wird. Doch wenn man die Patienten mit hohem klinischem Verdacht in die Evaluation einbezieht, wird der Test am ersten Tag nur gerade bei 50 Prozent positiv. Wird bei allen Patienten der erste Test berücksichtigt, dann war die Sensitivität gegenüber Goldstandard Labor mit 86 Prozent überraschend tief. Sicher sind die beiden Gold-Standards nicht korrekt, der eine überschätzt, der andere unterschätzt die Sensitivität. In der Schlussfolgerung wird eine Sensitivität bei der ersten Testung von 68 Prozent berechnet.

Tiefe Sensitivität bestätigt
Tatsächlich stimmt dieses Resultat auch mit einer anderen Studie überein: Zhang et al. (preprint, 2020) untersuchten Haushaltkontakte von infizierten Personen. Nur bei 64 Prozent der Kontakte, die später eine dokumentierte Serokonversion hatten, konnte die Covid-19-Infektion mittels PCR nachgewiesen werden (Serokonversion: Anstieg der Antikörper nach Infektion, was eine Infektion beweist).

Was heisst dies nun?
Diese Resultate sollten uns nicht überraschen: Jeder Test hat seine Limitationen. Für den diagnostischen Einsatz bestätigt sich die bewährte Praxis: Ein negativer Test kann die Diagnose Covid-19 nicht ausschliessen. Wir müssen weitere Kriterien berücksichtigen. Wir informieren auch alle Mitarbeitenden mit einem negativen Test-Resultat, dass sie sich am Folgetag noch einmal melden sollen, falls die Beschwerden zunehmen.

Wir haben ja schon den Vergleich PCR versus Antigen-Test gemacht (s. infekt.ch). Dort haben wir eingeräumt, dass der Antigen-Test zwar infektiöse Patienten besser identifizieren kann, doch dass auch dieser Test in den Anfangsphasen falsch negativ sein kann. Eine Evaluation des RKI  (s. Nachtrag vom 15.11.20). Die Arbeit aus Finnland zeigt nun, dass die PCR in diesen Frühphasen auch nicht gerade hoch empfindlich ist. Wir setzten daher weiterhin auf den Antigen-Schnelltest, weil wir damit sehr viel schneller ein Resultat haben und dieses auch besser mit der Infektiosität der getesteten Person korreliert.

Und was heisst es für die Teststrategie: Ich denke, diese Resultate müssen sorgfältig berücksichtigt werden. Wenn wir nun davon ausgehen, dass fast die Hälfte der Personen im infektiösen Stadium – weil asymptomatisch – nicht entdeckt werden, und von den symptomatischen (insbesondere wenn gemäss Strategie früh getestet) dann auch noch ein Drittel wegfällt, so vermag unsere Teststrategie nur gerade einen Drittel der infektiösen Stadien zu identifizieren. Angesichts der hohen Kosten der Teststrategie müssen wir die Effizienz der Massnahme vielleicht noch einmal überdenken.

 

Symbolbild: non-covalent hydrogen bonds betwixt base pairs of the DNA-Double-Helix visualized through an electron microscope by quapan