Covid-19: Antigen-Test schlechter als PCR – wirklich?
Wir sind daran, die Antigen-Schnelltests zur Diagnostik einer SARS-CoV-2-Infektion einzuführen. Unsere Erfahrungen mit dem Test sind ausgezeichnet. Doch wir werden immer wieder darauf angesprochen, dass der Test doch gemäss BAG weniger verlässlich sei. Dort steht: „Die Antigen-Schnelltests geben ein weniger verlässliches Resultat an als PCR-Tests“. Viele getestete Personen sind dadurch verunsichert. Daher möchten wir die Situation mit den vorhandenen Studienresultaten etwas klären.
PCR – Der „Gold“-Standard
Als „Gold-Standard“ wird heute die PCR-Testung bezeichnet. Mit „GOLD“-Standard (eigentlich „Good OLD-Standard) bezeichnen wir eine diagnostische Methode, gegen welche wir eine neue Methode (hier der Antigen-Test) austesten. Dabei gehen wir von der Annahme aus, dass der Gold-Standard perfekt ist. Die Effizienz des neuen Tests messen wir dann im Vergleich mit dem Gold-Standard. Dazu verwenden wir Charakteristika wie Sensitivität (Empfindlichkeit) und Spezifität (Falsch-positive Rate).
Antigen oder PCR: Was weisen die Tests nach?
Nun, die beiden Tests weisen nicht das Gleiche nach. Sie haben beide sowohl Vor- als auch Nachteile. Daher ist es durchaus auch möglich, dass der Antigen-Test in gewissen Fragestellungen sogar überlegen sein könnte.
Die PCR weist die Erbsubstanz des Virus nach (RNA). Diese kann in einer Zelle sein, sie kann auch in einem freien Viruspartikel nachgewiesen werden. Die PCR hat den Vorteil, dass sie sehr empfindlich ist, das heisst, bereits bei einer sehr geringen Viruskonzentration fällt der Test positiv aus. Als möglicher Nachteil muss man wissen, dass die PCR-Methode auch bereits „neutralisierte“, also unschädlich gemachte Viren noch nachweist. Das heisst, Tage, ja selbst Wochen nach einer Infektion kann der Test noch positiv ausfallen. Denn mit dem Auftreten von Symptomen bekämpft das Immunsystem ja die Virusinfektion. Dabei kann die Immunabwehr Viren so abschotten, dass sie zwar noch vorhanden sind, aber keine andere Zelle mehr anstecken können.
Der Antigen-Test weist ein viruseigenes Eiweiss nach (sog. „Antigen“). Dieses Antigen wird vom Virus produziert. Eine Voraussetzung dazu ist, dass das Virus sich in ausreichender Zahl im untersuchten Gewebe vermehrt. Damit ist auch bereits klar, dass der Test – im Vergleich mit der PCR-Methode – etwas verspätet positiv wird, aber dann vor allem früher, mit dem Einsetzen einer guten Immunantwort wieder negativ wird.
Evaluation Antigen-Test vs. Gold-Standard
Aufgrund dieser Eigenschaften kann man schon voraussagen, dass der Antigen-Test weniger empfindlich ist als der PCR Test. Und tatsächlich, wenn man nur diese beiden Tests miteinander vergleicht, dann lassen sich mit der PCR-Methode etwa 20% mehr Infektionen nachweisen. Die Frage ist nur, welches Resultat relevanter ist für die Beurteilung, ob eine Person mit positivem Resultat infektiös ist oder nicht.
Wozu brauchen wir einen Test überhaupt
Bevor wir uns entscheiden, welchen Test wir einsetzen, müssen wir auch beurteilen, welche Frage wir beantworten wollen. Meistens möchten wir wissen, ob bei einer Person mit möglichen Symptomen einer Covid-19-Erkrankung eine Infektion vorliegt, mit der sie andere Personen anstecken könnte. Das heisst, die eigentliche Frage ist: Habe ich Anzeichen für eine Infektion im infektiösen Stadium der Erkrankung. Natürlich haben wir im Spital auch andere Fragestellungen: Jemand, der mit einer Lungenentzündung ins Spital kommt, hat vielleicht schon eine Immunantwort aufgebaut und die Infektiosität ist schon abgefallen oder nicht mehr nachweisbar. Dennoch möchten wir für eine optimale Behandlung wissen, ob eine Covid-19-Erkrankung vorliegt. In solchen Situationen braucht es sicher umfassende Abklärungen inklusive PCR-Testungen.
Doch für die meisten Fragestellungen im ambulanten Bereich können wir uns auf die Frage beschränken: Ist die Person mit Krankheitsanzeichen ansteckend für SARS-CoV-2?
Evaluation zur Infektiosität
Wenn wir nun also wissen wollen, ob eine Person mit SARS-CoV-2 infektiös ist oder nicht, dann brauchen wir einen anderen „Gold-Standard“. Und genau das wurde schon untersucht: Pekosz et al. haben genau diese Evaluation durchgeführt. Die Autoren haben nun Abstrich-Proben nicht nur mittels PCR und Antigen-Test untersucht, sondern sie haben zusätzlich diese Proben mit einer sehr empfindlichen Kulturmethode evaluiert. Wenn sie nun diese Kulturresultate als „Gold-Standard“ verwendeten, dann sahen die Resultate ganz anders aus. In der unten stehenden Abbildung links zeigt sich, dass bei fast allen kulturpositiven Proben (rechts) der Antigen-Test positiv ausfiel (rote Punkte), währenddem die Antigen-Tests mit negativem Resultat (grüne Punkte) auch bei den Kulturresultaten negativ waren (links).
Antigen-Test ist der PCR überlegen
Daraus resultiert eine sehr eindrückliche Berechnung von Sensitivität und Spezifität. Es zeigt sich, dass – gemessen am Gold-Standard „infektiöses Virus“ – der Antigen-Test eine sehr hohe Sensitivität hat (96.4%, Abb. rechts), aber auch deutlich weniger falsch-positive Resultate auftreten (Spezifität 98.7% gegenüber 95.5% bei der PCR). Die sogenannte „Accuracy“, die Zuverlässigkeit des Tests, eine Kombination der beiden Messgrössen, war mit 98.4% besser beim Antigen-Test als bei der PCR (96%).
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. So sollte man sich auch nicht auf eine Einzelstudie abstützen. Doch vor wenigen Tagen wurde in einer weiteren Studie berichtet (Jaafar et al, CID, 2020), dass die Analyse mittels PCR, insbesondere bei sehr empfindlich eingestellter PCR (hohe Ct-Werte) durchaus auch positiv ausfallen könne, wenn kein infektiöses Virus vorhanden war. Der Ct-Wert bezeichnet die Anzahl Vermehrungszyklen, die notwendig sind, um ein positives Signal bei der PCR zu erhalten. Je höher der Ct-Wert, desto geringer die Ausgangskonzentration des Virusmaterials.
Eine weitere Publikation hat den Antigen-Test mit der PCR verglichen (Cerutti, J Clin Virol, 2020). Nun wurden aber die Ct-Werte der PCR-Untersuchung bei den Antigen-positiven und –negativen Proben angeschaut (s. untenstehende Abb.). Man sieht hier unschwer, dass alle Antigen-negativen Resultate ausschliesslich bei Proben auftraten, welche auch in der PCR einen hohen Ct-Wert über 26 aufwiesen, also Proben mit geringer Viruskonzentration.
Zusammenfassend dürfen wir somit feststellen: Wir haben ausreichend Evidenz, um zu sagen, dass der Antigentest für unsere relevante klinische Fragestellung – muss ich jemanden mit Symptomen isolieren? – der PCR-Methode überlegen ist.
Konsequenzen für den Praxisalltag
Für den klinischen Alltag leiten wir für uns folgende Regeln ab:
- Eine Diagnostik auf SARS-CoV-2 soll nur bei Personen mit Symptomen durchgeführt werden (diese Voraussetzung galt schon bisher auch für die PCR). Eine Diagnostik bei asymptomatischen Personen ist nicht indiziert (Ausnahmen bei speziellen Ausbruchsabklärungen durch epidemiologisch geschultes Team, z.B. Spitalhygiene)
- Bei symptomatischen Personen kann davon ausgegangen werden, dass der Antigen-Test zur Diagnose einer ansteckenden Covid-19-Infektion überlegen ist.
- Der Antigen-Test ist einfacher, aussagekräftiger, günstiger und ergibt ein Resultat innert 15 Minuten.
- Ausnahmen für den Einsatz der PCR-Methode betreffen vorwiegend hospitalisierte Patienten, insbesondere wenn die Symptomatik bereits länger als vier Tage andauert.
Zukunft Speicheltest?
Für die Anwendung der Schnelltests aus einer Speichelprobe, wie dies kürzlich in einem letter to the editor im New England Joournal of Medicine beschrieben wurde (Wyllie et al, NEJM, 2020), fehlt zurzeit die entsprechende Zulassung für den in der Schweiz verfügbaren Schnelltest. Allerdings könnte damit der Test selbst durchgeführt werden, was sicherlich Vorteile mit sich bringen würde. Der Einsatz könnte aber auch problematisch werden, wenn dann viele Personen ohne Indikation einen Test durchführen würden.
Nachtrag vom 15. Nov. 2020: Publikation Robert Koch Institut vom 4.11.20
Das RKI hat eine Publikation als pre-Print veröffentlicht (Corman et al, 2020, prePrint) in welchem die Sensitivität von sieben verschiedenen Antigen-Schnelltest evaluiert wurden. Dabei wurden die Tests mit definierten Viruskonzentrationen von SARS-CoV-2 sowie anderen Viren untersucht. Die beiden in der Schweiz am häufigsten verwendeten Schnelltests (Abbott und Roche) zeigten dabei eine ausgezeichnete Sensitivität von über 98%.
Von 100 Infektionen mit anderen Respiratorischen Viren haben beide Tests je in einem Fall ein falsch positives Ergebnis gezeigt (RSV resp. Parainfluenza-virus; Spezifität je 99%). Die Resultate, die belegen mit einer neuen Methodik die gute Performance dieser Antigen-Schnelltests.
Foto von mikecohen1872