Aktuelle Lage Mexikanische Grippe – 08. Juli 2009

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Erneut ein neuer Name: nach "Schweinegrippe", "Mexikanischer Grippe", "A/H1N1-Grippe" heisst die neue Influenza-Pandemie nun offiziell "pandemische H1N1 2009" Grippe. Sie werden uns aber verzeihen, wenn wir bei dem in der wissenschaftlichen Literatur verwendeten Begriff der A/H1N1v bleiben – dies verkürzt die Zeit zum Verfassen eines Berichtes deutlich! Die Schlagzeilen der letzten Tage sind nicht prominent gewesen, aber umso bedeutender. Es zeichnet sich un in ganz Europa langsam eine Änderung der Strategie ab, da klar ist, dass die A/H1N1v-Pandemie auch bei uns unausweichlich ist.

 

 

Veränderungen der globalen epidemiologische Lage
Klicken auf Bild zum Vergrössern Nach dem UK meldet nun auch Dänemark eine Änderung der Strategie weg von einer Mitigation-Politik hin zu einem Schutz der meist gefährdeten Bevölkerungsgruppen bei gleichbleibender intensiver Surveillance (ECDC-Report 06.07.2009). In dem UK hat die A/H1N1v-Influenza nun die Epidemieschwelle überschritten. In Dänemark ist dies wie in der Schweiz zwar noch nicht der Fall, doch kann dies auch in allen anderen Regionen Europas für die nächsten Wochen erwartet werden. Wann dies genau in der Schweiz sein wird, kann nicht vorausgesagt werden. Eine Surveillance im Rahmen des Sentinella-Programms des BAG kann die Trends über die nächsten Wochen verfolgen und unsere Antwort auf den A/H1N1v-Pandemie steuern. Die Grafiken geben einen Überblick über die aktuellen kummulativen Fallzahlen wie auch der Neumeldungen nach Weltregion.H1N1_Cases_wkly.jpg

Aktuelle Lage in der Schweiz – Konsequenzen für die Strategie der Mitigation?

In der Schweiz meldet das BAG aktuell 115 bestätigte A/H1N1v-Fälle, wobei in den letzten Tagen jeweils ca. 10-15 neue hinzugekommen sind. Ganz klar zeigt sich hier ein Trend zu einer unaufhaltsammen Ausbreitung. Dementsprechend wird auch erwartet, dass das BAG bald auch von der Mitigation-Strategie abrückt, wie dies Dänemark gemacht hat. Eine Pressekonferenz ist für morgen 9.7.09 angesagt. Dies ist auch im Hinblick auf die Ressourcen des Gesundheitswesens wichtig. Da wir nun wissen, dass das A/H1N1v-Influenzavirus auch die Schweiz erreicht hat und erste sekundäre Übertragungen vorgekommen sind, kann von einer weiteren Ausbreitung ausgegangen werden und eine personal- und zeitintensive Nachverfolgung jedes einzelnen Verdachtsfalles ist bald nicht mehr sinnvoll. Erste Hinweise auf diese Strategieänderung gibt das vom BAG überarbeitete Merkblatt zur Diagnostik der A/H1N1v-Grippe.

War die bisherige Strategie der Eindämmung/Verlangsammung richtig?

Ja. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die initiale globale Eindämmungsstrategie von grossem Nutzen war. Es kann zwar nicht konklusiv bewiesen werden, ob und wie diese Strategie die Ausbreitung der A/H1N1v-Pandemie verzögert hat, aber es ist durch die globale Kollaboration gelungen, wesentliche Daten über die Virulenz und den Krankheitsverlauf zu sammeln, so dass wir nun besser gewappnet für die auch in Europa anlaufende Pandemie sind.

Wer ist am meisten von A/H1N1v betroffen?

Die Daten aus den USA, dem UK und vielen anderen Ländern zeigen, dass v.a. junge Menschen an der A/H1N1v-Grippe erkranken. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass ältere Generationen noch einen gewissen "Nestschutz" durch kreuzreaktive Antikörper aufweisen. Influenza-Stämme mit einigen genetischen Gemeinsamkeiten mit dem jetzigen pandemischen A/H1N1v-Stamm zirkulierten bis in die 50iger Jahre, bevor sie durch andere Stämme (H2N2, H3N2) verdrängt wurden. Jüngere Patienten waren daher noch nie mit einem H1N1-Virus konfrontiert, und es fehlt ihnen daher wohl ein präexistenter Immunschutz. Meist verläuft die A/H1N1v-Grippe gutartig und heilt spontan aus. Daher muss auch von einer beträchtlichen Dunkelziffer von Erkrankten ausgegangen werden, welche nicht in den Statistiken erfasst werden, da die Betroffenen nie einen Arzt aufsuchten. Das hat dafür gesorgt, dass die A/H1N1v-Pandemie medial verharmlost wird. Es darf aber nicht darüber hinweggetäuschen, dass viele junge Leute für das Virus empfänglich sein werden und dementsprechend eine übermässig hohe Mortalitätsrate gerade bei Jungen zu erwarten ist, auch wenn die totale Mortalitätsrate in etwa der einer saisonalen Grippe entsprechen dürfte.

Gibt es Risikofaktoren für einen schwereren Krankheitsverlauf?

Gleichzeitig kristalliesiert sich heraus, dass es besondere Risikopopulationen gibt, welche es zu schützen gilt – zunächst mit einer möglichst raschen Therapie, sobald eine Impfung vorhanden ist mit einer möglichst guten Durchimpfung dieser Risikopopulationen. Fast 3/4 der in den USA Hospitalisierten A/H1N1v-Patienten (welche einen schweren Krankheitsverlauf zeigten) hatten einen oder mehrere dieser Risikofaktoren – aber eben nicht alle! Risikofaktoren für einen schwereren Krankheitsverlauf sind insbesondere chronsiche Herz-, Lungen- (inkl. Asthma) und Nierenerkrankungen, Zuckerkrankheit, alle immunsuppressiven Zustände, aber auch Schwangerschaft. Zudem sind auch Kleinkinder gefährdet. Gerade auch zum Schutz der Kleinsten unserer Gesellschaft wäre eine hohe Durchimpfung der gesammten Gesellschaft wünschenswert, um die Zirkulation des Virus zu vermindern und eine Infektion dieser vulnerablen Menschen zu unterbinden.

Wie sollte unsere weitere A/H1N1v-Strategie aussehen?

Wir denken, die Strategie für den weiteren Verlauf der Pandemie sollte neben der kontinuierlichen Überwachung der A/H1N1v-Aktivität besonders zwei Ziele verfolgen: 1.) die Erfassung von Patienten mit den obgenannten Risikofaktoren, welche Kontakt zu einem Grippe-Erkrankten hatten, und 2.) allgemeine Hygienemassnahmen, welche die Ausbreitung und Ansteckungsgefahr nachweislich vermindern (siehe auch ECDC-Report). Dies bedeutet konkret, dass Personen, welche engen Kontakt mit einem Grippe-Erkrankten hatten, Menschenansammlungen meiden sollten – besonders aber Kindergärten und Krippen, Schulen, Spitäler (ausser für medizinische Versorgung), Alters- und Pflegeheime – unabhängig davon, ob sie an grippalen Symptomen erkrankten oder nicht. Kontaktpersonen von Grippe-Erkrankten sollten sich bei Fieber und/oder Gliederschmerzen/Kopfschmerzen und/oder Husten unverzüglich bei einem Arzt melden, sollten sie an einer chronischen Herz-, Lungen- oder Nierenerkrankung leiden, zuckerkrank sein, oder eine Abwehrschwäche oder eine immunsuppressive Therapie haben. Dasselbe gilt für Kinder unter 2 Jahren und va. auch für Schwangere. Wir denken, dass bei diesen Personen eine rasche Tamiflu-Therapie unter ärztlicher Aufsicht angezeigt wäre. Auf eine exzessive Diagnostik in jedem einzelnen Fall wie auch auf ausgedehnte Umgebungsuntersuchungen wird wohl bald verzichtet werden können, da sich das A/H1N1v-Virus auch bei uns festgesetzt haben wird.

Prävention für alle – sinvoll ja, aber wie?

Das wichtigste ist eine gute Hygiene (siehe auch BAG). Diese kann die Ansteckungsgefahr vermindern. Uns scheint eine angemessene Hygiene zum allgemeinen Anstand zu gehören. Verbote sind diesbezüglich daher wohl fehl am Platz, müssten aber sicherlich erwogen werden, sollte tatsächlich eine Mehrehit der Bevölkerung ohne Anstandsregeln zu beachten Niesen, wie dies eine Umfrage in 20min von heute nahe legt. Die Händehygiene ist ebenfalls entscheidend und sollte ebenfalls zum allgemeinen Anstadsverständnis gehören. Eine prophylaktische Therapie hingegen mit einer verminderten Tamiflu-Dosis macht hingegen keinen Sinn und ist vom virologischen Standpunkt sogar gefährlich. Wir berichteten bereits im letzten Update von dem Auftreten von einer Tamifluresistenz eines A/H1N1v-Stammes unter eben dieser prophyylöaktischen Therapie. Inzwischen sind zwei weitere Fälle von Tamifluresistenz in Asien bekannt geworden, wobei hier die nähreren Angaben über vorgängige Therapien fehlen. Dies ist jedoch Anlass zur Besorgnis und verdient einer intensiven Beobachtung.

Pandemie – betrifft es auch mich?

Die Pandemie ist da – auch in der Schweiz. Wie sie sich entwickeln wird und welche Folgen sie für unsere Gesundheit und unsere Wirtschaft haben wird, und wann dies sein wird, kann nicht beantwortet werden. Persönliche Hygiene ist ein MUSS und sollte von allen beachtet werden – Pandemie hin oder her. Sie kann für jeden Einzelnen entscheidend sein, ob er sich mit dem A/H1N1v-Influenzavirus ansteckt. Aber ob das Virus ev. noch gefährlicher werden könnte – sei es duch genetische Veränderung oder vermehrter Tamiflu-Resistenz, ist ungewiss.

The only thing certain about influenza viruses is that nothing is certain.

 

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