9. Januar 2022

Ist die Covid-Impfung auch für Junge unproblematisch?

Covid verursacht viele Autoimmunphänomene
Impfungen können Nebenwirkungen auslösen. Dies bestreitet niemand. Wovor wir immer Respekt haben, sind Autoimmunphänomene nach Impfungen. Das heisst, die gegen das Viruseiweiss gerichtete Immunantwort bekämpft fälschlicherweise körpereigene Zellen. Nun sehen wir aber ausgerechnet bei an Covid Erkrankten zahlreiche Autoimmunphänomene, welche durch das gleiche Eiweiss (Spike Protein) ausgelöst werden, wie die Autoimmunkrankheiten nach der Covid-Impfung. Da wir davon ausgehen müssen, dass über kurz oder lang jede Person mit SARS-CoV-2 infiziert wird, kann man sich schon die Frage stellen, ob wir uns vor den seltenen Autoimmun-Nebenwirkungen der Impfung zu fürchten brauchen, wenn die für solche Autoimmun-Phänomene gefährdeten Personen auch ohne Impfung später das Problem ereilen wird.

Herzmuskelentzündung – typisches Autoimmunphänomen bei Covid
Die Herzmuskelentzündung, oder Myokarditis, ist ein typisches Beispiel einer Autoimmunerkrankung sowohl bei Covid-Erkrankten als auch bei Geimpften. Insbesondere bei jüngeren Personen, vor allem Männern, wird über ein höheres Risiko einer Myokarditis nach Impfung berichtet. Nun hat eine grosse Studie im Nature Medicine (Patone et al., 14.12.21) das Erkrankungs-Risiko nach Impfung mit demjenigen nach natürlicher Infektion verglichen. Zwei Tage nach der online Publikation titelte das Deutsche Ärzteblatt den Bericht über diese Studie mit: „Myokarditisrisiko bei COVID-19 höher als nach Impfung“. Somit alles klar. Doch schauen wir uns die Studie noch etwas genauer an…

Riesiges Studienkollektiv
Die Autoren der Universität Oxford hatten Zugang zu den nationalen Impfdaten aus England. Ihre Erhebungen basieren auf fast 40 Millionen Impfungen. Gleichzeitig hatten Sie Zugriff auf nationale Diagnosedaten und konnten aufgrund dieser riesigen Datenbasis das Risiko einer Myokarditis nach Impfung oder nach Infektion berechnen. Zusätzlich berechneten die Autoren auch das Risiko verschiedener Impfstoffe, sowohl nach der ersten respektive der zweiten Impfung aber auch in der Altersgruppe der <40-Jährigen. Dann berechneten die Autoren auch das Risiko für eine Herzbeutelentzündung (Pericarditis) oder für Herzrhytmusstörungen (Cardiac arrythmia). Für die beiden letztgenannten Diagnosen fanden sie keinen Zusammenhang mit der Impfung, sodass in der untenstehende Abbildung nur die linke Spalte zu betrachten ist.
In dieser Abbildung findet sich das jeweilige Myokarditis-Risiko nach Covid-Erkrankung ganz unten, dann die entsprechenden Risiken nach Moderna- (mRNA-1,273), Pfizer- (BNT 162b2) und der Oxford-Vektor-Impfung (ChadOx1, in der CH nicht verwendet). In der untersten Zeile wurde das Erkrankungsrisiko in den ersten 4 Wochen nach der Covid-Diagnose (nicht Impfung) aufgetragen. Das Risiko einer Erkrankung (IRR: incidence risk ratio) zu einem gewissen Zeitpunkt wurde mit der durchschnittlich erfassten Häufigkeit einer Myokarditis verglichen. Rot dargestellt sind die Zeitpunkte, bei denen das Risiko einer Erkrankung signifikant höher liegt als zu erwarten wäre.

Vor allem Risiko bei Moderna-Impfung erhöht
Nun zeigt sich (zweite Zeile), dass das Risiko einer Myokarditis besonders nach einer Moderna Impfung signifikant erhöht ist.  Noch höher ist das Risiko nach einer zweiten Impfung (auch bei Pfizer). Vergleicht man die Risiken nun aber mit dem Risiko einer Myokarditis nach Covid-19 Erkrankung (unterste Zeile) so erkennt man sofort, dass das Risiko für eine Myokarditis höher ist nach der Erkrankung, als nach der Impfung. Somit sehen wir den Titel im oben zitierten Bericht im Deutschen Ärzteblatt bestätigt. Soweit, so gut!

Wie war das nochmal mit den jungen Männern?
Aus einer älteren Studie wissen wir, dass das Risiko für Myokarditiden nach (Pfizer)-Impfung bei 16-29-jährigen Männern mit ca. 1:10’000 am höchsten liegt (Witberg et al, NEJM 2021). Die hier diskutierte Studie aus Oxford hat die Risiken auch nach Alter aufgeschlüsselt, doch die Altersgruppe mit 16-40 Jahren etwas weiter gefasst. Doch in der Altersgruppe <40 fällt auf, dass besonders das Risiko einer zweiten Impfung mit Moderna nun deutlich höher liegt als das Risiko einer Myokarditis bei natürlicher Erkrankung (s. untenstehende Abbildung). Die eingangs erwähnte Frage ist somit geklärt: Das Risiko einer Autoimmunkrankheit nach Impfung dürfte bei jungen Menschen leicht höher sein. Doch das Nutzen/Risiko-Verhältnis dürfte sich mit jüngerem Alter ungünstig verhalten.

Hat das Deutsche Ärzteblatt die Situation beschönigt?
Wie man’s nimmt! Für die ganze Population der fast 40 Millionen geimpften ist die Aussage korrekt. Doch wenn wir nur die jungen Menschen unter 40 betrachten, welche zweimal mit Moderna geimpft wurden, sieht es in der Tat nicht so rosig aus. Gemäss dieser Studie haben diese tatsächlich ein grösseres Risiko nach einer doppelten Moderna Impfung an einer Herzmuskelentzündung zu erkranken, als wenn sie eine natürliche Infektion durchmachen würden.
Diese Schlussfolgerung muss man fast aus den vorliegenden im Nature Medicine publizierten Daten ziehen.

Könnten wir das Problem sogar unterschätzen?
Es gibt noch drei Dinge, die wir zusätzlich beachten sollten:

  1. Die hier diskutierte Arbeit hat die Rate der Myokarditiden nach Erkrankung eher überschätzt. Denn wir wissen, dass etwa die Hälfte der Erkrankten so mild erkranken, dass man die Diagnose gar nie gestellt hat. Dies wissen wir aus Seroprävalenz-Studien: Also Studien, bei welchen wir durch Bluttests (Antikörper) eine durchgemachte Erkrankung untersuchen. Da finden wir mindestens die doppelte Anzahl von Personen mit durchgemachter Erkrankung, verglichen mit der Zahl der diagnostizierten Fälle. Das heisst: Wenn die Anzahl der Erkrankten eher doppelt so hoch ist wie in der Studie erfasst, so ist die Rate an Myokarditiden nach Erkrankung nur noch halb so hoch. Damit ist die Nebenwirkungsrate der Impfung noch höher als angenommen.
  2. In der Studie war die Trennlinlie zwischen „jung“ und „alt“ bei 40 Jahren angesetzt. Doch es ist durchaus denkbar, dass das Nutzen/Risiko-Verhältnis für jüngere Menschen eher noch ungünstiger ausfällt.
  3. Wir haben gesehen, dass die Nebenwirkungen nach der zweiten Impfung häufiger auftreten als nach der ersten. Wir haben noch gar keine Daten zur Häufigkeit der Nebenwirkungen nach der Booster-Impfung. Doch gerade bei jüngeren Menschen ohne relevantes Komplikationsrisiko, müssen wir vorsichtig sein, um sicher keinen Schaden anzurichten.

Meine persönliche Schlussfolgerung
Zunächst einmal möchte ich festhalten: Dies ist meine persönliche Meinung, es ist gut möglich, dass ich nicht alle Aspekte berücksichtigt habe. Sicher muss man neben der Myokarditis auch andere Risiken in die Betrachtung einbeziehen. Und auch nach dieser Analyse stelle ich fest, dass die Grundimmunisierung (1. und 2. Impfung) für Erwachsene sicher die beste Prävention darstellt.

Doch aufgrund dieser Daten, welche sich auch mit anderen Beobachtungen deckt, erachte ich es nicht als unproblematisch, wenn wir junge Menschen durch Zertifikatsauflagen nun faktisch zur Impfung und Boosterung zwingen ohne sicher zu sein, dass wir mit der Impfung für jungen Menschen keinen Schaden anrichten. Im Medizinstudium hatten wir noch aus der hippokratischen Tradition gelernt: „Primum nil nocere“, was soviel heisst wie „Erstens nichts schaden“, und in der Fortsetzung: „zweitens vorsichtig sein, und drittens heilen“. Vielleicht sind auch nicht alle Impfungen gleich gut verträglich.

Ich bin sicher, dass ältere Menschen von einer dritten Impfung profizieren können. Doch ob wir wirklich genügend Evidenz haben, um auch für Kinder, Jugendliche und junge Menschen von einem vernachlässigbaren Impfrisiko zu sprechen, wage ich zu bezweifeln. Ein bisschen Sorgfalt und Achtsamkeit lohnt sich auch in unserem Beruf immer noch.

Und zu guter Letzt: „Milde Myokarditis“, gibt es das?
Fast überall, wo heute über die Myokarditis nach Covid-Impfung berichtet wird (z.B. netdoktor.ch), findet man den Hinweis, dass fast all diese Fälle mild verlaufen seien und das Spital bald hätten verlassen können. Doch die Diagnose Myokarditis soll man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich habe diese relativ seltenen Erkrankungen immer als bedrohlich erlebt. Ein Review von Dennert et al. (2008, Eur Heart J) weist darauf hin, dass diese Fälle mindestens 3 Jahre beobachtet werden sollen. Denn gemäss McCarthy et al (2000, NEJM) versterben 15% der Patienten mit Myokarditis nach einem und 45% nach drei Jahren. Bevor wir nun bereits von milden Verläufen sprechen, ist vielleicht Sorgfalt angezeigt.

WICHTIGES UPDATE vom 11.1.22
Ein Leser macht mich gerade darauf aufmerksam, dass die Autoren der Studie aus Oxford an Weihnachten ein Update der Daten auf einem pre-Print server publiziert haben (Patone et al, 25.12.21). Die Autoren haben nun über 40 Millionen geimpfte Personen eingeschlossen und auch Booster-Impfungen erfasst. Für die differenzierte Analyse des Risikos der Booster Impfung waren allerdings nur ausreichend Daten zur Pfizer Impfung vorhanden. Hier zeigte sich auch nach dem Booster noch einmal ein erhöhtes Risiko einer Myokarditis (verglichen zum erwarteten „Durchschnittsrisiko“), fast wie nach der 2. Dosis.

Doch in der nun grösseren Auswertung war auch in der Gesamtpopulation, das heisst in allen Altersklassen, das Risiko einer Myokarditis nach der zweiten Moderna Impfung signifikant höher als nach einer durchgemachten Krankheit. Nach der zweiten Moderna Impfung ist das Myokarditis Risiko um 35 Fälle auf 1 Million Geimpfte erhöht (ein Fall auf ca. 30’000 Impfungen) verglichen mit einem Risiko von 30 Fällen pro Million nach der Erkrankung. Aufgrund der oben geschilderten ungenügenden Erfassung von Erkrankungen, dürfte das Risiko nach Erkrankung eher um 10-20 Fälle pro Million betragen.

In der erweiterten Analyse war weiterhin eindeutig, dass das Risiko für Myokarditiden nach Erkrankung vor allem bei älteren Personen erhöht war. Analysiert man jedoch die Personen unter 40 Jahren, so sieht man weiterhin eine massive Erhöhung des Myokarditis-Risikos nach Moderna Impfung bei Männern.

Die hier gezeigte erweiterte Analyse bestäigt unsere oben gemachten Schlussfolgerungen: Vorsicht bei jungen Menschen ist angezeigt. Und auch die Booster-Impfung kann noch (mindestens beim Pfizer Impfstoff gezeigt) schwere Autoimmunreaktionen auslösen.
Die Autoren haben ihre Resultate in der untenstehenden Abbildung sehr schön zusammengefasst.

balance scale by winnifredxoxo

Literaturangaben