Noch mehr Covid-Fälle ohne Infektionsnachweis?
Kennen Sie den: Dällenbach Kari sucht etwas unter der Strassenlaterne. «Kari», meldet sich ein Fussgänger, «was suechsch?». «Ä Füfliber», meldet dieser. «Wo hesch ne verlore?». «Dört hinde». «Warum suechsch de da?» will der andere wissen. «Wills da Liecht het».
So ist es doch manchmal im Leben. Wir suchen das was wir kennen. So ist es auch mit der Covid-Immuniät. Es wird viel darüber geschrieben. Aber vorwiegend über Antikörper, die uns schützen sollten, aber – so die heutige Meinung – dies unzuverlässig tun. Dass wir uns so sehr auf die Antikörper-Antwort fokussieren, hat wohl auch damit zu tun, dass wir einfache, zuverlässige Nachweismethoden haben. Viel seltener beschäftigen wir uns mit der zellulären Immunität. Vermutlich auch deshalb, weil uns Routinetests fehlen, um diese nachzuweisen. Ich möchte hier eine wichtige Arbeit vorstellen, welche die Bedeutung der zellulären Immunantwort bei Covid-19 hervorhebt. Die Leser erlauben mir einen Exkurs für unsere nicht-Biologen/Mediziner:
Die zelluläre Immunantwort…
gehört wie die Antikörper-Antwort zu unserem erworbenen Immunsystem. Das Immunsystem entdeckt im Verlaufe des Lebens körperfremde Stoffe und baut eine Sammlung von Zellen auf, die sich später an die fremden Stoffe erinnern und eine Abwehr bilden können.
Zu diesen Abwehrmechanismen gehören sowohl die Antikörper als auch die Abwehrzellen. Da Viren sich nur in einer körpereigenen Zelle vermehren können, muss das Immunsystem auch Mechanismen haben, um diese Viren in der eigenen Zelle unschädlich zu machen. Dabei macht das Immunsystem kein langes Federlesen: Es erkennt die vom Virus betroffene Zelle als fremd und zerstört diese mitsamt dem Virus. Soviel zu Prinzip.
Kaum Nachweismethoden
Doch in der Medizin kennen wir praktisch nur den routinemässigen Nachweis von Antikörpern. Diese werden bei einer Infektion mit einem Virus in den ersten Wochen aufgebaut. So können sie bei einer zweiten Infektion rasch eine Schutzbarriere aufbauen. Diese Antikörper lassen sich einfach nachweisen. Oft wird der Nachweis auch dazu verwendet um feststellen zu können, ob eine Person einmal mit dem Virus infiziert wurde (zB. HIV-Antikörper Test). Was wir in der aktuellen Covid-19 Diskussion auch schon oft gehört haben: Antikörper alleine garantieren noch keinen Schutz vor einer Zweitinfektion. Ein Grund, weshalb die Wirkung einer Covid Impfung von einigen Experten in Frage gestellt wird.
Und weshalb messen wir dann nicht die zellulären Abwehrzellen? Ganz einfach: es ist zu komplex! Antikörper sind Eiweisse, man findet sie im Blutplasma. Abwehrzellen, die gegen ein Virus gerichtet sind, muss man unter allen weissen Blutzellen suchen. Um herauszufinden, ob eine Zelle gegen ein spezielles Virus (oder sonst ein Eiweiss) gerichtet ist, muss man die Zelle mit dem viralen Eiweiss im Reagenzglas zusammenführen. Dort bildet die Zelle Abwehrstoffe, die man dann als Nachweis einer spezifischen Immunantwort auswerten kann. Ein Vorgang, der unter experimentellen Bedingungen in Forschungslaboratorien funktioniert, aber kaum im Routinelabor verfügbar ist.
Zurück zur Covid-Forschung
Es wurde in den letzten Monaten in den Medien oft über den Nutzen der Covid-Antikörper-Tests diskutiert. Deutlich weniger wurden über die spannenden Arbeiten zur zellulären Immunantwort bei Covid berichtet. Möglich, dass diese Immunantwort viel wesentlicher ist, als das, was wir mit den Antikörpern beobachten. Aber uns fehlt die «Strassenlampe» um um Genaueres darüber zu erfahren.
Zelluläre Immunantwort häufiger als angenommen
Eine französische Forschergruppe hat nun eine hoch spannende Arbeit als pre-print publiziert (Gallais et al, 22.6.20); klein, aber fein! Wir staunen ja oft, dass bei Ausbrüchen in Familien meist weniger als 30% der Wohnpartner einer infizierten Person angesteckt sind. Die Autoren haben nun acht Wohnpartner von neun (drei davon in derselben Familie) mit Covid-19 diagnostizierten Personen sorgfältig untersucht.
Auch wenn wir eine so kleine Studie vorsichtig interpretieren: Die Autoren machen eine völlig neue Beobachtung: Alle Kontaktpersonen haben einen negativen Virusnachweis aber auch einen negativen Antikörpertest (2 Monate nach Erkrankung mit drei Testverfahren). Doch die Überraschung: Sechs von acht Kontaktpersonen hatten (mit der aufwändigen Methode) eine deutlich positive zelluläre Immunantwort gegen SARS-CoV-2. Dass diese Immunantwort nicht einfach einer vorbestehenden zellulären Kreuzreaktion entspricht, belegen die Autoren durch eine Kontrollgruppe (n=10) in der keiner eine zelluläre Immunantwort gegen SARS-CoV-2 entwickelte.
Der Laboraufwand der Methode erklärt die kleine Fallzahl. Statistisch dürfen wir nicht davon ausgehen, dass drei Viertel aller engen Kontakte eine zelluläre Immunantwort machen. Doch überraschend ist das Resultat schon. Ebenfalls überraschend ist die Beobachtung, dass sechs der Kontaktpersonen trotz negativem Virusnachweis ebenfalls milde, mit Covid-19 vereinbare Symptome hatten.
Indexpersonen alle mild erkrankt
Alle der hier mit positivem SARS-CoV-2 Nachweis untersuchten Personen hatten Symptome, aber sie mussten nicht hospitalisiert werden. Möglich, dass eine milde Erkrankung eher zu einer solchen «abortiven» Form einer Erkrankung führt (kein Virus- und kein Antikörper-Nachweis). Eine der beiden Kontaktpersonen ohne Symptome hatte auch eine zelluläre Immunantwort.
Wie lange dauert diese Immunantwort?
Bei der Antikörper-Antwort auf SARS-CoV-2 wird oft erwähnt, dass die Antwort schon nach 1-2 Monaten nachlässt. Trotz kleiner Studiengrösse sind die Daten zur zellulären Immunologie sehr erfreulich: Das Ausmass der zellulären Immunantwort scheint, soweit sich dies hier in der kurzen Beobachtungszeit von gut 2 Monaten sagen lässt, über diese Zeit nicht abzufallen. Man darf wohl davon ausgehen, dass eine infizierte Person, die ja schon beim Erstkontakt mit dem Virus eine kompetente Immunantwort hat aufbauen können, allenfalls auch bei einem Zweitkontakt gleich «kompetent» oder sogar noch besser auf diese Infektion reagieren dürfte.
Wie verändert diese Arbeit unser Verständnis zu Covid?
Natürlich müssen diese Resultate noch von anderen Gruppen bestätigt werden. Auch die Häufigkeit des Phänomens muss in breiteren Kollektiven untersucht werden. Wie gross ist die Anzahl von Personen, welche im Rahmen von kleinen Ausbrüchen eine zelluläre Immunantwort ohne Antikörper entwickeln? Und wie lange dauert diese Immunantwort? Doch die Arbeit wirft jetzt schon einige Fragen auf:
- Wir haben in den letzten Wochen den Begriff «Herdenimmunität» im Zusammenhang mit Covid-19 vermieden, weil er die Antikörperantwort betrifft und wir überzeugt sind, dass die zelluläre Immunität wichtiger ist. Vielleicht müssen wir auch in der öffentlichen Diskussion mehr über die Bedeutung der zellulären Immunantwort sprechen?
- Die Entwicklung eines routinemässigen diagnostischen Tests wäre wünschenswert.
- Wenn nun nicht rund 30% sondern eine deutlich höhere Anzahl von Kontaktpersonen eine Immunantwort entwickeln? Ist es dann möglich, dass unsere bisherige Abschätzung der bereits infizierten Personen (s. Bericht) noch höher ausfällt als bisher angenommen?
- Wenn wir mit neuen Methoden feststellen, dass noch deutlich mehr Personen mit SARS-CoV-2 infiziert waren als bisher angenommen, so müssten wir auch unsere Befürchtungen zur Mortalität und zur Gefährlichkeit der Erkrankung korrigieren
- Sollten insbesondere milde Erkrankungen häufiger als bisher angenommen zum Aufbau einer Immunantwort führen, so stellt sich nun doch die Frage, ob symptomarme Erkrankungen bei Kindern vielleicht epidemiologisch doch etwas Positives haben könnten.
- Unklar ist auch, inwieweit die hier gezeigte zelluläre Immunantwort bei einer Zweitinfektion die Abwehr der Infektion beschleunigt
Noch ist dies erst ein Lichtblick. Doch vielleicht gibt es bald etwas mehr Licht neben der Laterne.
©by Allie_Caulfield