Atemschutzmasken für alle – Medienhype oder unverzichtbar?
In den letzten Tagen wurde in den Medien sehr viel zur Notwendigkeit des Einsatzes von Masken geschrieben. Viel Widersprüchliches. In der heutigen Sonntagspresse hat BR Berset erneut ein klares Statement dazu abgegeben: Es gebe keinen Grund dafür, dass wir uns nun alle nach Masken umsehen sollten. Und die Evidenz gibt ihm Recht: Chirurgische Masken sind nur sinnvoll für Personen mit Symptomen einer Atemwegsinfektion weil sie die Übertragung von Viren von Kranken auf Gesunde reduzieren.
Ganz nach dem Grundsatz «Follow the Science» möchte ich hier noch einmal die wichtigsten Argumente zusammentragen, welche einem evidenzbasierten Einsatz von Masken zugrunde liegen. Dabei werde ich nicht alle Evidenzen diskutieren, aber mindestens die wichtigsten in Klammern referenzieren. Vor wenigen Tagen wurde dazu auch eine wichtige Arbeit in «Nature Medicine» publiziert.
Übertagungswege
Infektionen der Atemwege werden von Mensch zu Mensch übertragen (Abb.1).
Jeder Erreger hat dabei seine Eigenheiten. Doch grundsätzlich werden alle Erreger durch direkten Kontakt übertragen. Erreger werden zum grössten Teil auf Oberflächen in unserer Umgebung deponiert. Dort bleiben sie zwar nur wenige Minuten bis Stunden infektiös (nicht gleichzusetzen mit nachweisbar [NEJM, 17.3.20]). Doch im Alltag sind wir fortwährend mit unserer Umwelt in Kontakt. Und so gelangen ständig Keime aus unserer Umgebung auf unsere Hände. Dies wäre kein grosses Problem, doch im Alltag fassen wir uns fast ununterbrochen ins Gesicht, 3-4 x pro Stunde, gemäss einer Studie des NIH [CID 2013], zur Hälfte sogar in Nase oder Mund. Diese unbewusste Handlung führt zu einem direkten Kontakt unserer Schleimhaut mit unserer Umwelt und dürfte vermutlich der wichtigste Übertragungsweg für Atemwegsinfektionen sein. Erreger wie Grippe, RSV und Coronaviren gelangen primär über unsere Mund- und Nasenschleimhaut in den Körper.
Übertragung über die Luft
Nicht alle Erreger werden gleich häufig auch über die Luft übertragen. Tuberkulose ist ein Beispiel für ein Bakterium, welches tief in die Atemwege eindringen muss, um dort eine Infektion auszulösen. Hier ist bekannt, dass die Übertragung über sogenannte Aerosole eine wichtige Rolle spielt. Das sind feinste Partikel, kleiner als 5μm, die sich in der Luft halten. Diese können grössere Strecken zurücklegen (>1-2 m). Viel häufiger werden Erreger bei Atemwegsinfektionen über die Luft als über grössere Tröpfchen beim Husten übertragen. Auch Tröpfchen lagern sich in der Nähe der hustenden Person ab und können durch direkten Kontakt weitergetragen werden.
Aufgrund der kleinen Partikelgrösse von Aerosolen verwenden wir im Spital dort, wo die Aerosolbildung wesentlich ist (z.B. Tuberkulose), Masken mit feineren Poren, sog. FFP-2 Masken.
Helfen Masken Luftübertragung zu reduzieren?
Die Frage ist nun, ob Masken die Übertragung über die Luft verhindern können. Und vor allem, ob dieser mögliche Effekt auch relevant sei. Hier stützten wir uns zunächst auf die epidemiologische Analyse der WHO [WHO-report, 28.2.20, Seite 8]. Laut dieser stellten die Epidemiologen fest, dass das Corona-Virus im Wesentlichen durch Kontakt und Tröpfchen übertragen wird. Der Beitrag von Aerosolen bei der Übertragung sei vernachlässigbar. Im Zusammenhang mit COVID-19 bestätigt sich diese Hypothese in zwei Arbeiten [Ong et al 3.3.20 und Ng et al, 16.3.20].
Vergleich Grippe, Coronavirus und RSV (Respiratory Syncytial Virus)
Diese Woche haben Leung et al in «Nature Medicine» eine sehr aufschlussreiche Studie zur schützenden Wirkung von Masken bei Coronaviren publiziert [3.4.20 NatMed]. Hier wurden bei Patienten mit einer Virusinfektion der Atemwege die Konzentration der Viren im Nasensekret und Rachen gemessen. Dann wurden die Patienten während 30 Minuten in einem geschlossenen Raum beobachtet und anschliessend sowohl Tröpfchen wie auch Aerosole gemessen. Speziell ist nun aber, dass die Hälfte der Patienten dabei keine Maske, die andere eine normale chirurgische Maske trug. Dabei zeigten sich zwei interessante Beobachtungen: Erstens fand sich nur bei Coronapatienten, die auch husteten, (anders als bei RSV!) Virus in der Luft (Tröpfchen oder Aerosole). Und zweitens waren die chirurgischen Masken ausreichend, um die Bildung von Aerosolen zu verhindern (Abb. 2).
Empfehlung des BAG weiterhin gültig
Diese Resultate zeigen, dass die Empfehlungen des BAG weiterhin sinnvoll und unsere seit Jahren für Viruskrankheiten der Atemwege etablierten Erkenntnisse auch für Coronaviren anwendbar sind:
- Wer keine Symptome (Husten, Schnupfen) hat, muss zum Schutze anderer auch keine Maske tragen.
- Masken reduzieren das Übertragungsrisiko einer erkrankten Person dann, wenn sie hustet.
- In den Stunden vor Symptombeginn, in der eine Person schon durch Kontakt ansteckend sein kann, wird diese Ansteckung durch das Tragen von Masken nicht verhindert.
- Für andere Personen scheint nach all dem, was wir wissen, das Tragen einer Maske nicht notwendig zu sein.
- Die häufigste Virusübertragung erfolgt durch Kontakt. Hygienemassnahmen bleiben die wichtigste Präventionsmassnahme.
Könnte das Tragen von Masken kontraproduktiv sein?
Es gibt nun mehr und mehr Personen, die einfach zu ihrer eigenen Beruhigung eine Maske tragen, ohne dass es dazu eine gute Begründung gibt. Es könnte ja sein, dass Masken verhindern, dass wir unser Gesicht berühren. Doch wir müssen auch die Frage zulassen, ob uns das Tragen der Maske auch von der Durchführung der regelmässigen Hygienemassnamen abhält – ganz nach dem Motto: „Ich trage ja eine Maske, ich bin geschützt“. Ich kenne keine Studie zu dieser Frage. Aber mindestens eine Beobachtung aus dem Spitalalltag: Ich sehe einige, die jetzt ständig eine Maske tragen. Doch ich beobachte auch regelmässig, dass die meisten Mitarbeitenden das Mittagessen einnehmen, ohne zuvor die Hände zu waschen oder zu desinfizieren, nachdem sie die Maske entfernt haben. Dein Sandwich führt das Virus in deinen Mund! Mit oder ohne Maske: Wir müssen uns daran gewöhnen, unser Hygieneverhalten zu ändern. Alles andere ist Beilage.
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