Zum Welt-AIDS Tag: 30 Jahre AIDS

Am 10. Dezember 1981 hat das New England Journal of Medicine einen Artikel von Gottlieb et al. publiziert, der den Anfang einer ganz neuen Epoche war. Wir wollen uns am heutigen Welt-AIDS-Tag (1. Dezember), dreissig Jahre später einige wichtige Aspekte in Erinnerung rufen. 

Am Anfang: Gay related Immune Deficiency (GRID)
Die ersten Patienten, die an der seltsamen Immunschwächekrankheit mit Lungenentzündungen (Pneumocystis carinii Pneumonie) und Hauttummoren (Kaposi-Sarkom) erkrankt sind, waren alles schwule Männer. Noch bevor man an eine Infektionskrankheit dachte, vermutete man andere Ursachen als Auslöser der Immunschwäche. Amylnitrit, oder Poppers, war nur einer unter vielen Verdachtsmomenten. Auch wenn in der Allgeminebevölkerung noch lange von einer "Schwulenseuche" gesprochen wurde, so haben die Epidemiologen des CDCs innert 1.5 Jahren bereits alle wesentlichen Übertragungswege der neuen Krankheit beschrieben: Blutprodukte, Mutter-Kind, sexualkontakte, gemeinsame Nutzung von Fixernadeln. Damit war auch bald klar, dass ein Virus als wahrscheinlichste Ursache hauptverdächtig war.

Ausgrenzung
Doch obwohl die Virushypothese schnell gestärkt wurde und 1983 mit der Erstbeschreibung des Virus besiegelt wurde, wurden schwule Männer in weiten Kreisen für die Krankheit verantwortlich gemacht. Menschen mit AIDS wurden ausgegrenzt. Wir vergessen die Bilder nicht, der Patienten, die von vermummten Menschen in Ihren Spitalbetten herumgeschoben wurden. Aber auch bei uns war es 4 Jahre später nicht besser. Als bei uns 1985 der erste Patient an AIDS verstarb, wollte niemand eine Autopsie machen und es brauchte viel Überzeugungsarbeit, bis wir Jahre später auch unsere Kollegen davon überzeugen konnten, dass man einen AIDS-Patienten auch auf der Intensivstation behandeln kann, ohne jemanden zu gefährden.

Diese Ängste führten zu massiver Ausgrenzung. Niemand wollte mit HIV-infizierten Menschen zu tun haben. Auch unsere erste HIV-Sprechstunde am Kantonsspital wurde zwar in ihrer Notwendigkieit immer angesehen, aber viele wollten auch mit uns nichts zu tun haben. Mir persönlich hat man zum Beispiel, ich war bis dahin ein regelmässiger Blutspender, nahegelegt, ich solle doch besser kein Blut spenden.

Solidarität
Alle meine Kollegen aus dieser Zeit haben ähnliche Erlebnisse gehabt. Wir haben uns um die HIV-positiven Patienten gekümmert, und wurden Teil der Ausgrenzung. Doch die damals für die Prävention zuständigen Personen am BAG haben früh erkannt, dass die Solodarität mit HIV-Positiven eine ganz wichtige Rolle spielt. Wir müssen einen Menschen mit HIV als Opfer einer schweren Infektionskrankheit erkennen. Erst wenn Menschen mit HIV nicht diskriminiert werden, wird es auch möglich sein, dass sich Menschen auch freiwillig aus Eigeninitiative auf HIV testen lassen. Besser, wir schauen alle hin, als uns entsetzt vom Problem abzuwenden. Die Solidaritätsaktion des Bundes hatte grossen Erfolg. Sie wurde aber auch dadurch erst möglich, dass prominente Menschen sich öffentlich hingestellt hatten und Sätze sagten, wie "Ich heisse André Ratti, bin 42 und habe AIDS" (An das Alter mag ich mich nicht erinnern, aber so ähnlich hat der bekannte TV-Sprecher seine Krankheit am Bildschirm verkündet). Solche Statements zeigten Wirkung. Auch die Tatsache, dass fast jeder jemanden in seinem nahen Umfeld persönlich kannte, der AIDS hatte. 1995 wurde AIDS zur häufigsten Todesursache bei Männern zwischen 25 und 45. Solidarität wurde nötig aber auch möglich.

Das Wunder der Kombinationstherapie
Mag sein, dass viele Leser dies nicht als Wunder bezeichnen würden. OK. Aber dennoch: 15 Jahre nach Erstbeschreibung der Erkrankung gibt es eine Behandlung, mit der man nicht nur das Fortschreiten der Erkrankung stoppen kann, nein. Die Therapie führt auch dazu, dass sich das Immunsystem weitgehend erholt. Ich finde es eine gewaltige Leistung, die nur durch eine sehr konzentrierte, engangierte weltweite Forschungsarbeit möglich wurde. Ich kann keinen anderen Erfolg der Medizin nennen, der in so kurzer Zeit so viel bewegt hat. Keine Heilung, aber doch so, dass man mit der Therapie ein normales Leben führen kann. Oder mindestens könnte. Denn wenn da nicht wieder diese Ausgrenzungstendenzen wären.

Normale Lebenserwartung – weiterhin Probleme
Es ist eindrücklich: Unter einer Therapie – wenn sie rechtzeitig durchgeführt wird – kann der Betroffene medizinisch gesehen ein praktisch normales Leben führen. Seine Lebenserwartung ist kaum messbar eingeschränkt, er kann eine unbehinderte Berufsplanung anstreben, kann ein normales Sexleben haben und Kinder kriegen. Doch die einstigen Errungenschaften im Bereich Solidarität werden gefährdet. Immer mehr Menschen melden Vorkommnisse ungerechtfertigter Sonderbehandlungen oder stossender Diskriminierungen, sobald HIV ins Spiel kommt. Bei der Arbeitssuche, im Sport, bei der Wohnungsvermittlung und in vielen anderen Situationen. Dies hat auch damit zu tun, dass HIV-/AIDS sein Gesicht verloren hat. Heute leben HIV-positive Menschen ein normales Leben , nur einfach versteckt und heimlich. Kaum mehr jemand kennt heute einen HIV-positiven Menschen. Die Konsequenz ist traurig. HIV wird wieder tendenziell zur verdrängten, nicht beachteten Krankheit.

Besinnnen wir uns also am heutigen Welt-AIDS Tag darauf, dass HIV noch immer unter uns ist, dass Menschen mit HIV immer noch nicht die Möglichkeite auf ein ungehindertes Leben haben, obwohl die Erfolge der Medizin dies eigentlich erlauben würden.