PR SHE-Meeting 4

Zurück zur Inhaltsübersicht: Meetingbericht Lissabon 2011

(für weitere Informationen: siehe das Kapitel "HIV und Kontrazeption" im Kongressbericht zur diesjährigen Schlangenbad-Tagung).

Auswirkungen von HIV auf Verhütung, Schwangerschaft, Fertilität

In den meisten Ländern Europas sind 70-80% der Frauen mit neu diagnostizierter HIV-Infektion im Alter zwischen 15 und 50; somit stellen sich Fragen nach Verhütung und Schwangerschaft(swunsch).

Verhütung

Nach wie vor sind Kondome (inklusive das weniger gebräuchliche/weniger akzeptierte Femidom) der einzige Schutz gegen die Übertragung von HIV über Geschlechtsverkehr. Das „Swiss statement“ vom Januar 2008 ist weltweit breit diskutiert. Es sagt aus, dass bei seit 6 Monaten bestehender, kompletter viraler Suppression des regelmässig ärztlich kontrollierten HIV-positiven Partners und Fehlen von STD bei beiden Partnern die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Transmission ohne Kondom extrem tief ist (<1:100`000 pro Geschlechtsakt).

Die Datenlage bezüglich (weiterer) Verhütungsmöglichkeiten ist begrenzt. Die europäischen Guidelines (EACS 2011, BHIVA guidelines 2008) geben diesbezüglich keine Auskunft.
Insbesondere ist wenig darüber bekannt, welche Präferenzen bezüglich antiretroviraler Therapie die Patientinnen selbst haben. Eine Studie an 90 Frauen, die HIV über intravenösen Drogenkonsum erworben hatten, zeigte in 63% regelmässigen Gebrauch von Antikonzeptiva, davon in über 2/3 Kondomgebrauch und in 25% Einnahme der „Pille“ (Carrieri 2006).

Bei den hormonalen Kontrazeptiva sind zahlreiche Interaktionen mit der ART zu beachten, die der folgenden Abbildung "Interaktionen mit der ART bei hormonalen Kontrazeptiva"  zu entnehmen sind. 

 

Zusammenfassung gilt:
alle NRTI, Maraviroc und Raltegravir vermindern die Wirkung der oralen Kontrazeptiva nicht.
Hingegen können Efavirenz, Nevirapin und die meisten Prosteasehemmer zu deutlichem Abfall der hormonellen Wirkspiegel führen, die Antikonzeption ist nicht sicher gewährleistet. Eine Ausnahme bei den Proteasehemmern spielt   Atazanavir; ungeboostet  kann es zu einer erheblichen Erhöhung der Östrogenspiegel führen (cave erhöhte Nebenwirkungen); geboostet mit Ritonavir  kann es mit einem Kontrazeptivum, das mindestens 30 µg Ethinylöstradiol enthält, eingesetzt werden.  Einschränkend muss aber darauf hingewiesen werden, dass diese Angaben auf eher spärlichem Datenmaterial basieren.

In Situationen mit guter ärztlicher Versorgung ist ein IUD (intrauterine device, „Spirale“) eine valable Alternative. Nicht vergessen werden sollte die Möglichkeit der Sterilisation (Mann/Frau). Generell gilt zur sicheren Schwangerschaftsverhütung die Empfehlung einer dualen Kontrazeption, da das Kondom eine Barrieremethode ist, aber einen höheren Pearl Index von 2- 12  hat im Vergleich zu Kontrazeptiva wie Pille und IUD (Pearl Index 0.1).

(Weitere Informationen zu HIV und Kontrazeption: siehe das entsprechende Kapitel im Kongressbericht zur diesjährigen Schlangenbad-Tagung).

Schwangerschaft
Zur Verhinderung der HIV- Übertragung von Mutter auf Kind in der Schwangerschaft und während der Geburt gelten derzeit folgende Massnahmen in Europa als „state oft the art“, wobei jedes Land seine eigenen guidelines entworfen hat:

  • antiretrovirale Therapie/ Prophylaxe während der Schwangerschaft mit dem Ziel der vollen Suppression der Viruslast zum geplanten Geburtszeitspunkt
  • bei Viruslast< 50 Kopien/ml, wenn keine geburtshilflichen Gründe dagegen sprechen und nach Ausschluss einer Hepatitis C, gilt die vaginale Geburt als Regel (in CH; cave: verschiedene nationale Guidelines)
  • Stillverzicht
  • postpartale antiretrovirale Kurzzeitprophylaxe des Kindes (zumeist als Monotherapie ZDV, aber auch kombiniert; für 4-6 Wo). 

So kann eine Reduktion des Transmissionsrisikos auf unter 1-2% erreicht werden. Ein Kaiserschnitt  bringt bei voll supprimierender ART gegenüber einer vaginalen Entbindung keinen Vorteil im Hinblick auf die Transmissionsrate. Hinzu kommt, dass der Kaiserschnitt zu einer eindeutig höheren Morbidität für Mutter und Neugeborenes führt, die bei HIV-infizierten Frauen noch höher ist als bei einem HIV-negativen Vergleichskollektiv (Grubert 2002, Urbani 2001).

Die vaginale Entbindung setzt sich in Europa gemäss den nationalen Guidelines auch zunehmend durch (Boer, 2007; Warszawski 2008; Boer 2010). In der Schweiz gebären derzeit etwas über ein Drittel der HIV-infizierten Frauen auf diesem Weg.

Die 4 möglichen Szenarien bezüglich ART in der Schwangerschaft sind der Abb. unten zu entnehmen (4 mögliche Szenarien der ART in der Schwangerschaft – clicken zum Vergrössern):

Bei der Konferenz entzündete sich eine Debatte um den optimalen Startzeitpunkt für eine ART in Situation 3. Die EACS-Empfehlung mit Start in Woche 28 wurde von vielen LändervertreterInnen als deutlich zu spät angesehen. Begründungen hierfür wurden breit diskutiert. Sie umfassten die Risiken einer Transmission während der Schwangerschaft und bei Frühgeburtlichkeit (< 37 SSW) und den Hinweis, dass häufiger während der Schwangerschaft die Therapie aufgrund von Einnahmeproblemen, Nebenwirkungen etc. modifiziert werden muss (wofür „Reservezeit“ einzuberechnen sei). Zudem zeigen Daten aus der Schweizerischen Mutter-Kind-Kohorte, dass in fast einem Drittel der Schwangerschaften bei HIV-positiven Frauen eine Komplikation nach der 24. SSW angegeben wurde. Die Rate an Frühgeburten (vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche) lag dabei bei 24% in der ART-Ära im Vergleich zu 15 %  vor Anwendung einer antiretroviralen Prophylaxe. Dies sei wahrscheinlich auch auf die kombinierte ART zurückzuführen (Rudin 2010). J. Anderson verwies auf britische Daten, nach denen erst das Vorziehen der ART auf Start in Woche 20 zu ausreichender Viruslastsuppression zum Entbindungszeitpunkt geführt hatte.

In Quintessenz wurde für einen früheren Zeitpunkt der ART in Situation 3 plädiert, allerdings mit vielfältigen nationalen Voten; dabei Start unter Umständen (wenn hohe Viruslast (Read, CROI 2010, Poster 896); Komplikationen zu erwarten…) auch schon deutlich früher, möglicherweise  ab Woche 12, wobei mit den Pädiatern die verlängerte Einwirkung der ART auf das Kind diskutiert werden müsse.

Grundsätzlich gilt: die allertiefsten Mutter-Kind-Übertragungsraten sind in der französischen Mutter-Kind-Kohorte in den Situationen erreicht worden, in denen bereits die Konzeption unter ART erfolgt sei (Warszawski 2008).

Welche ART in der Schwangerschaft? In England und Irland war die  ART nicht mit Häufung kongenitaler Missbildungen verknüpft (Townsend 2009). Viele Länder stützen sich bei der Beurteilung einzelner Medikamente der ART auf die FDA-Klassifikation, die auf bei Menschen und Tieren gewonnenen Teratogenitätsdaten aufbaut (s. Abb.unten: FDA-Einteilung der antiretroviralen Medikamente bei Einsatz in der Schwangerschaft – clicken zum Vergrössern) 

Dort sticht Efavirenz als einziges Kategorie D-Medikament heraus.

Im Antiviral Pregnancy Registry (APR) mit im Zeitraum von 1989 bis 2010 gesammelten, „real life“- Daten sehen einige Zahlen recht anders aus: dort zeigt sich unter Efavirenz keine erhöhte Missbildungsrate im Vergleich zur „natürlich“ auftretenden, bei 2-3% aller Schwangerschaften liegenden Quote. Zudem findet sich unter Didanosin (mit/ohne Stavudin) die einzige dokumentierte Erhöhung der Missbildungsrate auf 4,7%. Gemäss mündlicher Mitteilung hat kürzlich Schweden (auch Holland?) die Restriktionen für Efavirenz in der Schwangerschaft aufgehoben, auch mit Hinweis darauf, dass dies das einzige Medikament der ART sei, in dem Versuche an Affen mit einem Vielfachen der im Menschen applizierten Dosis durchgeführt worden seien.
 

Bei vielen HIV-positiven Frauen stehe nicht mehr die Beratung in der Erstschwangerschaft an; stattdessen handle es sich mittlerweile oft um die 2. oder 3. (und mehr) Schwangerschaft. Die Beratung drehe sich auch zunehmend um Themen wie Ausbildung, wirtschaftliche Absicherung, und zunehmend werde von den Frauen das Thema Stillen als grosses Bedürfnis/Wunsch angesprochen.

In Europa, wo sauberes Wasser und gute Ersatzmilch zur Verfügung steht, wird weiterhin vom Stillen abgeraten. Grund ist einerseits das HIV-Übertragungsrisiko durch Stillen, andererseits das Risiko der ART- Weitergabe über die Muttermilch an das Kind, mit bislang unbekannten potentiellen Langzeit-Auswirkungen.

Die Fertilität HIV-positiver Frauen scheint erst im Rahmen von opportunistischen Infektionen eingeschränkt zu sein. Bei Fertilitätsstörungen sind Behandlungsmöglichkeiten in Europa sehr ungleich verteilt, zum Teil mit erheblichen Erschwernissen.