Narlaprevir – Ritonavir-geboosterter HCV-Proteasehemmer mit Potential zur once daily-Applikation

In einer Phase 1b-Studie wurden Verträglichkeit, Pharmakokinetik und antivirale Aktivität von Narlaprevir (mit und ohne Ritonavir) als Monotherapie und in Kombination mit pegyliertem Interferon-alpha-2b an 40 HCV-Genotyp 1-Patienten (therapie-naiv und -erfahren) untersucht.

Narlaprevir (SCH 900518) ist ein neuer, oraler Inhibitor der Hepatitis C-Virus (HCV) NS3-Serin-Protease, welcher in vitro 10fach potenter ist als die kurz vor der Zulassung stehenden HCV-Proteasehemmer Telaprevir und Boceprevir. Sein Abbau erfolgt vorwiegend über das Cytochrom P450-3A4-System und ist somit durch Ritonavir hemmbar. Das Prinzip der Ritonavir-Boosterung hat sich bei den HIV-Proteasehemmern durchgesetzt, da damit über längere Zeit höhere Medikamentenspiegel erreichbar sind und der Proteasehemmer entsprechend niedriger und öfter dosiert werden muss. Allerdings birgt die Cytochrom P450-3A4-Hemmung auch die Gefahr von Interaktionen mit anderen Medikamenten.

Aus Wirksamkeitsstudien mit Telaprevir war bekannt, dass die minimale Plasmakonzentration (Talspiegel) des HCV-Proteasehemmer etwa 5fach über der EC90 (90% maximale effektive Konzentration) im Replikonsystem liegen sollte. Entsprechend wurde die Narlaprevir-Dosis mit 3x 800mg bzw. 2x 400mg Narlaprevir jeweils in Kombination mit 200mg Ritonavir so gewählt, dass die mittlere, minimale Plasmakonzentration mindestens 5-10fach über der EC90 von 40nM (ca. 28ng/ml) im Replikonsystem liegt.

Studienaufbau:

Die randomisierte, placebo-kontrollierte, doppel-blinde 2-Phasen-Studie wurde in den Niederlanden an 20 therapie-naiven und 20 therapie-erfahrenen (12 Relapser, 8 Nonresponder) HCV-Genotyp-1-Patienten durchgeführt.

Während der 1. Phase wurde Narlaprevir 7 Tage lang als Monotherapie verabreicht (3x 800mg bzw. 2x 400mg mit je 200mg Ritonavir p.o.) und nach einer 4wöchigen Auswaschphase während der 2. Phase für 14 Tage in Kombination mit Peg-IFN-alpha-2b 1,5ug/kg Körpergewicht 1x/Woche s.c.. Unmittelbar im Anschluss an die Phase 2 erhielten alle Patienten eine Standardtherapie mit gewichts-adaptiertem Ribavirin (RBV) 800-1400mg täglich p.o. und Peg-IFN-alpha-2b 1,5ug/kg Körpergewicht 1x/Woche s.c. für 48 Wochen bzw. 24 Wochen, wenn bereits nach 4 Wochen Peg-IFN + RBV keine HCV-RNA mehr nachweisbar war (RVR = rapid virological response) (Therapiestopp bei Nichtansprechen, d.h. HCV-RNA-Abfall <2 log Woche 12 bzw. noch nachweisbare HCV-RNA Woche 24) .

Die 40 Studienteilnehmer (darunter auch 3 Patienten unter Methadon-Substitution; Ausschlusskriterien: HIV- oder HBV-Koinfektion sowie dekompensierte Leberzirrhose) wurden auf 4 Kohorten aufgeteilt: je 10 Therapienaive in Kohorte 1 und 3 sowie je 10 Therapieerfahrene in Kohorte 2 und 4. Innerhalb jeder Kohorte wurden die Patienten im Verhältnis 4:1 auf Narlaprevir (n=8) und Placebo (n=2) randomisiert. Kohorte 1 und 2 erhielten 3x täglich eine  Dosierung ohne Ritonavir und Kohorte 3 und 4 die 2x tägliche Dosierung mit Ritonavir.

Während der beiden Phasen mit Narlaprevir waren die Patienten an einem Zentrum stationär. Die sich daran anschliessende 24- bzw. 48wöchige Standardtherapie mit pegyliertem Interferon-alpha-2b (Peg-IFN-alpha-2b) und Ribavirin wurde an drei verschiedenen Zentren ambulant durchgeführt.

Pharmakokinetik:

Peg-IFN-alpha-2b hatte bei Therapienaiven und Therapieerfahrenen keinen Einfluss auf den Narlaprevir-Spiegel. Dagegen war die Narlaprevir-Elimination bei gleichzeitiger Ritonavir-Einnahme erwartungsgemäss langsamer. Im Vergleich zur Narlaprevir-Monotherapie war am Tag 14 der Phase 2 in Gegenwart von Peg-IFN-alpha-2b und Ritonavir die AUC (area under the curve) bei Therapienaiven auf das 7,6fache und bei Therapieerfahrenen auf das 7,1fache erhöht.

Resultate:

Die 7tägige Monotherapie mit Narlaprevir (mit und ohne Ritonavir) resultierte sowohl bei Therapienaiven als auch bei Therapieerfahrenen in einem raschen und anhaltenden Abfall der HCV-RNA um durchschnittlich mindestens 4 log U/ml (vgl. Abbildung A: dunkelblaue Dreiecke = Placebo (n=8), grüne Quadrate: Kohorte 4 (therapie-erfahren, 2x tgl. Narlaprevir mit Ritonavir; n=8), hellblaue Dreiecke: Kohorte 2 (therapie-erfahren, 3x tgl. Narlaprevir ohne Ritonavir; n=8), orange Kreise: Kohorte 3 (therapie-naiv, 2x tgl. Narlaprevir mit Ritonavir; n=8), violette Raute: Kohorte 1 (therapie-naiv, 3x tgl. Narlaprevir ohne Ritonavir; n=8).

Während der 4wöchigen Auswaschphase kehrte die Viruslast in allen Therapiegruppen zu baseline-Werten zurück. Die anschliessende 14tägige Kombinationsbehandlung mit Narlaprevir +/- Ritonavir und Peg-IFN-alpha-2b bewirkte in allen Kohorten einen erneuten HCV-RNA-Abfall um mindestens 3 log U/ml (mehrheitlich 4-5 log U/ml), wohingegen mit Peg-IFN-alpha 2b allein (Placebo-Gruppe, dunkelblaue Dreiecke) lediglich eine Reduktion der HCV-RNA um durchschnittlich 0,45 log U/ml erreicht werden konnte (vgl. Abbildung B, Legende wie oben).

Bei >=50% (19/32) der mit Narlaprevir behandelten Patienten (versus 0/8 der nur 2 Wochen mit Peg-IFN-alpha-2b-Monotherapie behandelten Patienten) war nach der Phase 2 die HCV-RNA bereits nicht mehr nachweisbar, d.h. <25 U/ml.

Im Anschluss an die Narlaprevir-Behandlung erreichten 81% (13/16) der Therapienaiven und 38% (6/16) der Therapieerfahrenen (5 ehem. Relapser und 1 ehem. Non-Responder) mit einer 24- bzw. 48-wöchigen Standardtherapie (je nach RVR und Therapienaivität) mit Ribavirin und Peg-IFN-alpha-2b ein anhaltendes Therapieansprechen (SVR = sustained virological response, d.h. auch 6 Monate nach Therapieabschluss nicht nachweisbare HCV-RNA), verglichen mit 38% (3/8) der Patienten ohne Narlaprevir-Vorbehandlung (3/4 der Therapienaiven und 0/4 der Therapieerfahrenen) (Placebo-Gruppe).

Resistenzen:

Vor Therapie-Beginn waren keine Narlaprevir-Resistenzen nachweisbar. Unter Narlaprevir-Monotherapie bzw. unter der Kombination Narlaprevir plus Peg-IFN-alpha-2b kam es jedoch bei 5 Patienten zur Resistenzentwicklung (Loci: V36, R155, A156), was in 4 Fällen einen virologischen Breakthrough und in einem Fall Nonresponse zur Folge hatte.

Nebenwirkungen:

Die Verträglichkeit von Narlaprevir war gut (keine schweren Nebenwirkungen, keine Dosisreduktionen nötig, keine Therapieabbrüche). Am häufigsten wurden unter Narlaprevir-Monotherapie über gastrointestinale Nebenwirkungen berichtet (Diarrhoe, Abdominalbeschwerden) (25/32 (78%) der Narlaprevir-Patienten versus 4/8 (50%) der Placebo-Patienten). In der Phase 2, d.h. bei gleichzeitiger Gabe von Peg-IFN-alpha-2b standen erwartungsgemässe grippeähnliche Nebenwirkungen im Vordergrund (30/32 (94%) der Patienten mit Narlaprevir versus 6/8 (75%) der Patienten mit Placebo). Gastrointestinalbeschwerden wurden in der Phase 2 von 24/32 (75%) der mit Nalaprevir behandelten Patienten, jedoch von keinem der mit Placebo behandelten Patienten beklagt. Das Nebenwirkungsprofil wurde durch die gleichzeitige Gabe von Ritonavir nicht signifikant verändert.

Diskussion/Limitationen/Ausblick:

Die HCV-Proteasehemmer der 1. Generation (Telaprevir und Boceprevir) wurden in den Zulassungsstudien PROVE bzw. SPRINT während mindestens 12 Wochen in Kombination mit der bisherigen Standardtherapie mit Peg-IFN und Ribavirin verabreicht. Man musste erkennen, dass weder Peg-IFN noch Ribavirin verzichtbar waren, weil sonst Relapse- und Resistenzentwicklungsrate massiv ansteigen. Die Dreierkombination Narlaprevir (plusminus Ritonavir), Ribavirin und Peg-IFN wurde in der aktuellen Studie noch nicht untersucht. Gegenwärtig wird in einer Phase 2a-Studie allerdings folgendes evaluiert: 1) Ausdehnung der Narlaprevir-Behandlung auf 12 Wochen, 2) 1x tägliche Dosierung von Narlaprevir 200mg bzw. 400mg in Kombination mit low-dose Ritonavir (100mg) und 3) Kombination von Narlaprevir mit Peg-IFN-alpha-2b und Ribavirin (Vierling, Hepatology 2009).

Mittlerweile ist mit TMC435 ein weiterer HCV-Proteasehemmer in der Pipeline, welcher auch ohne Ritonavir-Boosterung 1x täglich dosiert werden kann (Reesink, Gastroenterology 2010).

Der Ritonavir-Booster-Effekt auf Narlaprevir ist auf jeden Fall bei HIV-Koinfizierten zu berücksichtigen, welche zu Beginn der HCV-Therapie bereits unter einer Ritonavir-haltigen HIV-Therapie stehen.

Quelle: Bruijne, Hepatology 2010;52:1590-1599