Prävention für Menschen mit HIV und für sero-differente Paare

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Inhaltsübersicht: Kongressbericht Wien 2010Verschiedene Präsentationen widmeten sich der Prävention für Menschen mit HIV (Positive Prevention) und der von sero-differenten Paaren sowie deren Perspektiven. Hier eine kleine Zusammenfassung.

Die Botschaft, welche sich wie ein roter Faden durch die Präsentationen zog, wurde bereits an der Eröffnung von Julio Montaner folgendermassen formuliert: „It is no more treatment and prevention, now treatment is prevention!“ Es ging aber nicht nur um die Möglichkeiten der ART als Präventionsmittel. Neu war auch der Konsensus, dass Forscher aus verschiedenen Bereichen zusammen arbeiten sollten, um die Bedeutung und Umsetzung von kombinierten biomedizischen, strukturellen und verhaltensorientierten Präventionsinterventionen in verschiedenen Weltregionen zu diskutieren.
Positive Prevention gestern und heute
Jeffrey Fisher (USA) leitete mit einem Überblick über die Präventionsarbeit für Menschen mit HIV ins Thema ein (MOAC0101). Gemäss seinen Ausführungen wurden Menschen mit HIV bis ins Jahr 2000 kaum als Zielgruppe für die Prävention beachtet. Danach wurde diese Gruppe vor allem durch Verhaltensinterventionen darin unterstützt, Transmissionen zu verhindern. In Metaanalysen (Crepaz, 2006; Johnson 2006) wurde die Wirksamkeit solcher Programme nachgewiesen. Diese Studien wurden meist in Gruppen und ausserhalb der klinischen Betreuung durchgeführt. Fisher weist auf den aktuellen Bedarf hin, eine nächste Phase in der so genannten „Positive Prevention“ einzuleiten. In dieser Phase sollten verschiedene Ansätze der Prävention, wie zum Beispiel verhaltensenorientierte und biologische, miteinander verbunden werden. Das bedeutet, dass Präventionsinterventionen systematisch in den klinischen Alltag integriert werden sollten, damit beispielsweise die antitretrovirale Behandlung mit Verhaltensinterventionen im Bereich der Medikamenten-Adherence und des Sexualverhaltens kombiniert werden können. Zudem sollten – gemäss Fishers Modell – Präventionsinterventionen bei der Testung beginnen und sich über den ersten medizinischen Kontakt bis hin zur Langzeitbetreuung systematisch hindurch ziehen. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit von Fachpersonen, die bisher auf einen Bereich und eine Präventionsstrategie spezialisiert waren.
 
Auch Vuyiseka Dubula (Südafrika) als Repräsentantin der Menschen mit HIV im South African National AIDS Counsil, forderte eine neue Phase der „Positive Prevention“ (MOPL0101). Sie sieht darin vor allem das Recht auf Gesundheit, Menschenwürde (Dignity) und Prävention für alle Menschen mit HIV. Dabei betonte sie einerseits, dass die Prävention der HIV-Transmission die Verantwortung der gesamten Bevölkerung ist, andererseits bräuchten Menschen mit HIV jedoch den Zugang zur Therapie, zur Prävention und zur Reproduktion, um diese Verantwortung wahrnehmen zu können. Barrieren sieht sie auf verschiedenen Ebenen: so kritisiert sie zum Beispiel aktuelle Diskussionen in der EU über längere Patente für Medikamente oder die nach wie vor bestehende Kriminalisierung der HIV-Transmission, Homosexualität oder Sexarbeit in vielen Ländern.
 
Perspektiven von Betroffenen zum Umgang mit Risiken
Ein ganzes Symposium widmete sich den Bewältigungsstrategien und Lebensperspektiven von Paaren mit sero-differentem HIV Status. Ein Thema, welches im weiteren Sinne sicher auch unter die Prävention bei Menschen mit HIV eingeordnet werden kann.
 
Eine Studie, welche für die Schweiz von besonderer Bedeutung sein dürfte ist die der Australierin Asha Persson (MOSY1006). Sie führte qualitative Interviews mit 20 sero-differenten heterosexuellen Paaren zu deren sexuellem Verhalten und dem Einfluss des EKAF-Statements auf dieses Verhalten. Dazu verglich sie Interviews, die vor dem EKAF-Statement (2004/2006) durchgeführt wurden mit solchen, die danach durchgeführt wurden. In beiden Phasen wurde häufig ohne Kondome verkehrt und gewisse Überlegungen zur Infektiosität wurden einbezogen. Die Entscheidungen für ungeschütztem Verkehr waren jedoch fast ausschliesslich von emotionalen Gründen, durch Angst vor Stigmatisierung und starke Ambivalenz geprägt. Keine der Personen, die nach dem EKAF-Statement interviewt wurden, gaben an, das so genannte „Swiss Consensus Statement“ zu kennen und damit hatte es auch wenig direkten Einfluss auf ihre Erfahrungen. Alle Personen stellten jedoch einen Zusammenhang der Viruslast und der Infektiosität her, äusserten jedoch Unsicherheiten in Bezug auf die Bedeutung einer höheren oder tieferen Viruslast für ihre eigene Situation. Wenn auch nicht von Bedeutung auf einer persönlichen Ebene, so empfanden einige die ‚Schweizer Botschaft’ doch als Befreiung von der Gefahr, den Partner/die Partnerin anstecken zu können. Ein Paar äusserte sich sehr erstaunt darüber, nichts vom Statement gehört zu haben, zumal sie aufgrund eines Kinderwunsches in Beratung gewesen waren. Die Autorin folgerte, dass Entscheidungen zum sexuellen Verhalten weniger auf Risikokalkulationen basieren, als auf emotionalen Gründen. Deshalb sollte die Botschaft des EKAF-Statements in eine reale Beratungsstrategie umgesetzt werden.
 
Bourne (UK) (MOAC0102) untersuchte in einer qualitativen Studie, wie homosexuelle Männer mit HIV verschiedene Strategien der Risikoreduktion wahrnehmen und wie sie damit umgehen. Dazu wurden mit 42 Männern in England und Wales qualitative Interviews geführt. Alle Männer lehnten Strategien ab, welche Transmissionsrisiken nur reduzieren und zogen es vor, diese, wie sie meinten, durch Kondomgebrauch zu eliminieren. Trotzdem wurde dieser Wunsch, mit sero-differenten Sexpartnern Kondome zu gebrauchen, durch situative Faktoren beeinflusst und konnte nicht immer eingehalten werden. Risikoreduktionsstrategien wurden kaum im voraus geplant. Sondern sie dienten dazu, Erklärungen und Rechtfertigungen für ungeschützten Verkehr zu finden, den die Männer im nachhinein bedauerten. Die Autoren folgerten, dass die Männer in Bezug auf die Wirkung von Risikoreduktionsstrategien unsicher sind. Es ist unklar, ob diese überhaupt geplant eingesetzt werden. Es brauche daher Angebote für die Männer, ihre eigenen Strategien zu reflektieren.
 
Beide Arbeiten weisen auf sehr emotional geprägte Entscheidungen im Umgang mit dem Transmissionsrisiko hin. Die Männer verfügen über zu wenig Informationen und falsche Vorstellungen und sind deshalb kaum in der Lage, ihre Entscheidungen zu reflektieren und gegebenenfalls anzupassen. Studien wären nötig, um zu prüfen, ob systematische Verhaltensinterventionen zu mehr reflektierten Entscheidungen führen würden.
 
Eine weitere für die Transmissionsprävention interessante Arbeit kam aus dem Bereich der Modellierung der HIV-Epidemie (WEAC0102). Chemaitelly und Kollegen untersuchten den Effekt von kombinierten Präventionsinterventionen in 1003 stabilen, sero-differenten Partnerschaften in Uganda. Über drei Jahre wurden vier Interventionen (männliche Beschneidung, Kondome, cART und PrEP) in Bezug auf die HIV-Inzidenzrate untersucht. Die Kombination von zwei Interventionen ergab eine Reduktion der Inzidenzrate von 24-78%, die Kombination von drei Interventionen eine Reduktionsrate von 62-85%. Dabei scheint vor allem die Kombination von ART mit einer anderen Strategie effektiv zu sein.