Jugendliche mit HIV: Transitionen, Adherence, Disclosure und Sexualität

Zurück zur 
Inhaltsübersicht: Kongressbericht Wien 2010

Verschiedene Präsentationen fokussierten die komplexen Anforderungen, welche Jugendliche mit HIV bewältigen müssen und den Support, den sie dazu benötigen. Jugendliche mit HIV müssen wie die Erwachsenen mit Themen der Adherence, Safer Sex und dem Offenlegen der Diagnose (Disclosure) umgehen, gleichzeitig müssen sie sich, wie andere Jugendliche, mit dem eigenen Körperbild, mit den ersten sexuelle Erfahrungen, der eigenen Identität und dem Gruppendruck von Gleichaltrigen auseinandersetzen.

Probleme und Perspektiven von Jugendlichen mit HIV
In New York Harlem untersuchte Elaine Abrams und ihr Team (Kang et al., TUAX0102) den Zusammenhang von Umgebungsfaktoren einer armen Wohnregion mit neurokognitiven Defiziten von Jugendlichen mit HIV . Erstaunlicherweise konnte kein Zusammenhang festgestellt werden. Der stärkste Prädiktor für neurokognitive Defizite war ein AIDS-Stadium. Die Studie zeigte jedoch auch, dass 64% der Jugendlichen zusätzlich zur HIV-Infektion eine oder mehrere psychiatrische Diagnosen hatten, welche im Zusammenhang mit schlechter kognitiver Funktion stand. Für die Planung von Interventionen bei Jugendlichen in solchen Umgebungen scheint es deshalb wichtig, diese hohe Prävalenz von psychiatrischen Erkrankungen zu berücksichtigen.
 
Zur Optimierung von Interventionsprogrammen in Kenia und Uganda , wurde eine qualitative Studie durchgeführt, um die Wahrnehmung von Adoleszenten in Bezug auf ihre Lebensperspektiven und die Rolle, welche sexuelle und reproduktiven Gesundheit darin spielt, besser zu verstehen. Insgesamt 119 Jugendliche mit HIV nahmen an 16 Focusgruppengesprächen teil. Diese wurden nach Prinzipien der Grounded Theory analysiert. Resultate zeigten, dass sich die Jugendlichen insgesamt über das Erwachsenwerden freuten, sich manchmal jedoch auch durch die Einschränkung und Verantwortung, welche die HIV-Infektion mit sich bringt, erschöpft fühlten. Für die Jugendlichen mit HIV waren die gleichen Themen (Körperbild, Selbstidentität, Zukunftsperspektiven, Unabhängigkeit) wie für andere Jugendliche wichtig. Diese Themen waren jedoch geprägt durch die Erfahrungen des Lebens mit HIV und durch stigmatisierende Erfahrungen. Körperbild: Jugendliche, die aufgrund der Infektion klein und schmächtig waren, freuten sich über die physische Veränderung. Sie verhalf ihnen zu einem neuen Selbstwertgefühl und sie erhofften sich, ihre Rolle als Aussenseiter ablegen zu können und zu einem verantwortungsvollen Erwachsenen zu werden. Sexuelle Identität: Beschreibend für viele der interviewten Jugendlichen, sagte ein Junge, dass er sich von seinem Körper bestimmt fühlt. Die HIV-Infektion irritierte dabei zusätzlich und machte es noch schwieriger, eine sexuelle Orientierung und Geschlechterrolle zu finden. Mädchen beispielsweise gingen sexuelle Beziehungen gegen Geschenke ein, um ihre weibliche Identität zu bestätigen. Jungen hatten eher das Gefühl, zeigen zu müssen, dass sie trotz HIV potent sind. Zukunftsperspektiven: die Jugendlichen äusserten Wünsche nach einem glücklichen Familienleben und einer guten beruflicher Position. Von Erwachsenen lernten sie jedoch, dass Sex diese Perspektiven zerstören kann. Viele äusserten zudem Unsicherheiten überhaupt eine solche Zukunft haben zu können. Da sie unsicher waren, wie viel Lebenszeit ihnen bleibt, konzentrierten sie sich stark auf die Gegenwart. Unabhängigkeit: Die meisten Jugendlichen kamen aus schwierigen Familienverhältnissen, in denen sie öfter ausgegrenzt und emotional vernachlässigt wurden. Sex war dementsprechend eine Form, geliebt zu werden oder auch eine Strategie, um finanziell unabhängig zu werden. Jasna Loos (TUAX0104) vom Institute of Tropical Medicine in Belgien, welche die Studie vorstellte, wies darauf hin, dass es aufgrund der vielfältigen Schwierigkeiten der Jugendlichen mit HIV extrem wichtig ist, evidenzbasierte Interventionsprogramme zu entwickeln. Nur so können Jugendliche mit HIV in der Zeit des Erwachsenwerdens individualisiert begleitet werden.
 
Der Übergang von der pädiatrischen in die Erwachsenen-Betreuung
 
In Anbetracht der vielfältigen Anforderungen und Probleme, welchen sich Jugendlichen stellen müssen, sind ’Transitions-Programme’ wichtig. Diese unterstützen den Wechsel der jungen Erwachsenen von der pädiatrischen- in die Erwachsenen-Betreuung. Zwei solche Programme, eines aus Uganda und eines aus Holland, wurden vorgestellt, beide jedoch ohne systematische Evaluationsresultate (TUAX0103).
 
Im Bakeera-Kitaka’s Mulago Hospital in Uganda wurde eine eigene Transitions-Klinik aufgebaut, um die Jugendlichen systematisch für die Erwachsenenbetreuung vorzubereiten. Bis jetzt haben die meisten betreuten Jugendlichen erfolgreich in Systeme der Erwachsenen-Betreuung gewechselt. Es braucht jedoch noch Forschung und Diskussionen um die Wirkung einzelner Programmelemente zu verstehen.
 
In einem Workshop wurde die Unterstützung von Jugendlichen mit HIV diskutiert. Die Workshopleiterin Attie van der Plas aus Holland stellte ein Transitions-Programm aus ihrer Klinik vor. Sie betonte, dass der Übergang von der Pädiatrischen- zur Erwachsenen-Betreuung immer als Prozess betrachtet werden muss. In ihrem Programm wird mit den Jugendlichen in mehreren Phasen über folgende Schwerpunktthemen gesprochen: Diagnose, Sexualität, Soziale Unterstützung, Edukation (Schule) und einen gesunden Lebensstil. Der Wechsel in die Erwachsenen-Betreuung richtet sich nach den Kompetenzen der Jugendlichen in diesen Bereichen, wobei sie für einen Wechsel nicht in allen Bereichen die höchste Kompetenz erreichen müssen.
 
Im Publikum wurde anschliessenden diskutiert, wie Jugendliche beraten werden sollen, wenn es um die Frage des Offenlegens der HIV-Diagnose (Disclosure) geht. Die unterschiedliche rechtliche Situation in verschiedenen Ländern schien die Beratungen wesentlich zu beeinflussen. In Schweden beispielsweise muss bei sexuellen Kontakten über die HIV-Diagnose informiert werden. Die Jugendlichen werden dementsprechend in der Beratung darauf hingeführt, dies zu tun oder mit dem Sex zu warten. Währenddessen wurde in vielen anderen Ländern der Schwerpunkt der Beratung eher auf den Umgang mit Kondomen zum Schutz vor ungewollter Schwangerschaft und Transmission gelegt. Die Disclosure-Frage wurde in dieser Situation eher unter Betracht von Vor- und Nachteilen mit den Jugendlichen diskutiert. Frauen mit Migrationshintergrund aus dem Publikum wiesen insbesondere auf die Gefahren des Offenlegens der Diagnose in bestimmten Subpopulationen hin, wo dies sehr schnell zu Gewalt und Ausgrenzung führen kann.
Ein weiteres Diskussionsthema war die grosse Bedeutung von Peer-Education (Unterstützung durch Gleichaltrige mit HIV) für die Jugendlichen. Diese schien insbesondere in den Hochprävalenz-Ländern einfacher umzusetzen.
 
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich bei der steigenden Zahl der Jugendlichen mit HIV um eine Gruppe mit speziellem Unterstützungsbedarf handelt. Bisher beschreiben Studien vor allem Problembereiche, die in Interventionsprogrammen berücksichtigt werden sollen. Dringend gefordert ist nun die systematische Evaluation solcher Programme, die Jugendliche darin unterstützen, kompetent und eigenständig mit ihrer HIV-Infektion umzugehen. Eine Investition, die sich in der Erwachsenenbetreuung auszahlen wird.