Erfahrungen von Jugendlichen mit HIV im Umgang mit der Infektion und deren Behandlung

Jugend und HIVTeenager zu sein ist nicht immer einfach, aber was bedeutet es mit einer HIV Infektion erwachsen zu werden?

Dieser Frage ging ein Schweizer Forschungsteam in einer qualitativen Untersuchung an sechs Zentren der Schweizerischen Mutter und Kind HIV Kohortenstudie (MoCHiV) nach. Neunundzwanzig Jugendliche (12-20 Jahre), die mit einer HIV Infektion leben, berichteten in offen geführten Interviews, über ihr Leben mit der HIV Infektion und deren Behandlung sowie über ihre Erfahrungen im Gesundheitssystem.

Die Wahrnehmung der HIV Infektion wurde altersabhängig beschrieben:
Während die jüngeren Jungen und Mädchen (12-15 Jahre) von einem Virus oder auch der Blutübertragung berichteten, schienen die Älteren das Konzept und die Bedeutung der Infektion besser integriert zu haben. Sie berichteten zum Beispiel detailliert über Immunfunktionen und die Bedeutung von HIV für ihre Sexualität und Zukunft. Einige der Jugendlichen erklärten jedoch auch, dass HIV überhaupt keine Bedeutung für sie habe.

Fragen, Gefühle und Ideen über die HIV Infektion auszutauschen schien schwierig:
Alle befragten Jugendlichen lebten seit frühester Kindheit mit der HIV Infektion. Die Jugendlichen berichteten wenig bis gar nicht mit ihren Eltern oder Ärzten darüber zu sprechen wie sie infiziert wurden. Ausserdem hatten die meisten Jugendlichen nicht mit ihren Freunden über die HIV Infektion gesprochen und nahmen die Medikamente unbeobachtet ein.

Die Medikamenteneinnahme, vielen Strategien zur Selbständigkeit:
Bis auf zwei Mädchen und einen Jungen nahmen alle Jugendlichen zum Zeitpunkt des Interviews antiretrovirale Medikamente ein. Während insbesondere die Jüngeren erzählten, dass sie von den Eltern zur Einnahme erinnert wurden, beschrieben viele der älteren Jugendlichen, konkrete Strategien zur regelmässigen Einnahme im Alltag aber auch in speziellen Situationen. Diese Strategien reichten von einfachen Erinnerungshilfen wie Post-it Zettel auf der Kakaobüchse über den Telefonalarm bis hin zu Strategien damit die Einnahme auch unterwegs, auf Partys oder im Ferienlager klappt. Dazu berichtete zum Beispiel ein 18 jähriges Mädchen: „Ich habe die Tabletten immer dabei, ich frage nach etwas zu trinken, sogar an einer Bar und schlucke die dann einfach schnell.“ Interessanterweise wurden Jugendliche, welche nicht explizit von solchen Strategien berichten konnten, von ihren behandelnden Ärzten als weniger konsequent in der regelmässigen Medikamenteneinnahme eingeschätzt. Insgesamt wurden die meisten der 29 Jugendlichen als sehr therapietreu eingeschätzt, bei elf vor allem älteren Jugendlichen wurden Probleme bei der regelmässigen Einnahme aus Sicht der Ärzte angegeben. Eine Haltung von Ablehnung der HIV-Infektion gegenüber schien vor allem in den Erzählungen dieser Jugendlichen mit Problemen in der Therapietreue präsent zu sein.
Diese Untersuchung ist eine der ersten europäischen Untersuchungen, welche die Perspektive von Jugendlichen mit HIV beleuchtet. Einblicke in deren Erleben weisen vor allem auf einen Unterstützungsbedarf durch Fachpersonen in 2 Bereichen hin: Erstens, die betroffenen Familien zu befähigen über HIV zu sprechen und Zweitens die Jugendlichen entwicklungsspezifisch zu befähigen, Strategien im Umgang mit Medikamenten zu entwickeln. Beides fordert spezifische Kompetenzen und zeitliche Ressourcen von Fachpersonen, dürfte sich jedoch nachhaltig auf die Fähigkeit zum Umgang mit HIV und auf die Gesundheit dieser jungen Menschen auswirken.

Quelle: Michaud et al. 2010 Swiss Medical Weekly