Neuer Wein in alten Schläuchen: das Immunsystem als Jungbrunnen!

Dr. Anita Niederer-Loher und Dr. Christian Kahlert nahmen sich in ihrem Vortrag der anspruchsvollen Aufgabe an, das Altern des Immunssystems (immune senescence) anhand von klinischen Beispielen zu beleuchten.

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Dr. Christian Kahlert und Dr. Anita Niederer-Loher
Ostschweizer Kinderspital // Kantonsspital St. Gallen / 25. Februar 2010
*deutsch

Das Ziel unseres Immunssystems ist, zwischen ICH (eigen) und DU (fremd) zu unterscheiden. Hierfür stehen dem Immunsystem angeborene Mechanismen (innate immunity) und erworbene pathogenspezifische Mechanismen (adaptive immunity) zu Verfügung. Erstere Immunantworten beruhen auf einem ganzen Arsenal verschiedener Rezeptoren, den pathogen recognition receptors. Zweitere Immunmechanismen werden erst ausgebildet, wenn unser Abwehrsystem mit spezifischen Erregern in Kontakt gekommen ist, und aus einem ersten Kontakt resultiert in der Regel ein immunologisches Gedächtnis.

Unser Immunssystem verändert sich mit uns in den verschiedenen Lebensabschnitten. Kinder haben erst wenige Pathogene immunologisch "gesehen" und daher nur eine beschränkte Anzahl von adaptiven Antworten in ihrem Repertoire, welches jedoch mit zunehmendem Alter immer mehr an Diversität gewinnt. Des weiteren sind ihre Lymphfolikel strukturell noch nicht ausgereift, sodass die Erkennung bestimmter Pathogenbestandteile noch erschwert oder gar unmöglich ist. Dafür sind ihre Immunzellen "frisch" und reaktionsfreudig, was sich in einer in der Regel guten Immunantwort nach einem Pathogenkontakt zeigt. Im Alter nimmt diese Reaktionsfreudigkeit jedoch ab, und da weniger naive Immunzellen zu Verfügung stehen, wird es zunehmends für das ICH schwieriger, noch neue DU-Antworten zu generieren. Gleichzeitig nehmen die ausgeschütteten Zytokine insgesammt im Alter zu – ob dies aber Ursache des Alterungsprozesses oder Ausdruck der immune senescenceist (und der vielen verschiedenen möglichen Immunantworten), bleibt ungeklärt.

 

 

Das hervorragend abgestimmte Referententeam zeigte an einigen eingängigen Beispielen – u.a. der Varizelleninfektion – auf, wie die Veränderungen des Immunsystem die klinische Präsentation ein und desselben Keims – eines DU – beieinflussen können. Neben der unterschiedlichen klinischen Präsentation eines einzelnen Keims beeinflusst die Reifung des Abwehrsystems aber auch das Keimspektrum – den DU’S, für welches das ICH in verschiedenen Lebensabschnitten eine unterschiedliche Perzeptionswahrscheinlichkeit aufweist.

Die unterschiedlichen Fähigkeiten des Immunsystems über die Lebensabschnitte können sich aber auch für Impfungen zu Nutze gemacht werden, bzw. haben einen direkten Einfluss auf die Impfempfehlungen. So macht es z.B. bei Kleinkindern wenig Sinn, einen Polysaccharid-Pneumokokkenimpfstoff zu verwenden, da aufgrund der Unreife der Lymphfolikelstruktur diese nicht erkannt werden können. Daher muss ein an ein Protein konjugierter Impfstoff in dieser Altersgruppe <2 J. verwendet werden, obwohl er weniger Serotypen abdeckt.

Wie die immune senescence beieinflussbar ist – und ob sogar die Hemmung verschiedener Zytokinantoworten ein "Jungbrunnen" darstellen könnte, ist unklar. Dies ist mit dem noch sehr marginalen Verständnis der Alterungsprozesse unseres Immunssystems noch Zukunftsmusik – und bleibt es vielleicht auch (sollte es bleiben).