Buchstabensuppe: Auslöffeln des Eingebrockten (Hepatitis in der Praxis)

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Dr. Patrick Schmid , Kantonsspital St. Gallen / 25. Februar 2010*deutsch

Die von Patrick Schmid vorgestellte Hepatitis-Buchstabensuppe für die Praxis enthält die Buchstaben A, B, C, D und E, wobei sich die Hepatitis C eher selten als symptomatische, akute Hepatitis präsentiert, welche den Patienten in die Praxis führt. Bei Ausheilung innert 6 Monaten spricht man von einer akuten Hepatitis, bei Verläufen >6 Monate von einer chronischen. Während die fäkal-oral übertragenen Hepatitiden A und E in der Regel akut verlaufen, können die parenteral übertragenen Hepatitiden B, C und D in eine chronische Hepatitis übergehen. Normale Transaminasen schliessen eine chronische Hepatitis nicht aus.

Hinweisend auf eine akute Hepatitis sind ein plötzlicher Transaminasenanstieg (ALT (GPT) > AST (GOT) >> GGT), begleitet von Übelkeit, Müdigkeit und Oberbauchschmerzen sowie evtl. Ikterus und entfärbter Stuhl bzw. brauner Urin. Bei den infektiös verursachten akuten Hepatitiden kann die Höhe der ALT auf den Erreger hinweisen: ALT 10-100fach erhöht bei Hepatitis A und E, ALT 2-10fach erhöht bei EBV oder CMV, ALT 2-5fach erhöht bei Begleithepatitden (v.a. Adeno-, Enteroviren, …). Differentialdiagnostisch muss an nicht-infektiöse Ursachen einer akuten Hepatitis gedacht werden wie z.B. Alkohol (AST:ALT > 2:1), medikamentös, toxisch und Autoimmunhepatitis.

Was soll man bei Verdacht auf eine akute virale Hepatitis auf dem Laborzettel ankreuzen?

1) anti-HAV IgM (für Hepatitis A),
2) HBsAg und anti-HBc IgM (für Hepatitis B) und
3) HCV-RNA (für Hepatitis C) (bei der akuten Hepatitis C anti-HCV in 50% der Fälle noch negativ!)

Die Bestimmung von HBeAg und anti-HBe macht nur dann Sinn, wenn das HBsAg positiv ausfällt. EBV IgM und CMV IgM sollten erst im 2. Schritt und anti-HEV im 3. Schritt bestimmt werden, wenn die vorhergehenden Abklärungen zu keiner Diagnose geführt haben.

Was ist in der Schweiz wie häufig?

Gemäss BAG wurden im Jahr 2009 in der Schweiz ca. 1500 Fälle von Hepatitis C, knapp 1200 Fälle von Hepatitis B und nicht einmal 200 Fälle von Hepatitis A gemeldet (vergleichend dazu knapp 800 HIV-Neudiagnosen). Der Rückgang der Hepatitis A lässt sich durch die Impfung vor Reisen sowie die besseren hygienischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern zurückführen (monatliches Hepatitis A-Infektionsrisiko bei Reise in ein Endemiegebiet = 1:3000). Der überwiegende Teil der Hepatitis B- und C-Patienten wird im chronischen Stadium erstdiagnostiziert. Bei den akuten Hepatitiden ist die Hepatitis A klar führend, mit deutlichem Abstand gefolgt von Hepatitis B und schliesslich Hepatitis C.

Wie weiter, wenn eine akute Hepatitis diagnostiziert wurde?

Alkohol sowie Medikamente sollten vermieden werden. Kriterien für eine Hospitalisation sind INR>1,7, Zeichen für eine hepatische Encephalopathie sowie die Unmöglichkeit, sich zu ernähren (z.B. infolge Ebrechen). Die Therapie ist in der Regel symptomatisch-supportiv (z.B. Antihistaminika oder Quantalan bei Pruritus). Eine antivirale Therapie steht bei der Hepatitis A nicht zur Verfügung und wird bei der akuten Hepatitis B i.d.R. nicht empfohlen. Lediglich bei der akuten Hepatitis C empfiehlt sich, sofern es nach 8-12 Wochen zu keiner spontanen Ausheilung kommt, eine Frühtherapie (Genotypen-unabhängig besseres Ansprechen als im späteren chronischen Stadium).

Hepatitis A

Die Übertragung ist fäkal-oral, die Inkubationszeit beträgt ca. 30 Tage und es gibt keine chronischen Verläufe. Daran denken sollte man bei Reisenden in Endemiegebiete (vgl. Karte) und MSM (Männer, die Sex mit Männern haben). Während der Verlauf bei Kindern häufig asymptomatisch ist, sind Erwachsene meist symptomatisch (75% Ikterus bei den >14jährigen). Die Prognose ist in der Regel gut. Allerdings kann es in ca. 0,01% zu einer fulminanten Hepatitis kommen (v.a. ältere Personen, vorbestehender Leberschaden). Die Hepatitis A-Infektion ist durch Impfung vermeidbar (empfohlen für Reisende, Drogenkonsumenten, MSM (für diese Indikation neuerdings auch Kostenübernahme durch die Krankenkasse), berufliche Exposition, Patienten mit chronischer Lebererkrankung).

Hepatitis E

Die Übertragung ist wie bei der Hepatitis A fäkal-oral und der Verlauf in der Regel akut (sehr selten chronische Verläufe im Rahmen der Immunsuppression nach Organtransplantation). Zu beachten sind fulminante Verläufe in der Schwangerschaft (v.a. im 3. Trimenon) mit einer Mortalität von 10-20%. Mittlerweile sind 4 Genotypen identifiziert, wobei Epidemien mit Genotyp 1 und 2 v.a. während der Monsunzeit in den Tropen und Subtropen auftreten (verunreinigtes Wasser während der Überschwemmungszeit) und sporadische Infektionen mit Genotyp 3 und 4 in Europa und den USA vorkommen (Übertragung vom Schwein = Zoonose). Daran zu denken ist vor allem nach Reisen in Endemiegebiete (vgl. Karte). Das Risiko ist jedoch deutlich geringer als für Hepatitis A. Ein Hepatitis E-Impfstoff befindet sich gegenwärtig in klinischer Erprobung.

Hepatitis B

Weltweit leiden 350 Millionen Menschen an einer chronischen Hepatitis B (75% Asiaten) und pro Jahr sterben rund 1 Million Menschen daran. Die Übertragung erfolgt bei Geburt, durch Sex sowie Blut (bei entsprechend hoher Viruslast auch durch Speichel) und die Inkubationszeit beträgt 60-90 Tage. Die Chronifizierungsrate ist vom Infektionszeitpunkt abhängig: 98% falls Infektion bei Geburt und 5% bei Infektion im Erwachsenenalter. Auf dem Boden einer chronischen Hepatitis B können sich Leberzirrhose und hepatozelluläres Karzinom entwickeln. Das genetische Material des Hepatitis B-Virus verbleibt als cccDNA (covalently closed circular DNA) – selbst bei formaler "Ausheilung" – im Zellkern der Hepatozyten, so dass in seltenen Fällen eine Reaktivierung möglich ist.

Vor allem bei Geburt in einem Land mit hoher/mittlerer Prävalenz (Migrationshintergrund, vgl. Karte) sollte man nach einer Hepatitis B suchen, daneben bei (Haushalts-)Partnern von HBsAg-positiven Personen, (St.n.) Drogenabusus, MSM, (St.n.) STD (sexually transmitted diseases), chronischer ALT-Erhöhung sowie in der Schwangerschaft.

Zur Weiterabklärung einer chronischen Hepatitis B (definiert als HBsAg positiv für >6 Monate) sollten HBV-DNA quantitativ (PCR), HBeAg, anti-HBe und die Transaminasen bestimmt und nach einer Hepatitis D-Infektion gesucht werden (Letzteres wird oft vergessen!).

Bei der chronischen Hepatitis B (HBsAg positiv) werden 4 Phasen unterschieden (Immuntoleranz, Immunaktivierung, Immunkontrolle und Immun-Escape), wobei nicht unbedingt alle 4 Phasen durchlaufen werden müssen und die Dauer der Phasen unterschiedlich sein kann.

1) Immuntoleranz: hohe HBV-DNA bei normalen Transaminasen (ALT) und positivem HBeAg

Diese Konstellation findet man vor allem bei Patienten, welche sich im Jugendalter in Hochprävalenzgebieten infiziert haben. Sie ist Ausdruck dafür, dass nicht das Hepatitis B-Virus selbst, sondern die Immunreaktion des Körpers auf das Virus die Leberschädigung auslöst. Solange die Transaminasen normal bleiben, genügt es, den Verlauf zu beobachten. Eine Behandlung ist nicht indiziert.

2) Immunaktivierung: mittlere HBV-DNA-Level bei erhöhten Transaminasen (ALT) (fluktuierende Verläufe möglich) und positivem HBeAg

Bei dieser Form der HBeAg-positiven chronischen Hepatitis B ist eine Behandlung indiziert.

3) Immunkontrolle: stabil nicht nachweisbare HBV-DNA und normale Transaminasen (ALT), HBeAg negativ

Es handelt sich um inaktive Träger, die eine Verlaufsbeobachtung (im 1. Jahr 3monatliche, anschliessend 6-12monatliche ALT-Kontrollen), jedoch keine Therapie benötigen.

4) Immun-Escape: fluktuierend niedrige HBV-DNA-Level und moderate Transaminasenerhöhungen bei HBeAg negativ

Bei dieser Form der HBeAg-negativen chronischen Hepatitis B ist eine Behandlung indiziert. Es ist von einer HBeAg-Mutante auszugehen.

In Hinblick auf die Notwendigkeit einer Therapie ist somit bei der HBeAg-negativen chronischen Hepatitis B die Unterscheidung zwischen inaktivem Träger (HBV-DNA < 2000 U/ml, ALT persistierend normal) und HBeAg-Mutante (HBV-DNA > 2000 U/ml, ALT > ULN) essentiell.

Antiviral behandelt werden sollen chronische Hepatitis B-Patienten mit aktiver chronischer Hepatitis B (HBsAg positiv, HBV-DNA > 2000 U/ml, ALT -Erhöhung >2x ULN (upper limit of normal) und/oder Histologie >=A2/F2) sowie mit kompensierter Zirrhose (bei nachweisbarer HBV-Replikation, auch wenn ALT normal und/oder HBV-DNA < 2000 U/ml).

Zur Verfügung stehen pegyliertes Interferon alpha (Peg-IFN alpha) (Vorteile: 10-30% anhaltende Remission nach begrenzter, d.h. 12monatiger, Therapiedauer, keine Resistenzentwicklung; Nachteile: s.c.-Injektion, Nebenwirkungsprofil, bei Leberzirrhose kontraindiziert) und Nukleos(t)ide (Vorteile: oral, bei Leberzirrhose möglich, gute Viruslast-Suppression; Nachteile: meist Relapse nach Absetzen, Resistenzentwicklung, unbestimmte Therapiedauer). Die Resistenzrate ist am höchsten unter Lamivudin (3TC)-Monotherapie (24% nach 1 Jahr, 49% nach 3 Jahren und 70% nach 5 Jahren), deutlich geringer mit Adefovir (0% nach 1 Jahr, 11% nach 3 Jahren und 29% nach 5 Jahren) und vernachlässigbar gering mit den neueren, antiviral potenteren Substanzen Entecavir und Tenofovir.

Hepatitis D

Es handelt sich um ein defektes Virus, welches keine eigene Hülle besitzt und deshalb auf das Vorhandensein von HBsAg (d.h. eine gleichzeitige Hepatitis B-Infektion) angewiesen ist. Der Übertragungsweg entspricht dem der Hepatitis B. Die Hepatitis D kommt vor allem in Rumänien und im Mittelmeerraum vor sowie in einigen Ländern in Afrika, Mittel- und Südamerika (vgl. Karte). In der Schweiz sind etwa 6% der HBsAg-Positiven mit Hepatitis D infiziert. Das gleichzeitige Vorliegen einer Hepatitis B und D bewirkt eine raschere Progression zu Zirrhose und HCC, wobei eine Superinfektion ungünstiger ist als eine Koinfektion. Die HBV-Impfung bietet auch Schutz vor der Hepatitis D. Die Therapie ist schwierig (Peg-IFN).

Hepatitis C

Nach der Hepatitis B ist die Hepatitis C die zweithäufigste Hepatitis. 2-3% der Weltbevölkerung sind HCV-infiziert, in der Schweiz sind es 0,7% (d.h. 50-70.000 Menschen). Daran denken muss man vor allem bei i.v.-Drogenkonsum, Bluttransfusionen vor 1992 (sowie in Ländern mit schlechten Hygiene-Standards) und MSM sowie bei Stichverletzungen (berufliche Exposition). Die sexuelle Übertragung von HCV ist grundsätzlich zwar sehr selten, kommt bei Analverkehr oder Sexualpraktiken mit Blutung jedoch häufiger vor. Die HCV-Infektion heilt in 30% der Fälle spontan aus (i.d.R. innert 6 Monaten) und geht in 70% in eine chronische Hepatitis über, welche in 20% eine Zirrhose zur Folge hat, in der sich wiederum ein hepatozelluläres Karzinom entwickeln kann. In den meisten Fällen ist die chronische Hepatitis C asymptomatisch. Mögliche Symptome sind Pruritus, Hautprobleme, Polyarthralgien, Müdigkeit/Depression und Glomerulonephritis.

Einem positiven HCV-AK-Suchtest sollte eine quantitative HCV-RNA-Bestimmung mittels PCR folgen, welche im positiven Falle eine aktive HCV-Infektion belegt. Als nächstes sollte dann der HCV-Genotyp bestimmt werden.
Im Falle einer nicht nachweisbaren HCV-RNA empfiehlt sich als Bestätigungstest ein HCV-Immunoblot. Ist dieser positiv, handelt es sich um eine durchgemachte HCV-Infektion oder aber eine aktive HCV-Infektion mit geringer Virämie, weshalb nach 4-6 Monaten nochmals eine Kontroll-PCR durchgeführt werden sollte. Bei negativem HCV-Immunoblot ist ein falsch positiver HCV-AK-Suchtest anzunehmen, wobei sicherheitshalber 6 Monate nach dem letzten Risiko nochmals eine Kontrolle erfolgen sollte.

Bezüglich rascherer Fibroseprogression bei chronischer Hepatitis C sind Alkohol und Koinfektionen (HIV und HBV) die wichtigsten Risikofaktoren. Auch die Insulinresistenz, welche gleichzeitig den Therapieerfolg schmälert, scheint eine Rolle zu spielen.

Grundsätzlich soll bei postivem HCV-RNA-Nachweis eine Therapie evaluiert werden. Sie ist dringlicher indiziert, wenn bereits eine signifikante Fibrose (>=F2/4 (Metavir-Score) bzw. eine symptomatische Kryoglobulinämie vorliegt.

Die HCV-Therapie mit Peg-IFN alpha 2 (s.c. 1x/Woche) und Ribavirin (800-1200mg/Tag p.o.) dauert bei den schlechter behandelbaren Genotypen 1 und 4 48 Wochen (mit Stopp-Regel, wenn bei Woche 12 nicht HCV-RNA-Abfall um mindestens 2 Log-Stufen) und bei den besser behandelbaren Genotypen 2 und 3 24 Wochen. Von einem dauerhaft erfolgreichen Therapieansprechen (SVR = sustained virological response) spricht man, wenn auch 6 Monate nach Therapieabschluss keine HCV-RNA mehr nachweisbar ist. Dies wird bei Genotyp 1 in 40-50%, bei Genotyp 2/3 in 80-90% und bei Genotyp 4 in 60-70% der Fälle erreicht.

Zunehmend setzt sich das Konzept der "response-guided therapy" durch. Ist beispielsweise beim Genotyp 1 bereits nach 4 Therapiewochen keine HCV-RNA mehr nachweisbar (rapid virological response), kann die Gesamtherapiedauer von 48 auf 24 Wochen verkürzt werden. Dauert es bis Woche 12 bis keine HCV-RNA mehr nachweisbar ist (complete early virological response) wird 48 Wochen behandelt. Bei einem Viruslast-Abfall >= 2 log, aber bei Woche 12 noch nachweisbarer HCV-RNA, die erst bei Woche 24 verschwindet, verlängert man die Therapiedauer auf 72 Wochen.

Als neue Therapieoptionen für den Genotyp 1 werden ca. 2012 die Proteasehemmer Telaprevir und Boceprevir erwartet. Die Einnahme sollte 8stündlich erfolgen. Aufgrund einer raschen Resistenzentwicklung unter Monotherapie kann auf eine gleichzeitige Therapie mit Peg-IFN und Ribavirin nicht verzichtet werden. Wesentliche Nebenwirkungen sind bei Telaprevir Hautausschlag und bei Boceprevir Anämie. Zudem werden Medikamenteninteraktionen zu beachten sein.

Phytotherapie

Als wichtigstes Phytotherapeutikum ist Silymarin (Mariendistel) zu erwähnen. Der Nutzen ist weiterhin unklar, wird gegenwärtig aber in einer randomisierten Studie getestet.