Blick in den Hexenkessel: Biologicals entzaubert
Biologicals sind neue «Wunderwaffen» im Kampf gegen rheumatische Erkrankungen. Mit ihrem gezielten Eingreifen in den körpereigenen Entzündungsprozess steigt aber auch das Risiko von Infektionen. Barbara Bertisch ist in ihrem Vortrag der Frage nachgegangen, wie gross diese Gefahr wirklich ist und wie wir sie eindämmen können.
Dr. Barbara Bertisch, Kantonsspital St. Gallen / 25. Februar 2010
*deutsch
Seit wenigen Jahren sind neue «Wunderwaffen» im Kampf gegen rheumatische Krankheiten wie die Rheumatische Arthritis, Psoriasis oder Morbus Crohn auf dem Markt. Sie werden als «Biologicals» zusammengefasst. Es handelt sich biotechnologisch hergestellte Proteine, die gezielt in Entzündungsprozesse eingreifen und diese blockieren (TNFalpha, IL-6, CD20). Derzeit am häufigsten wird Remicade® (Infliximab) eingesetzt. Die Therapieerfolge sind zum Teil verblüffend.
Im Falle rheumatischer Erkrankungen richtet sich der Körper gegen sich selber und verursacht Entzündungen im körpereigenen Gewebe. Patienten müssen oft über Jahre entzündungshemmende Substanzen (Immunsuppressiva) wie Prednison, Metothrexat oder Endoxan einnehmen, welche nicht in geringem Masse Nebenwirkungen mit sich bringen. Oft werden Infektionen gesehen, die dadurch entstehen, dass das Abwehrsystem durch die Medikamente gebremst wird. Beispiele sind bakterielle Lungenentzündungen, Haut- und Weichteilinfektionen, Knochen- und Gelenksinfekte oder Infektionen durch Herpesviren. Meist handelt es sich um bekannte Krankheitserreger, selten sind es atypische Keime. Auch das Aufflammen einer schlummernden Tuberkulose ist unter Kortison ab einer bestimmten Dosis ein hinlänglich bekanntes Problem. Infektionen unter Immunsuppressiva verlaufen aber oft anders als erwartet, manchmal chronisch und dadurch schwierig zu erkennen, manchmal auch fulminant und lebensgefährlich.
Die Angst vor schwer verlaufenden Infektionen ist mit den Biologicals noch grösser geworden, da sie «treffsicher» wichtige Entzündungsreaktionen im Körper blockieren. Viele Wissenschaftler haben sich deshalb in Beobachtungsstudien die Frage gestellt, ob diese Angst berechtigt ist.
Barbara Bertisch, Oberärztin im infektiologischen Teams am Kantonsspital St. Gallen, ist diesen Fragen nachgegangen und bot in einem sehr attraktiven Vortrag eine Übersicht über den Stand des Wissens. Sie kam dabei zu folgendem Schluss, der als «Zwischenstand» verstanden werden muss, da es oft Jahre der Beobachtung braucht, bis genug Erfahrungen gesammelt sind:
Das Infektionsrisiko für immunsuppressiv behandelte Patienten ist erhöht. Dies zum einen durch die Grundkrankheit per se, anderseits durch die verwandten Medikamente einer Basistherapie. Besteht die Therapie aus nur einer Substanz und in tiefer Dosierung, ist das Risiko geringer, als bei Kombinationstherapie und steigender Dosierung. Werden die neuen Biologicals eingesetzt ist das Infektionsrisiko je nach Medikament um das zwei- bis vierfache im Vergleich zur «Normalbevölkerung» erhöht. Das Risiko ist im Falle von Retuximab® in der Anfangsphase am grössten, kann aber auch nach Stop der Therapie noch anhalten. Die Infektionsraten unter diesen potenten Medikamenten sind nicht so hoch, wie man sie erwarten könnte / erwartet hatte. Es sind aber in jedem Fall Vorsichtsmassnahmen zu treffen – am besten noch vor Therapiestart. Dazu gehören Schutzimpfungen gegen Pneumokokken und Influenza, eventuell Hepatitis B, aber auch die Suche nach einer schlummernden Tuberkulose, welche therapiert werden muss, bevor sie ausbricht. Sowohl der behandelnde Arzt, als auch der Patient müssen wachsam sein, mögliche frühe Krankheitszeichen erkennen und ernst nehmen, damit Diagnostik und Infekttherapie schnell begonnen werden können.