"Time is Live(r)" – Behandlung der Akuten Hepatitis C bei HIV-Infektion
Zwar muss bei einer akuten Hepatitis C niemand mit Blaulicht ins Spital. Eine frühe Therapie (in den ersten 12 Wochen nach vermuteter Ansteckung) führt jedoch unabhängig vom Genotyp zu deutlich besseren Ansprechraten als zu einem späteren Zeitpunkt. Das gilt auch bei vorbestehender HIV-Infektion (z.B. bei MSM).
Innerhalb Europas und kürzlich auch in den USA und Australien wurde bei HIV-Positiven (v.a. MSM) eine anhaltende Epidemie akuter HCV-Infektionen beobachtet. Mittlerweile wurde weltweit über rund 1000 Fälle berichtet (Urbanus, AIDS 2009). Auch in der Schweizerischen HIV-Kohorte konnte seit dem Jahr 2000 eine Zunahme sexuell übertragener HCV-Infektionen beobachtet werden (Rauch, CID 2005).
Sexuelle Übertragung:
Zwar bleibt in Ost-Europa der i.v.-Drogenabusus der wichtigste Übertragungsweg, die aktuelle Epidemie ist jedoch hauptsächlich durch sexuell übertragene HCV-Infektionen geprägt. Die Infektion wird vorwiegend durch Analverkehr bei HIV-positiven MSM (men who have sex with men) übertragen (s. früheren Bericht).
In einer kürzlich bezüglich akuter HCV-Infektion bei MSM in Urogenital- und HIV-Kliniken in London/Brigthon durchgeführten epidemiologischen Studie traten 389 der im Zeitraum von 2002 bis 2006 beobachteten 395 akuten HCV-Infektionen bei HIV-positiven Patienten auf (Giraudon, Sex Transm Infect 2008). Demgegenüber wird bei HIV-positiven Frauen nicht über eine erhöhte sexuelle Übertragungsrate von HCV berichtet (Vogel, CID 2009). Zwar sind Fälle von sexueller HCV-Übertragung bei heterosexuellen Paaren bekannt, bei einem Liftime risk von <1% handelt es sich dabei jedoch um ein äusserst seltenes Ereignis (Marincovich, Sex Transm Infect 2003; Vandelli, Am J Gastroenterol 2004).
Bei HIV-positiven MSM konnten das Vorliegen anderer sexuell übertragbarer Krankheiten und Sexualpraktiken mit einem hohen Risiko für eine Mukosa (Schleimhaut)-Verletzung (und somit eine Blut-zu-Blut-Übertragung) als Risikofaktoren für den Erwerb einer akuten HCV-Infektion identifiziert werden. Phylogenetische Untersuchungen zeigen einen hohen Verwandtschaftsgrad der sexuell übertragenen HCV-Stämme mit MSM-spezifischen Clustern (Danta, AIDS 2007; van de Laar, Gastroenterology 2009), was für einen vom i.v.-Drogenkonsum unabhängigen Übertragungsweg spricht. Fast 75% aller HCV-Stämme waren nah mit einem Stamm aus einem anderen Land verwandt. Die Hypothese einer HCV-Ausbreitung über ein Europäisches sexuelles Netzwerk wird durch die Beobachtung unterstützt, dass Fälle mit akuter HCV-Infektion sich häufiger mit Männern trafen, welche sie übers Internet kontaktiert hatten (im Median 50x versus 7x bei Kontrollen, p=0,003) (Danta, AIDS 2007).
Verzögerte anti-HCV-Serokonversion:
Von einer Akuten HCV-Infektion spricht man, wenn zwischen dem vermuteten Ansteckungszeitpunkt und der Diagnosestellung <=6 Monate liegen. Die Tatsache, dass die Akute HCV-Infektion in der Regel asymptomatisch verläuft und mit einem akuten GPT (ALT)-Anstieg einhergeht, welcher leicht verpasst werden kann, wenn nicht regelmässige Leberwert-Kontrollen erfolgen, erschwert die Diagnose erheblich. Dies trifft insbesondere für HIV-Patienten zu, bei denen klinische Symptome und GPT (ALT)-Anstieg verglichen mit HIV-negativen Patienten weniger ausgeprägt sind (Vogel, CID 2009).
Bei HIV-Patienten hat sich ein Transaminasen-Anstieg in der Diagnostik der Akuten Hepatitis C als sensitiver herausgestellt als eine wiederholte anti-HCV-Bestimmung (Thomson, AIDS 2009). Von 43 Patienten mit Akuter HCV-Infektion hatten zum Zeitpunkt der ersten positiven HCV-RNA 76% eine abnormale ALT >40 U/ml, aber nur 25% einen positiven anti-HCV-Test (63% anti-HCV positiv 3 Monate nach der ersten positiven HCV-RNA), was verglichen mit HIV-negativen Patienten einer deutlich verzögerten Antikörper-Antwort entspricht.
Behandlung der Akuten HCV-Infektion:
1) Wann Therapie starten?
Verglichen mit HCV-Monoinfizierten ist die spontane Clearance-Rate bei HIV-Positiven deutlich geringer (13-16% versus 20-50%) (Thomson, AIDS 2009). Die Ausheilung einer Akuten Hepatitis C erfolgt meist in den ersten 12 Wochen. Zwar sollten idealerweise nur solche Individuen eine Therapie erhalten, deren HCV-Infektion nicht spontan ausheilt, bei zu langer Verzögerung des Therapiebeginns geht jedoch der Vorteil einer Frühtherapie (höhere Therapieansprechraten) verloren und das Therapieansprechen unterscheidet sich nicht mehr von dem bei der Chronischen HCV-Infektion.
In einer Japanischen Studie verringerte sich bei HIV-Negativen die SVR-Rate (SVR = sustained virological response) durch Verzögerung des Therapiebeginns um 1 Jahr verglichen mit 8 Wochen nach Akuter HCV-Infektion von 86% auf 40% (Nomura, Hepatology 2004). Demgegenüber ging in einer Deutschen Kohorte von 108 HIV-negativen Patienten mit symptomatischer Akuter Hepatitits C eine Verzögerung des Therapiestarts um 12 Wochen nicht mit einem schlechteren Therapieresultat einher (Deterding, EASL 2009).
Entsprechend wird auch bei HIV-positiven Patienten mit Akuter Hepatitis C empfohlen, die ersten 12 Wochen nach dem vermutlichen Expositionsdatum abzuwarten, um eine spontane Clearance zu erlauben, eine weitere Verzögerung des Therapiebeginns aber zu vermeiden, um den Therapieerfolg nicht zu schmälern (Rockstroh, HIV Med 2008).
Oftmals ist das exakte Datum der HCV-Infektion unklar. Eine HCV-RNA-Bestimmung 4 Wochen nach Diagnosestellung kann helfen, Patienten, deren Akute HCV-Infektion später in eine chronische übergeht, von jenen zu unterscheiden, welche eine spontane Clearance erfahren werden (Hofer, Hepatology 2003). Bei einem Abfall der HCV-RNA um >2 log-Stufen kann die „Watch and wait“-Strategie weiterverfolgt werden, andernfalls sollte sofort mit der HCV-Therapie begonnen werden. Bei nach 4 Wochen signifikantem Abfall der HCV-RNA (>2 log-Stufen) empfiehlt sich, nach 8 und 12 Wochen weitere HCV-RNA-Bestimmungen vorzunehmen. Sollte sich nach 8 Wochen kein weiterer Abfall der Viruslast oder sogar ein Wiederanstieg zeigen oder der Patient nach 12 Wochen noch immer HCV-RNA-positiv sein, ist eine Therapie zu empfehlen.
2) Wie behandeln?
Die meisten Daten zur Behandlung der akuten HCV-Infektion bei HIV-Koinfizierten existieren für eine Kombinationstherapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin für 24 Wochen. Die SVR-Raten werden dabei mit 60-70% angegeben.
Ist Ribavirin zur Behandlung der Akuten Hepatitis C notwendig? (weniger Anämie, wenn verzichtbar)
Bei HCV-Monoinfizierten ist Ribavirin in Hinblick auf die hohen SVR-Raten, welche bereits mit einer pegylierten oder nicht-pegylierten Interferon-Monotherapie erzielt werden, in der Behandlung der Akuten Hepatitis C verzichtbar (Gerlach, Gastroenterology 2003; Jaeckel, NEJM 2001; Wiegand, Hepatology 2006). Demgegenüber sind bei HIV-Positiven Fälle von viralem Breakthrough und Non-Response unter pegylierter Interferon-Monotherapie besschrieben (Matthews, CID 2009; Vogel, J Viral Hepat 2005). In einer prospektiven Pilotstudie an 12 HIV-positiven Patienten, bei denen es nach 12 Wochen zu keiner spontanen Ausheilung der Akuten Hepatitits C kam (Genotypen 1+4), wurden mit pegyliertem Interferon alpha-2a behandelt, wobei bei fehlendem RVR (RVR = rapid virological response, d.h. negative HCV-RNA nach 4 Wochen) nach 4 Wochen Ribavirin ergänzt werden durfte. Bei 6/12 (50%) der Patienten musste die Therapie wegen Nichtansprechens nach der 12. Behandlungswoche gestoppt werden (Arends, ICAAC 2009).
Die aktuelle Datenlage lässt bzgl. Weglassen des Ribavirins in der Behandlung der Akuten Hepatitis C bei HIV-Positiven noch keinen definitiven Schluss zu. Zumindest bei den schwierig zu behandelten Genotypen 1+4 ist betreffend einer Monotherapie mit pegyliertem Interferon Vorsicht geboten.
Wie lange behandeln?
Bei HCV-monoinfizierten Patienten wurde die Akute Hepatitis C meist während 24 Wochen behandelt, womit hohe Ansprechraten von bis zu 98% erzielt wurden (Jaeckel, NEJM 2001). Bei HIV-positiven Patienten waren die SVR-Raten bei gleicher Behandlungsdauer mit 60-70% deutlich geringer, so dass sich die Frage stellt, ob diese Patienten allenfalls von einer auf 48 Wochen verlängerten Behandlungsdauer profitieren könnten. Daten aus der Deutschen Kohorte sprechen zumindest dafür (Vogel, Antivir Ther 2006).
Bis zur Verfügbarkeit weiterer Daten gilt die Empfehlung einer 24wöchigen Kombinationstherapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin bei HIV-Patienten mit Akuter HCV-Infektion. Ein fortlaufendes Monitoring des Therapieansprechens (Woche 4 und 12) kann helfen, die Therapie im Sinne einer „response-guided therapy“ zu individualisieren. 93% (39/42) der Patienten mit RVR (HCV-RNA negativ nach 4 Wochen) erreichten später eine SVR, gegenüber nur 9% (3/33) der Patienten, welche auch nach 12 Wochen noch nachweisbare HCV-RNA hatten (kein cEVR = complete early virological response, aber HCV-RNA-Abfall um >=2 log-Stufen). Letztgenannte könnten von einer Therapieverlängerung auf >24 Wochen profitieren (vgl. auch folgenden Artikel zur „response-guided therapy“).
Quelle: Vogel M and Rockstroh JK, Journal of Antimicrobial Chemotherapy 2009, doi:10.1093/jac/dkp385