Tollwut – eine vergessene Tropenkrankheit?

dog_cartoon_1.jpgDie Tollwut ist die mitunter fatalste virale Infektionskrankheit überhaupt. Die heute verfügbaren Impfstoffe gegen die Rabies sind teuer, aufwändig und oft nicht erhältlich.
Die Erforschung von neuen Tollwutimpfstoffen ist für die Geldgeber in industrialisierten Ländern nicht attraktiv. Dass sich dennoch etwas tut im Gebiet der Rabies-Impfstoffentwicklung und noch dazu hoch Interessantes, das zeigt ein Review-Artikel auf, der kürzlich in der Public Library of Science (PloS) erschienen ist.

Bei uns fast vergessen – Alltag in Indien

Die Tollwut ist die mitunter fatalste virale Infektionskrankheit überhaupt. Bisher hat nur ein 15-jähiges Mädchen die Krankheit überlebt. Spätere Fälle, behandelt nach dem gleichen experimentellen Therapieregime, verliefen dennoch fatal. In Indien wird alle 2 Sekunden ein Mensch von einem Hund gebissen und nur rund 50% der Gebissenen erhalten eine Impfungen. Schätzungen zufolge sterben in Indien jährlich 25’000– 30’000 Menschen an der Rabies. In unseren industrialisierten Ländern ist die Tollwut ein vergessenes Thema und ist allenfalls dann noch Schlagzeilen wert, wenn ein Fuchs auf einem Campingplatz sein Unwesen treibt. Dass die meisten skandinavischen Länder und die Schweiz praktisch frei sind von Tollwut, verdanken wir der systematischen Impfung von Haus- und Wildtieren.
Die Zahl streunender Hunde kann in einem Land wie Indien weder überblickt noch kontrolliert werden. Rabies gehört in Indien zum Alltag. Mehr als 70% der Hunde müssten geimpft sein, um die Übertragung zu stoppen. Ein utopisches Ziel in einem Entwicklungsland. Leidtragende sind vor allem Kinder, die in mehr als der Hälfte der Fälle Opfer sind von Hundebissen.
Die Krankheit verhindern kann somit nur eine Impfung – am besten noch vor einem Biss (präexpositionell), aber spätestens nachher (postexpositionell). Mit 3 prophylaktischen Impfdosen vor und 2 nach einem Biss, respektive 5 postexpositionellen Dosen bei fehlender Schutzimpfung, sind Aufwand und Kosten sehr hoch. Zudem sollten – und dies ist die unverzichtbare Maximalvariante – alle nicht geschützten Personen ein so genanntes Passivserum erhalten, das die Zeit überbrückt, bis der Körper selber Antikörper bildet. Das sind viele Impfungen, sie sind teuer und oft nicht verfügbar, oder wenigstens in  billigeren Varianten, die gehäuft zu neurologischen Nebenwirkungen führen (Meningoenzephalitis). Von einem Tier auf Reisen gebissen zu werden heisst, nach Hause zu fahren oder zumindest in die nächste Metropole, wo Impfungen und das Passivserum vielleicht erhältlich sind. Für ein indisches Kind auf dem Land undenkbar.
Wieso die Impfungen für eine derart fatale Infektionskrankheit wie die Tollwut noch immer so aufwändig und teuer sind, hat damit zu tun, dass sich keiner dafür interessiert. Forschern auf diesem Gebiet ergeht es so, wie lange Zeit den Wissenschaftler im Bereich von Malaria oder Tuberkulose. Die Gelder werden anders verteilt, in Forschungsgebiete, die sich in industrialisierten Ländern besser auszahlen. Dass sich aber auf dem Gebiet der Rabies-Impfstoffentwicklung dennoch etwas tut und noch dazu hoch Interessantes, das zeigt ein Review-Artikel auf, der kürzlich in der Public Library of Science (PloS) erschienen ist. Dass der Artikel im Themenbereich «neglected tropical disease» zu finden ist, spricht für sich.

Was muss eine neue Tollwutimpfung können?

Eine Impfung im Spinat

Sie muss billig sein, unkompliziert in der Herstellung, sollte schnell und effizient wirken, wodurch Impfdosen eingespart werden können, und sollte möglichst keine Nebenwirkungen nach sich ziehen.Die bisher eingesetzten Impfungen sind attenuierte (Köder für Wildtiere) oder inaktivierte Impfstoffe. Neue molekular-biologische Verfahren machen es nun  möglich, die für eine Antikörperantwort notwendigen Antigene gezielt zu isolieren respektive gentechnisch herzustellen. Das einzige virale Antigen, welches eine genügende Antikörperantwort auslöst, ist das virale Glyocoprotein. Die in der Review-Arbeit zitierten Forscher haben verschiedene Methoden untersucht, das Glycoprotein möglichst elegant und schnell herzustellen, dieses an geeignete Strukturen und Vektoren zu koppeln und einfach zu verpacken. Hefekulturen wurden so umprogrammiert und Insektenzellen mit einem rekombinanten Bocalovirus infiziert, dass sie das Glycoprotein exprimieren. Andere versuchten, das Protein durch veränderte Pflanzen (Bananen, Spinat, Kartoffeln usw.) herzustellen, die gegessen werden und so eine Immunanwort auf herzlich simplem Wege hervorrufen können. Eine bestechende Idee für ärmere und heisse Länder, in denen die schon die Lagerung und das saubere Arbeiten mit Injektionsnadeln ein Problem sein kann. Der Erfolg dieser oralen Vakzinen hält sich bisher aber noch in Grenzen, da sich Resorption und folglich Immunantwort schwer steuern lassen.

Neue Adjuvantien und Vektoren

Viel Aufmerksamkeit wurde auch der Entwicklung neuer Adjuvantien geschenkt, die zum Ziel haben, die Immunantwort zu verstärken, womit Antigen und Booster-Impfungen eingespart werden können. Ein vielversprechendes Adjuvans ist beispielsweise CPG-ODN, ein Oligodeoxynucleotid. Sehr einfach herzustellen, stabil, sicher und konstant in der Wirkung sind DNA-Vakzinen, die ein Plasmid als Vektor benutzen. Die Immunantwort tritt aber bisher zu langsam ein – ein grosser Nachteil für die postexpositionelle Impfung, welche möglichst schnell wirken soll. Als Vektoren wurden auch rekombinante Poxviren und porzine Herpesviren untersucht. Am vielversprechendsten gelten Adenoviren von humaner oder tierischer Herkunft. Da Adenoviren sehr häufig sind, kann eine noch so schöne Immunantwort aber durch bereits im Organismus bestehende neutralisierende Antikörper zunichte gemacht werden. Viele Forscher konzentrieren sich deshalb darauf, möglichst seltene Adenoviren ausfindig zu machen, die der Organismus nicht kennt, oder diese so zu verändern, dass sie nicht (mehr) erkannt werden, damit eine gezielte Immunantwort gegen das präsentierte Rabies-Glycoprotein erreicht wird.

Durch neue, molekular-biologische  Methoden wird die Vakzinologie in den nächsten Jahren eine Revolution erleben – nicht nur im Bereich der Tollwutimpfung. Es ist zu hoffen, dass davon nicht nur Menschen in industrialisierten Ländern profitieren werden.

Link zum Artikel: Novel vaccines to human rabies. Ertl HC. PloS neglected tropical disease. Sept 2009.