Beim septischen Schock ist der Zeitpunkt der antibiotischen Therapie prognostisch entscheidend!

Diese Erkenntnis wurde von Kumar et al. multizentrisch retrospektiv erhoben, im Jahre 2006 publiziert und seither vielfach zitiert. Wir meinen, es sei nicht zu spät, unsere publizistische Lücke im infekt.ch endlich zu schliessen und diese wichtige Arbeit vorzustellen.

Retrospektiv wurden multizentrisch 3 verschiedene Kohorten (1 Kohorte aus Gemeinde- und tertiären Spitälern der Provinz Manitoba, Kanada, 1 Kohorte aus einem Universitätsspital in Kanada und 1 Kohorte dreier Universitätsspitäler der Vereinigten Staaten) während mehrerer Jahren mit der Eintrittsdiagnose eines septischen Schocks auf der Intensivstation untersucht. Es resultierten 2731 Patienten während den Jahren 1989-2004 von 14 verschiedenen Intensivstationen.

 

 

Das Kernstück der Arbeit beinhaltete das Messen des Zeitpunkts der ersten Objektivierung des Schocks bis zum Einsatz effektiver antiinfektiver Therapie und das Ueberleben (bis zur Entlassung). Als septischer Schock galt ein mittlerer Blutdruck von <65mmHg, systolisch <90mmHg oder ein systolischer Blutdruckabfall von mindestens 40mmHg ohne genügendes (= fehlendes oder passageres) Ansprechen auf 2000ml Volumengabe. Zur Beurteilung der Effektivität der antiinfektiösen Therapie wurde bei invasiven Infektionen mit einem Keim die in vitro Sensibilität, bei Kultur negativem Schock die potentiell korrekt angewandte empirische Therapie unter Berücksichtigung der Morbidität und lokalen Resistenzlage und bei Infektionen mit mehreren Keimen der klinisch anzunehmende dominanteste Keim gewählt (z.B. Gramnegative, Pilze vs. Grampositive). Ein anderes Kriterium zur Bestimmung der klinischen Dominanz bei Mischinfektionen stellte das Resistenzmuster dar (dominanterer Keim = resistenterer Keim).

Es wurden 2731 Fälle erfasst und analysiert. Der APACHE-Score im Vergleich der Kohorten zueinander unterschied sich nicht, das Durchschnittsalter betrug 62.7 +- 16.4 Jahre, Community-acquired-Infektionen waren zu 58.1%, nosokomiale Infektionen zu 41.9% vertreten. Rund 78% der Infektionen konnten objektiviert werden (kulturell, bildgebend, chirurgisch, bioptisch oder autoptisch). Bei 70% fand sich ein ursächlicher Keimnachweis, hiervon knapp zur Hälfte aus den Blutkulturen. Im Falle von Keimpositivität fanden sich ursächlich rund 48% Gramnegative (mit deutlicher Dominanz von e. coli), zu rund 38% Grampositive (mit deutlicher Dominanz von Pneumokokken) und zu beachtlichen 8.2% Pilzinfektionen (mit Dominanz von Candida albicans, dann glabrata). Der Median der Latenz des Einsatzes einer antiifektiven Therapie betrug 6 Stunden (25-75%-Intervall, 2-15 Stunden). 19 Patienten erhielten keine effektive antiinfekiöse Therapie (und verstarben), 558 Patienten standen bereits unter effektiver Therapie, als der Schock sich manifestierte. Bei den verbleibenden 2154 Patienten betrug die Mortalität 58%.

Die Autoren fanden eine lineare Beziehung von Zeitpunkt des Beginns einer effektiven antiinfektiösen Therapie und dem Ueberleben (Univariatanalyse). Das Ueberleben betrug rund 83%, wenn das Antiinfektivum innert 30min. verabreicht wurde. Das Ueberleben ab einer Latenz von 36 Stunden ging gegen 0. Mit jeder Stunde der Verzögerung fand sich eine 12-Prozentige Verminderung des Ueberlebens im Vergleich zur vorhergegangenen Stunde. Auch die Multivariatanalyse erbrachte als Hauptursache der Mortalität die Latenz des Antiifektivums (28%), der APACHE-Score trug lediglich rund 25% dazu bei, die rasche Volumengabe während der ersten Stunde des Schocks gar nur <2%. Der Effekt der Latenz des Antiinfektivums traf für alle Subgruppenalysen (Neutropenie, Keim-Nachweis, Keim-Ordnung, community acquired/nosokomial, betroffene Organsysteme) zu.

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Dass im Falle eines septischen Schocks (wie bei anderen Schockformen auch) rasche Massnahmen getroffen werden müssen, zweifelt wohl niemand an. Die Erkenntnis, dass die antiinfektiöse Therapie dabei hohe Priorität hat (und um ein Vielfaches mehr die Mortalität beeinflusst als z.B. die rasche Volumengabe), dürfte hingegen nicht überall verbreitet sein. Es gilt somit, diese Erkenntnis kontinuierlich zu schulen und zu fördern (z.B. mit Erfassung des delays vor und nach Intervention), wie dies beispielsweise auf der Notfallstation in Genf durchgeführt wird. Eine andere Implikation dürfte sein, bereits bei jeder schweren Sepsis eine frühe antibiotische Therapie einzuleiten (auch wenn aus dieser Studie nicht automatisch geschlossen werden kann, dass auch bei der schweren Sepsis der Benefit einer frühzeitigen antibiotischen Therapie im gleichen Ausmass wie beim septischen Schock ist, so kann damit zumindest bei möglichem septischen Schock (der sich ja letztendlich erst im Verlauf der ersten halben Stunde durch das fehlende Reagieren auf die Volumengabe definiert) eine frühzeitige antiinfektive Gabe gewährleistet werden).

Quelle: Kumar A. et al., Crit Care Med 2006, Vol 34 No. 6