Aktuelle Lage Mexikanische Grippe – 01. Juli 2009

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Die A/H1N1v-Grippe hat auch in den letzten Tagen wieder für (kleine) Schlagzeilen gesorgt. Tatsächlich schreitet sie unaufhaltsam fort und hat nun auch definitiv den "Vorposten" Europas erreicht. Gleichzeitig könnte unsere Tamiflu-Reserve an Schlagkraft verlieren, falls das Virus vermehrt Resistenzen bildet. Ein erstes A/H1N1v-Virusisolat mit einer Tamifluresistenz wurde in Dänemark entdeckt. Ist die Pandemie noch aufzuhalten und wird Tamiflu weiterhin unsere wirksamste Waffe bleiben?

 

 

Globale epidemiologische Lage

Klicken auf Bild zum VergrössernNeu berichtet das UK über eine nicht mehr kontrollierbare Ausbreitung des A/H1N1v Influenzavirus. Beachten. Alleine vom 27.-29.Juni meldete Grossbritannien 1’687 neue A/H1N1v-Fälle (ECDC-Report 30.06.09). Das UK hat daher schon am 25.06. die Mitigation-(Eindämmungs-) Strategie aufgegeben und konzentriert sich nun auf den Schutz besonders vulnerabler Patientengruppen (ECDC-Report 27.06.09). Die Grafiken geben einen Überblick über die aktuellen kummulativen Fallzahelen wie auch der Neumeldungen nach Weltregion. In diesem Setting, wie wir es nun im UK beobachten, ist es nicht mehr möglich, die Ausbreitung aufzuhalten, und es ist nur ein Frage von Wochen, bis auch das A/H1N1v-Virus epidemisch in der Schweiz auftreten wird. Wann dies jedoch genau sein wird, ist nicht vorhersagbar und dürfte nun in den Sommermonaten auch vom aktuellen Reiseverhalten abhängig sein. In der Schweiz meldet das BAG aktuell 58 A/H1N1v-Fälle. Glücklicherweise hat sich ein möglicher Cluster bei Reiserückkehrern in St.Gallen nicht bestätigt.

Neue Nomenklatur
Beachten Sie auch die neue Nomenklatur: A/H1N1v (für variant) für das neue mexikanische "Schweinegrippevirus" im Gegensatz zum "normalen" saisonalen A/H1N1-Virus, welches auch in der letzten Grippewelle im Winter 2008-09 das vorherschende Virusisolat war.

 

Grosse Dunkelziffer
Wir haben aber bereits in unserem Update von letzter Woche ausführlich darauf hingewiesen, dass die Fallmeldungen je nach Land stark variieren und eine grosse Dunkelziffer bestehen dürfte, wie dies nun auch das CDC bestätigt.H1N1_Cases_wkly.jpg Dies weist auch darauf hin, dass die asymptomatisch oder mild verlaufende Form der A/H1N1v-Grippe vorherrscht und dementsprechend die Mortalität überschätzt wird.  Daraus ist zu schliessen, dass die A/H1N1v-Grippe in den meisten Fällen milde verläuft, was auch mit den genetischen Eigenschaften des A/H1N1v-Virus vereinbar ist. So wurde in allen Virusstämmen der letzten Pandemien mit einer hohen Mortalität ein bestimmtes Virulenzgen (Apoptosefaktor PB1-F2) gefunden, welches aber dem aktuellen A/H1N1v-Pandemiestamm fehlt.

Milder Verlauf, aber junge Menschen betroffen
Der milde Verlauf der A/H1N1v-Grippe darf aber keinesfalls über das Fakt hinwegtäuschen, dass sich v.a. jüngere Personen mit dem A/H1N1v-Virus anstecken und dass potentiell die ganze Weltbevölkerung für das A/H1N1v-Virus empfänglich ist. Dies kann für den nächsten Hebst/Winter, in dem eine zweite Welle, welche stärker ausfallen dürfte, da dann die Umweltfaktoren für eine noch effizientere Übertragung vorhanden sind (Luftfeuchtigkeit, Temperatur), verherende ökonomische und gesundheitswirtschaftliche Konsequenzen haben – ganz zu schweigen von einer gegenüber einer "saisonalen" Grippe erhöhten Mortalität bei jungen Personen. Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang auch eine erneuter Todesfall einer 20-jährigen Schwangeren mit Asthma, welcher aus Spanien gemeldet wurde.

A/H1N1v resistent auf Tamiflu – time to worry?
Eine weitere Meldung liess aber die Forscher- und Medizinerwelt diese Tage aufhorchen. In Dänemark wurde ein erstes A/H1N1v-Virusisolat gefunden, welches auf das Grippemittel Tamiflu eine Resistenz entwickelt hatte. Tamiflu ist – solange noch keine Impfung verfügbar ist – das Mittel der Wahl zur Therapie der A/H1N1v-Grippe, insbesondere bei Risikopatienten wie Atemwegserkrankten oder auch Schwangeren. Das Auftreten einer Resistenz an und für sich konnte erwartet werden. In klinischen Studien wurde es in ca. 0,5% unter Tamiflu-Therapie bei saisonalen Grippestämmen aufgetreten. Sorge macht hingegen, dass es während einer prophylaktischen Therapie (75mg qd) bei einem exponiereten, initial A/H1N1v-negativen Patienten aufgetreten ist. Aus Studien bei japanischen Kindern weiss mann, dass Tamifluresistenzen möglicherweise häufiger auftreten, wenn das Medikament unterdosiert wird.

Vorsicht mit prophylaktischer Tamiflu-Dosierung
Ein kleiner Trost ist doch, dass diese Mutation wahrscheinlich zunächst mit einer verminderten Ansteckungsrate einhergeht (wie in Tierstudien belegt), und aus Dänemark keine Übertragung des Tamiflu-resistenten A/H1N1v-Virus auf Dritte beobachtet wurde (siehe ECDC-Report 30.06.09). Daher ist es nun wichtig, koordiniert die Empfehlungen für eine prophylaktische Therapie hinsichtlich Dosierung und Indikation zu überdenken. Aufgrund dieser zugegebenermassen spärlichen Datenlage scheint es sinnvoll, Patienten mit Risikofaktoren für einen schweren A/H1N1v-Grippeverlauf, welche nachweislich exponiert waren, frühzeitig mit einer vollen Dosis (75mg bid) zu behandeln. Mit zunehmender Dauer der Pandemie wird auch die Erfahrung in dieser Fragestellung zunehmen und diese möglicherweise geklärt werden können. Und es bleibt das Risiko, dass sich das A/H1N1v-Virus im Herbst mit dem A/H1N1-Stamm der Grippesaison 2008/09 genetisch vermischt, welches bereits eine Tamiflu-Resistenz in 98% der Isolate trägt. 

Zusammenfassen wollen wir die beiden aktuellen, in der Einleitung angeschnittenen Fragen beantworten: Nein, die Pandemie wird kommen und kann nicht mehr aufgehalten werden – auch nicht in der Schweiz -, und ja, Tamiflu ist und bleibt ein gutes, gegen A/H1N1v wirsames Medikament, sollte aber sorgfällitig abgewogen bei den richtigen Patienten in der richtigen Dosierung zum richtigen Zeitpunkt gegeben werden (was in der täglichen Praxis nicht immer leicht ist).

The only thing certain about influenza viruses is that nothing is certain.

 

Weitere Informationen zu Fallzahlen und Lagebeurteilung einzelner Behörden, sowie Links zu den Quellen der in diesem Artikel verwendeten Angaben:

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