Iss nicht, was auf den Boden gefallen ist!

Soll unsere Umwelt steril sein, damit wir vom Boden essen können?
Über Sinn und Unsinn einer «sterilen» Welt und mögliche Auswirkungen
auf unseren Alltag.

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Dr. Katia Boggian, Kantonsspital St. Gallen / 26. Februar 2009
*deutsch

Warum man nicht vom Boden essen sollte, hat einen geschichtlichen Hintergrund:

Die Hygienischen Verhältnisse waren bis ins 19. Jahrhundert rudimentär, so hat sich diese Empfehlung damals wahrscheinlich bewährt.
Das Mythos der sogenannten Miasma Theorie hielt sich bis ins 19.Jahrhundert: Bereits 460 – 375 v. Chr. hat Hipprokates über den üblen Dunst, die Verunreinigung und giftige Ausdünstungen berichtet, die Krankheiten übertragen. Die Cholera, Pest und Malaria wurde allesamt dem Miasma zugeordnet. Die Trockenlegung von Sümpfen und damit die Verhinderung der "giftigen, schlechten Ausdünstung" = Mal-aria hatte in der Tat einen Rückgang der Malaria Erkrankung zur Folge, diese Beobachtung bestärkte den Mythos.
Die Menschen haben sich damals mit Räucherpfannen, Pestmasken vor den Ausdünstungen und damit vor den Krankheiten zu schützen versucht.
Auch die Cholera Epidemie wurde mit der Miasma Theorie erklärt. Die Cholera Erkrankung nahm ihren Ursprung im Delta von Bengalen, zwischen Brahmaputra und Ganges, die ersten Beschreibungen der Cholera finden sich in Sanskritschriften 400 v. Christus. 1817 kam es zu einer grossen Epidemie in Bengalen, und durch die Reisefreudigkeit in dieser Zeit verbreitete sich die Cholera und erreichte bald einmal Europa. Hier fand die Cholera durch die Verstädterung mit engen Wohnräumen, viele Menschen auf wenig Raum, unhygienische Verhältnisse einen idealen Boden zur Ausbreitung so z.B auch in England. Da die stinkenden Orte eliminiert werden sollten, wurden die Abwasserkanäle in die Themse geleitet, das führte zur Ausbreitumg der Cholera ins Trinkwasser.
1853 konnte John Snow bereits einen Zusammenhang zwischen Wasser und dem Auftreten von Cholera Erkrankungen herstellen.
Durch die Stillegung einer Wasser-Pumpe in der Broad Street wurde ein Rückgang der Erkrankungsfälle dokumentiert.
1883 entdeckt R. Koch Cholera Bakterien im Wasser, noch fast 10 Jahre später (1892) versucht Max von Pettenhofer (erster Ordinarius für Hygiene an der Universität München) in einem heroischen Selbstversuch zu beweisen, dass die Cholerabakterien keine Cholera auslösen und trinkt eine Bakterienkultur. Er ist zwar nicht gestorben, hat aber eine Diarrhoe entwickelt, whsch. bestand bei ihm eine Teilimmunität.
Trotz dieser Versuche, die "Bakterientheorie" zu widerlegen, konnte sich diese neue Botschaft dann doch durchsetzen, der Mythos des Miasma’s war gebrochen und die Mikrobiologie nahm ihren Lauf.

Machen wir einen Sprung in die 60-iger Jahre:
Sir Mc Farlane Burnet (der Namensgeber von Coxsiella burnetii) behauptete, dass alle Infektionskrankheiten bald ausgerottet sein werden. Wie kam er zu dieser Annahme? Allgemein war ein Rückgang der Infektionskrankheiten zu beobachten (bessere hygienische Verhältnisse etc.), Mikroorganismen wurden eliminierbar, es wurden fortlaufend neue Antibiotika Substanzklassen gefunden.  In dieser Zeit war es fast selbstverständlich an die Elimination der Mikroorganismen zu glauben, denn man hatte die Wunderwaffe "Antibiotika" und man hatte die Übertragungswege verschiedener Infektionskrankheiten erkannt, und konnte gewisse Erkrankungen sogar mit Impfungen verhindern. Nur leider gelang es der Industrie im Verlauf nicht mehr neue Antibiotikaklassen zu entdekcen. Die Oxazolidinone ist die erste neue Antibiotikaklasse seit über 30 Jahren.

In den 60-iger Jahren enstand der Tenor alles müsse steril und sauber sein. Dieser Trend setzt sich heute weiter durch: die Medien versuchen uns Angst einzujagen vor den "aggressiven Killerbakterien", den Superbugs, den "Fleischfressenden Bakterien". Die Werbung versucht uns weiszumachen, dass fiese Bakterien  überall auf uns lauern, sogar auf den Einkaufswägeli! Deshalb floriert das Geschäft mit den antibakteriellen Gegenständen und Gebrauchsmitteln, so gibt es antibakterielle Seifen, antibakterielle Putztücher, Textilien etc…..ein riesiges Geschäft mit der Angstmacherei.

Eine sterile Umwelt mit welchem Preis?

Durch den zunehmenden Antibiotikagebrauch in der Landwirtschaft, der Medizin und in Alltagsgegenständen steigen die Resistenzen. Gutartige Mikroben verschwinden, werden verdrängt, an ihre Stelle treten resistente Keime.

Was ist die Hygienehypothese oder ist Dreck gesund?

 

 

Ein klitzekleiner Exkurs in die Immunologie:
Zwischen den T-Helferzellen TH1 und TH2 besteht ein Gleichgewicht, welches durch die T reg. kontrolliert wird. Kommt es zu einem Überwiegen der TH1 Zellen besteht die Gefahr von Autoimmunerkrankungen, bei Überwiegen der TH1 Zellen besteht die Gefahr von Allergieentwicklung. 
Allgemein wird ein Anstieg der Inzidenz von Multipler Sklerose, M. Crohn, Asthma bronchiale, D. mellitus Typ 1 in allen Ländern dokumentiert. Hat dies mit der Hygiene zu tun?

Allergie: Bei Kindern, welche bereits im ersten Lebensjahr Kuhmilch tranken und Stall-Exposition hatten, wurden weniger allergische Erkrankungen dokumentiert. (Riedel et al. Lancet 2001)

Typ 1 Diabetes: Eine Studie an Mäusen, bei denen die B-Zellen des Pankreas zerstört wurden, sogenannte Non obese Diabetes Mäuse (NOD) wurden ohne Mikrobenexposition und mit Mikrobenexposition auf die Entwicklung eines D. mellitus Typ 1 untersucht. Bei der ersteren Gruppe kam es häufiger zu einer Krankheitsentwicklung, was die Hypothese eines protektiven Effektes einer Mikrobenbesiedlung stützt.

Multiple Sklerose: Warum gibt es ein Nord – Süd – Gefälle? Hat dies nur mit der Sonne und damit mit dem Vitamin D-Stoffwechsel zu tun? Correale et al. Ann. Neurol. 2007, fand bei einigen seiner MS Patienten eine Eosinophilie, resp. eine intestinale Parasitose. Diese Patienten hatten weniger MS-Schübe, weniger Einbussen im Disability Scale und weniger cerebrale morphologische Veränderungen. Aufgrund dieser Beobachtungen wird eine Studie geplant, wo an einem grossen Patientenkollektiv MS Patienten mit Hakenwurmlarven infiziert werde, um prospektiv den Einfluss auf die Erkrankung zu studieren, man darf gespannt sein.

M. Crohn: Bei bereits maximal behandelten Patienten, ohne Besserung der Klinik, konnte mit einer Infektion durch Trichuris suis eine 60% ige Remission erzielt werden.

Alle diese Beobachtungen sind sehr interessant und allen Gemein ist sicher das gültige Zitat:

Alleine die Dosis macht das Gift! (Paracelsus)

Oder anders zusammengefasst: Zu viel Dreck ist ungesund, ein bisschen Dreck schadet nicht!