Risiko gehabt – Management danach

Diskussion von Möglichkeiten, die Gefahr nach bereits stattgefundenem Risiko abzuwenden.

© Dr. Patrick Schmid, Kantonsspital St. Gallen / 28. Februar 2008

*deutsch
 

In seinem Vortrag ging Patrick Schmid auf die Möglichkeiten einer Postexpositionsprophylaxe (PEP) bei Nadelstichverletzung bzw. Kontakt mit einer invasiven Meningokokken-Erkrankung ein.

Unter Postexpositionsprophylaxe (PEP) versteht man eine Therapie, welche nach Kontakt mit einem infektiösen Pathogen eine Infektion verhindern soll.

1995 lag die Häufigkeit von Stichverletzungen mit Exposition gegenüber Blut oder biologischen Flüssigkeiten in den Schweizer Akutspitälern bei knapp 1 Ereignis pro Pflegeperson und Jahr, wobei Pflegende häufiger betroffen waren als Ärzte (63 versus 20%). Die Reaktion bei den Betroffenen ist unterschiedlich und reicht von einer "Vogel-Strauss-Politik", die zum "underreporting" führt, bis hin zu massiven Ängsten infolge Risikoüberschätzung.

Im Falle einer Nadelstichverletzung mit Inokulation von Virus-positivem Blut liegt das Infektionsrisiko beim Nichtimmunen für HBV bei 30%, für HCV bei 3% und für HIV bei 0,3%. Die Hepatitis-B-Durchimpfungsrate beim Medizinalpersonal lag im 2000 bei 94%. Die Möglichkeit einer PEP besteht bei HBV und HIV, nicht jedoch bei HCV. Entsprechend kam es in der Schweiz seit 1990 nach Exposition im medizinischen Bereich bei insgesamt 12.000 Nadelstichverletzungen zu nur 2 HIV– und 3 HBV-, aber immerhin 8 HCV-Übertragungen.

Im Falle einer Nadelstichverletzung muss die Wunde gereinigt und desinfiziert werden. Es erfolgt eine Blutentnahme bei der Quellenperson (QP) (Serum für HIV-Test, HCV-AK und HBs-Ag (nur wenn die exponierte Person (EP) nicht sicher immun)) sowie eine Risikoabschätzung: 1) Management in Spital oder Praxis und 2) Indikation für HIV- bzw. HBV-PEP? Eine Dokumentation und Meldung des Unfalls sind nötig sowie die Organisation von Nachkontrollen. Auch bei der EP sollte eine Blutentnahme erfolgen: entweder "Null-Serum" asservieren oder HIV-Test, HCV-AK sowie anti-HBs (nur wenn EP nicht sicher immun) bestimmen.

Vorgehen bzgl. HIV:

1) Ist bei der QP eine HIV-Infektion bekannt, sollte innert 1-2h eine HIV-PEP etabliert werden.
2) Ist der HIV-Status der QP unbekannt, aber es besteht anamnestisch ein Risiko (sexuelles Risikoverhalten, i.v.-Drogenkonsum, andere Blut-Expositionen, Hinweise für akute HIV-Infektion (Mononukleose-ähnliches Bild)), sollte die EP mit Blut der QP ins Spital geschickt werden, damit dort mit dem Blut der QP innert 1-2h ein HIV-Schnelltest durchgeführt werden kann. Fällt dieser positiv aus, wird eine PEP begonnen, sonst nicht. (Ausnahme: HIV-Risiko der QP in den letzten 3 Monaten => Start PEP und Combo-Test (HIV-Ak u. -Ag))
3) Ist die QP unbekannt, HIV-negativ oder – bei unbekanntem Status – das Risiko für eine HIV-Infektion bei der QP sehr gering, wird keine PEP gegeben und es genügt, wenn das Resultat des HIV-Tests der QP innert 24h vorliegt. In diesen Fällen kann das Management in der Praxis erfolgen.

Das Übertragungsrisiko ist besonders gross bei tiefen Verletzungen (OR 15,0), sichtbarem Blut an der Nadel (OR 6,2) sowie terminal kranker QP (OR 5,6). Die HIV-Konzentration in Körperflüssigkeiten ist hoch in Blut > Samen- > Scheidenflüssigkeit, geringer in der Muttermilch und niedrig in Speichel > Kot/Urin > Tränen.

Eine Fall-Kontroll-Studie hat gezeigt, dass Zidovudin (AZT) das Risiko einer HIV-Infektion nach Nadelstichverletzung um 80% senken kann. Wichtig ist hierbei, dass so rasch wie möglich mit der PEP begonnen wird, d.h. innert 2-4h (Notfall!). In Tierversuchen wurde nach 24-36h eine deutlich geringere Wirksamkeit gezeigt. Einen klaren zeitlichen "cut off" für eine Transmission trotz PEP gibt es jedoch nicht. Je mehr Zeit nach der Exposition vergeht, desto mehr überwiegen allerdings die Nebenwirkungen (Übelkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen) gegenüber dem Nutzen. Zu beachten sind auch Interaktionen (Pille, Ergotaminpräparate, Marcoumar, …) und die Kosten von ca. 2000 CHF.

Der HIV-Schnelltest hat eine sehr hohe Sensitivität (wie ELISA) (99,5%, bzw. >99,9% ausserhalb des "Fensters"). Da er nur HIV-AK und nicht HIV-Ag detektiert, kann er jedoch im Falle einer HIV-Primoinfektion falsch negativ ausfallen. Bei >70% der Neuansteckungen zeigt sich innerhalb der ersten 4 Wochen ein Mononukleose-ähnliches Krankheitsbild (Fieber, Halsweh, Myalgien, Kopfweh, Lymphadenopathie, Exanthem), weshalb bei V.a. EBV immer auch ein HIV-Combo-Test (HIV-Ak u. -Ag) abgenommen werden sollte. Die Spezifität des HIV-Schnelltests ist mit 99,8-99,9% ebenfalls sehr hoch. Trotzdem sind falsch positive Testresultate möglich, was vor Testdurchführung kommuniziert werden muss.

Die derzeitige Standard-HIV-PEP am KSSG ist eine 3er-Kombination für 4 Wochen: Truvada (Tenovofir/Emtricitabin) 1-0-0 und Kaletra (Lopinavir/Ritonavir) 2-0-2. In besonderen Situationen (z.B. Vergewaltigung) ist auch eine 2er-Kombination möglich (Truvada 1-0-0).

Vorgehen bzgl. HBV:

1) Ist bei der EP ein HBV-Schutz vorhanden, sind keine Massnahmen nötig.
2) Ist die EP nicht gegen HBV geimpft oder ist der HBV-Schutz unsicher, erfolgt eine aktive Hepatitis-B-Impfung sowie eine Labordiagnostik: anti-HBs bei der EP und HBs-Ag bei der QP.
a) anti-HBs bei QP pos. => keine Massnahmen
b) anti-HBs bei EP neg. und HBs-Ag bei QP neg. => Vervollständigung der aktiven Hepatitis-B-Impfung
c) anti-HBs bei EP neg. und HBs-Ag bei QP pos. => zusätzlich zur Aktiv-Impfung HBV-Immunserum (möglichst innert 48h, bis max. 7 Tage nach Exposition => Transmissionsrisiko insgesamt um 75% gesenkt)

Bei Medizinalpersonal sollte 1-2 Monate nach der letzten HBV-Impfung der anti-HBs-Titer bestimmt werden. Beträgt dieser >100 U/ml ist ein lebenslanger Schutz anzunehmen. Bei 10-100 U/ml spricht man von "Hypo-" und bei <10 U/ml von "Non-Responder". In beiden Fällen sollten Booster-Impfungen (bis insgesamt 6 Impfdosen) erfolgen, mit dem Ziel eines anti-HBs-Titers >100 U/ml. Bei 30-50% kommt es 8-10 Jahre nach der Impfung zum Titer-Abfall <10 U/ml. Das immunologische Gedächtnis bleibt jedoch für mind. 20 Jahre bestehen, so dass wenn der Titer einmal >100 U/ml war, keine erneuten Booster-Impfungen empfohlen werden (einmal immun = immer immun).

Vorgehen bzgl. HCV:

Eine HCV-PEP gibt es nicht, jedoch die Möglichkeit zur Frühbehandlung mit Interferon (+/- Ribavirin). Mit einer Erfolgsquote von 80-90% kann dabei der Übergang einer akuten Infektion in eine chronische Hepatitis vermieden werden.

1) Ist bei der QP eine HCV-Infektion bekannt, erfolgen bei der EP Laborkontrollen: GPT zum Zeitpunkt 0, dann monatlich für 6 Monate, HCV-RNA falls GPT-Anstieg und HCV-AK nach 0, 3 und 6 Monaten. (evtl. ergänzendes Labor bei QP: HCV-RNA (PCR), v.a. wenn frische HCV-Infektion bei QP vermutet u. HCV-AK neg.) Bei Hinweisen auf akute Hepatitis C bei EP Kontaktaufnahme mit Spezialisten bzgl. Frühbehandlung (Spontanausheilung in den ersten 3 Monaten wahrscheinlicher bei Symptomen)
2) Im Falle eines unbekannten HCV-Status bei der QP => HCV-AK-Bestimmung bei der QP: falls pos. vgl. 1).

Im Falle einer akuten HCV-Infektion wird die HCV-RNA nach Tagen bis 8 Wochen positiv. Ein GPT-Anstieg ist nach 6-12 Wochen zu beobachten (etwas früher als HCV-AK, welche nach 8-12 Wochen positiv werden (bei symptomatischer, akuter Hepatitis C nur in 50% pos.)).

Bei der EP sind die folgenden serologische Nachkontrollen indiziert:

1) negative QP: keine
2) unbekannte QP: HIV- und HCV-AK nach 6 Monaten, anti-HBc nach 6 Monaten, wenn EP nicht immun
3) bekannte QP:
a) HIV-pos. QP: HIV-AK nach 4 (3 Monate nach PEP-Abschluss) u. 6 Monaten
b) HCV-pos. QP: GPT monatlich, oder nach 3 u. 6 Monaten, HCV-AK nach 3 u. 6 Monaten
c) HBV-pos. QP: anti-HBc nach 6 Monaten, wenn EP nicht immun

PEP bei invasiver Meningokokken-Erkrankung

Ein 16jähriges Mädchen fühlt sich krank, hat seit 2h Fieber, Kopfschmerzen, einen Meningismus und petechiale Hautläsionen. Der Hausarzt beginnt eine Therapie mit Ceftriaxon i.v. und im Spital zeigt sich ein trüber Liquor. Wer braucht in diesem Fall einer Meningokokken-Meningitis alles eine Prophylaxe?
Die Eltern bekommen eine Einmaldosis Ciproxin 500mg. Die 10jährige Schwester erhält 4 Dosen Rimactan im 12stündlichen Intervall, verteilt über 2 Tage, und wird mit Men CC geimpft. Die gesamte Schulklasse der Patientin braucht eine Einmaldosis Ciproxin 500mg, nicht jedoch die MPA in der Hausarztpraxis.

Das Ansteckungsrisiko beträgt 0,5-5% (75% <15 Tage), wobei das relative Risiko (RR) bei Familienangehörigen mit 1200-2000 am grössten ist (enger Kontakt und genetische Disposition).

Eine Meningokokken-Prophylaxe ist innerhalb von 10 Tagen nach Exposition indiziert bei:
1) engen Kontaktpersonen (>4h, letzte 10 Tage, gleicher Haushalt, im gleichen Zimmer geschlafen, Exposition gegenüber Nasen-/Rachensekret)
2) Kinderkrippe/Schule
3) Intubation/Reanimation (Da es sich um eine Übertragung durch Tröpfchen handelt, kann sich das medizinische Personal durch Tragen einer chirurgischen Maske vor der Exposition schützen, so dass sich anschliessend die Frage nach einer PEP gar nicht stellt.),
nicht jedoch bei Arbeitskollegen.

Wie?:
Erwachsene: einmalig 500mg Ciproxin p.o., Schwangere: 250mg Ceftriaxon i.m./i.v., Kinder <=14J: Rifampicin 10mg/kg KG p.o. alle 12h für 2d (inges. 4 Dosen)

Der Stellenwert der Impfung ist umstritten, da man nur gegen Serotyp C impfen kann, nicht aber gegen den in der Schweiz verbreiteten Serotyp B.

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Den Vortrag von Dr. Patrick Schmid (pdf-file) finden Sie hier