Arzt: Risiko und Nebenwirkungen für Patient und Gesellschaft

Es gibt keine Packungsbeilage zum Thema Arzt. Eine interaktive Diskussion soll mögliche Risiken und Nebenwirkungen des ärztlichen Handelns für das Individuum und die Gesellschaft beleuchten.

© Dr. Katia Boggian und Dr. Matthias Schlegel, Kantonsspital St. Gallen / 28. Februar 2008
*deutsch

Anhand von Erläuterungen rund zum Antibiotikaeinsatz einerseits und mittels Beispielen anhand von Problemkeimen" andrerseits gingen die beiden Referenten auf Patienten-orientierte individuelle Risiken (K. Boggian) und epidemiologische Risiken (M. Schlegel) ein. Zudem wurde die Fehlerkultur im Spital anhand dem CIRS (Critical Incidence Reporting System) erläutert.

Allgemeines:
Risiko ist die kalkulierte Prognose eines möglichen Schadens durch ärztliches Handeln. Ein Risiko wird meist bewusst eingegangen. Als Nebenwirkung ist eine Wirkung eines Arzneimittels, die nicht zu seinen beabsichtigten, erwünschten (Haupt-) Wirkungen gehört, zu verstehen. Eine Nebenwirkung beinhaltet die nicht beabsichtigte Wirkung des ärztlichen Handelns und wird meist unbewusst in Kauf genommen. Als Arzt ist immer zwischen 2 Risiken (dem kalkulierten und dem unerwünschten) zu unterscheiden. Als Fehler verstehen sich Abweichungen der Ergebnisse zielgerichteter menschlicher Handlungen von den Zielen der Handlung; festgelegte Forderungen
werden nicht erfüllt.

CIRS:
In der Schweiz geht man von um 3000 Toten/Jahr aus, die durch Fehler im Gesundheitssystem generiert werden. Das CIRS, welches der Flugsicherung abgeschaut ist, hat definitionsgmäss zum Ziel, Beinaheunfälle zu erfassen, im KSSG erfolgt dies anonym. Mit dem vermehrten Ansprechen und Zugeben von Fehlern soll mittels Einbau von Sicherheitsschlaufen versucht werden, künftige Fehler zu vermeiden. Natürlich gibt es trotz dem Einbau vieler
Sicherheitsschlaufen (z.B. Ebenen Struktur, Technik, Prozess, Kommunikation, Team und Individuum) keine absolute Sicherheit.

Antibiotikaeinsatz: Risiken für das Individuum:
– Als Beispiele von unerwünschten (keine therapeutische Alternative) oder vermeidbaren Arzneimittelnebenwirkungen (unnötiger Antibiotikaeinsatz) wurden exemplarisch die Entwicklung einer irreversiblen, dialysepflichtigen Niereninsuffizienz und eines schweren Stevens Johnson-Syndroms aufgrund von Betalactamen erwähnt.
– Es wurde die fehlerhafte Verabreichung eines Penicillins geschildert. Hierbei zeigte die retrospektive Analyse ein Versagen der Dokumentationsart (Penicillinallergie zwar dokumentiert, aber hinter post-it versteckt) und der Kommunikation mit dem Patienten (der Patient wurde statt auf Penicillin auf den Markennamen des Antibiotikums angesprochen). Als Konsequenz resultierte das Verbot von Anbringen von post-it auf die entsprechenden Krankengeschichten und das Hervorheben von Allergien mit Rotstift.
– Als Beispiel erfolgreichen Einbaus einer Sicherheitsschlaufe wurde die Hospitalisierung einer jungen Frau in gutem Allgemeinzustand zwecks Beobachtung (auf Wunsch der Eltern) geschildert, die zum korrekten, raschen Handeln führte, als im Verlauf Symptome einer Meningokokken-Meningitis offensichtlich wurden.
– Durch den Einsatz von Antibiotika können sich individuell Clostridium difficile assoziierte Diarrhöen entwickeln. Die Behandlung erfolgt in erster Linie mit Metronidazol. Ein Relapse wird zu 15-25% beobachtet, und nach einem Relapse erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für weitere Relapse. Bei einem Relapse handelt es sich praktisch nie um eine Resistenz gegen Metronidazol. Probiotika können dazu verhelfen, die Inzidenz zu senken und die Relapsrate zu vermindern
– Ciprofloxacin sollte aufgrund der raschen Resistenzentwicklung auf Staph. aureus nie als empirische Monotherapie für Weichteilinfekte (mit primär zu erwartendem grampos. Spektrum) eingesetzt werden
– Am Beispiel eines Therapieversagens auf Amoxicillin / Clavulansäure zur Behandlung eines Furunkels wurde auf die sinnvollen Sicherheitsschlaufen "Verlaufskontrolle in der Praxis" und "Keim- und Resistenzbestimmung" (anlässlich einer chirurg. Inzision mit dem Resultat eines MRSA, Methicillin resistenter staph. aureus) hingewiesen.

Antibiotikaeinsatz: Risiken für die Gesellschaft:
– Die Grenzen von ambulant versus im Spital erworbene Infektionen verwischen sich immer mehr. So wird zwar bei den MRSA klassischerweise unterteilt in den ambulant (beim jungen, gesunden, nicht im Spital Exponierten auftretend, aggressiv verlaufend) und stationär (Spital, alte, kranke Population mit Hautläsion, Immunosuppression) erworbenen MRSA, es scheint aber zunehmend eine Vermischung (Austausch genetischer Merkmale) zu geben. Resistente Keime zirkulieren auch innerhalb von medizinischen Institutionen ausserhalb des Spitals ("health care"-assoziiert).
– Es gibt grosse Unterschiede betreffend des Antibiotikakonsums. Systeme zur Erfassung des Konsums bestehen in Europa seit einigen Jahren, in der Schweiz seit letztem Jahr (CH: SEARCH = Sentinel Surveillance of Antibiotic Resistance in Switzerland). Die Schweiz verschreibt im europäischen Vergleich am wenigsten Antibiotika. Innerhalb der Schweiz besteht ein Ost-West-Gefälle: In der Westschweiz werden deutlich mehr Antibiotika verschrieben. Die Resistenzrate ist direkt mit der Verschreibungsrate causal verknüpft: In der Westschweiz
kommen beispielsweise vermehrt auf Penicillin resistente Pneumokokken vor.
– Clostridium difficile: Es besteht eine neue Epidemie. In den USA wurde die Prävalenz innert den letzten 10 Jahren bei stationären Patienten verdoppelt, in Grossbritannien im ambulanten Bereich verzehnfacht. Es gibt zudem einen hypervirulenten Stamm mit Ausbrüchen in den USA, GB, NL, B und Frankreich. Letzterer breitet sich schnell aus und zeichnet sich durch eine erhöhte Morbidität aus. Auch im KSSG nahm die Rate innert den letzten 6 Jahre sprunghaft zu (ca. Verdoppelung).
– MRSA: Bei Gesunden findet sich entweder ein spontan passageres oder ein chronisches Trägertum. Verschiedene Toxine tragen zur Virulenz bei, u.a. das PVL- (Panton-Valentin-Leukozidin) Zytoxin, welches zur Zerstörung von Phagozyten und Granulozyten führt. Auch beim MRSA besteht in der Schweiz ein Ost-West-Gradient zugunsten dem Westen mit einer Prävalenz bis zu 23% in Genf. Als wichtigster Uebertragunsmechanismus figuriert die Kontaktübertragung, diese meist über Hände.
– Das Konzept hygienischer Massnahmen beinhaltet Standardmassnahmen (Händedesinfektion vor und nach Patientenkontakt, Schutz bei möglichem Kontakt mit Körpersekret mittels chirurgischer Maske / Handschuhen / Schutzmaske) und bei Bedarf Zusatzmassnahmen (wie z.B. Kontaktisolation bei resistenten Keimen). Mit solchen Massnahmen kann beispielsweise im Spital die Uebertragung von Problemkeimen (wie z.B. MRSA) effizient
vermindert werden.

 

Den Vortrag von Dr. Katia Boggian und Dr. Matthias Schlegel (pdf-file) finden Sie hier