HIV-Prävention: Wird es eine Pille davor geben?
Eine Pille vor einem Sexualkontakt mit einer möglicherweise HIV-positiven Person könnte vor HIV schützen. Wie sollen wir damit umgehen, wenn die laufenden Studien dieser Pille eine gute Wirksamkeit attestieren?
Die Pille davor ist Gegenstand des Referates von Prof. Pietro Vernazza an den Münchner AIDS-Tagen in Berlin, 14.-16.3.2008. Wir präsentieren hier das ausführliche Abstract:
PREP – Chancen und Mythos der Pille davor
Die HIV-Prävention ist ein wichtiges Präventionsanliegen der öffentlichen Gesundheit. Die Erfolge der HIV-Prävention durch Propagation von safer-sex Verhalten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Präventionsmethode klar an Grenzen stösst. Die Wirkung der safer-sex Empfehlungen wird limitiert durch die Tatsache, dass Präventionsmassnahmen tief verwurzeltes und schlecht modifizierbares Sexualverhalten eingreifen.d
Der Einsatz von ergänzenden Methoden zur HIV-Prävention muss daher dringend geprüft werden. Der Einsatz von HAART zur HIV-Prävention ist eine mögliche Präventionsmethode, doch die Einsparungen werden durch den hohen Preis der Therapie erst nach einigen Jahren manifest.
Präexpositionsprophlyaxe (PREP) ist eine akzeptierte Methode für einige klar definierte Situationen. Sie wird nicht nur angewendet zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten wie der Malaria, sonder zum Beispiel auch als Jodprophylaxe im Falle einer drohenden Strahlenexposition zum Schutz der Schilddrüse vor Strahlenschaden. Die Anwendung der Methode für HIV muss zwingend geprüft werden.
PREP: Im Tierversuch erfolgreich
Im Tierversuch hat HIV-PREP seine Wirksamkeit deutlich bewiesen. Am besten studiert ist die Prä-Expositionsprophylaxe vor vaginaler oder rektaler Exposition mit SIV im Meerkatzen-Modell mit Tenofovir. Insbesondere bei der repetitiven Exposition ist die Wirksamkeit einer Kombination von FTC und Tenofovir der Mono-Prophylaxe überlegen. Inwieweit diese Ergebnisse auf den Menschen zu übertragen sind, ist ungewiss. Es scheint aber biologisch plausibel, dass ein Medikament, welches die Transkription von HIV in der Präintegrationsphase wirksam verhindern kann, auch in der Prä-Exposition wirken sollte
Die guten Erfahrungen mit den zahlenmässig bescheidenen Tierexperimenten müssen in klinischen Studien beim Menschen überprüft werden. Solche Studien sind zurzeit unterwegs, doch der Aufwand ist aufgrund der relativ geringen HIV-Inzidenz in den untersuchten Settings relativ gross. Die ersten Resultate dürften 2009 verfügbar sein.
PREP heute: Nur in kontrollierten Studien
In dieser Situation einer biologisch plausiblen aber nicht bewiesenen Wirksamkeit der PREP sollte die Methode wohl nur in sehr klar umschriebenen Indikationen eingesetzt werden. Eine solche Indikation ist unser Einsatz der PREP bei Paaren mit Kinderwunsch, welche trotz vollständig supprimierter Viruslast eine erhöhte Sicherheit für die Konzeption ohne Kondom suchen.
Doch es ist absehbar, dass die Wirksamkeit der PREP bald einmal wissenschaftlich bewiesen ist. Was dann? Ich denke, wir sollten uns heute schon Gedanken darüber machen, wie wir PREP einsetzten und optimal einführen wollen. Die Fachkommission Klinik und Therapie HIV/AIDS (FKT) in der Schweiz erarbeitet gegenwärtig einen Vorschlag für den konkreten Einsatz einer PREP.
Was bringt die Zukunft?
Ein zaghafter Blick in die Glaskugel lässt einige Probleme und Lösungsansätze erkennen. Dabei geht es primär um die Frage, ob und wie sich die bestehende Lücke der aktuellen Präventionsmassnahmen schliessen lässt.
Nicht Gegenstand dieses Vortrages, aber ebenso wichtig, ist der Einsatz der HAART zur Senkung der Infektiosität von HIV-infizierten Menschen. Für HIV-diskordante Paare mit regelmässigem Sexualkontakt ist der Einsatz der HAART beim infizierten Partner wohl die einfachste und sinnvollste präventiv wirksame therapeutische Massnahme.
In allen anderen Situationen, würde man meinen, sollte safer sex einfach durchzusetzen sein. Doch dem ist offensichtlich nicht so. Nach wie vor gibt es Personen, welche aus verschiedenen Gründen im entscheidenden Moment kein Kondom benutzen. Insbesondere in jenen Situationen, in welchen Personen für ihren persönlichen Genuss lieber ohne Kondom Verkehr haben und in ihrer Haltung bisher schlecht davon abzubringen waren, sollte der Einsatz von PREP diskutiert werden.
Wie sollten wir PREP einsetzen?
Wie sollte denn PREP eingesetzt werden. Die einzigen Studien, welche gegenwärtig PREP evaluieren, werden mit Tenofovir (+/- FTC) gemacht. Doch eine Langzeitgabe von Tenofovir bei sonst gesunden Menschen kommt schon aus Toxizitätsgründen nicht in Frage.
Ein möglicher Einsatz, der sich selbst etablieren wird, dürften kommerzielle Sexualkontakte im hetero- und homosexuellen Setting sein. PREP wird nicht billig sein. Für den zahlenden Partner, der nur selten Sex mit einer/einem Sexworker/in hat, ist der Preis (und auch potentielle kurzfristige Nebenwirkungen) für die einmalige Einnahme einer PREP vertretbar. Eine Herausforderung wird es sein, die Konsequenzen für die Sexworker abzuschätzen respektive diese vor einer massiven Nachfrage nach Sex ohne Kondom zu schützen.
PREP verbieten?
Sollten wir also PREP aus Angst vor schlecht kontrollierbaren Konsequenzen nicht einfach verbieten? Auf gar keinen Fall. Die Konsequenz wäre zweifelsfrei ein unkontrollierbarer Schwarzmarkt mit offensichtlichen Folgen: Wirtschaftlich schlechter gestellte HIV-positive Menschen würden einen Teil ihrer Medikation, z.B. Tenofovir, auf dem Schwarzmarkt verkaufen und hoffen, dass die anderen Substanzen für eine wirksame Therapie genügen. Die Konsequenzen für die öffentliche Gesundheit wären offensichtlich.
Das Gedankenexperiment zeigt, dass wir gut daran tun, uns rechtzeitig mit HIV-PREP auseinander zu setzen. Warnen würde ich vor restriktiven Massnahmen. Anstatt PREP zu verbieten, um einen möglichen Anstieg von STDs zu verhindern, würde ich eher den Ausbau von Teststellen für HIV und STDs vorantreiben, eine offene Diskussion über Risikobereitschaft und Möglichkeiten zur Risikoreduktion pflegen. Und vor allem: den richtigen Einsatz von PREP durch gute Schulung der Ärzteschaft sichern.
Aktive Integration von PREP in Prävention gefordert
Richtig eingesetzt heisst vor allem: Niemals (Mono- oder Bi-)PREP beim Vorliegen einer HIV-Infektion. Eine HIV-Testung und entsprechende Informationen sind zwingend. Und wie steht es mit dem Risiko der Resistenzbildung unter PREP, solange eine HIV-Infektion beim Nutzer ausgeschlossen wurde. Das Risiko dürfte vernachlässigbar sein. Bei einer sexuellen Transmission wird in der Regel ein einziges Virus übertragen. Die Chance, dass dieses eine Virus gerade eine Resistenz gegen die PREP-Substanz(en) aufweist ist verschwindend klein.
PREP wird kommen. Mediziner- und PräventionsexpertInnen und Vertreter des Gesundheitswesens werden gefordert sein. Wir tun gut daran, uns aktiv zu PREParieren.
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