Der Schlussbericht des Nationalfondprogramms über Antibiotikaresistenz (NFP 49) liegt vor!
Der Bericht wurde am 12.4.07 durch verschiedene ReferentInnen in den Räumlichkeiten des Nationalfonds in Bern präsentiert. Nebst spannenden Ergebnissen existiert nun eine seit dem 11.4.07 allen zugängliche Datenbank im Netz. Zudem besteht die Hoffnung auf die Fortführung der initiierten wissenschaftlichen Arbeit an einem Nationalen Zentrum für Antibiotikaresistenz.
Das Nationalfondprogramm 49 wurde von 2001 bis 2006 mittels 27 Projekten und einem Budget von 12 Mio. Franken erfolgreich durchgeführt. Als Ziel galt, eine Uebersicht über die gegenwärtige Antibiotikaresistenzsituation in der Schweiz zu erstellen und die damit verbundenen Implikationen zu benennen. Zudem sollte die Kooperation auf internationaler Ebene, inbesondere die mit der EU (die bereits Daten zur lokalen Resistenzlage besassen: EARSS) angestossen werden. Im folgenden finden sich beispielhaft einige am 12.4.07 präsentierte Ergebnisse. Als Hauptresultat gilt die Schaffung einer jedermann zugänglichen Datenbank. Die Schweiz ist nun zudem der ESAC (European Surveillance of Antimicrobial Consumption) angegliedert. Die Antibiotikaresistenzlage in der Schweiz ist im europäischen Vergleich zwar niedrig, wird aber insgesamt als alarmierend eingestuft. Detaillierte Informationen gibt es in Papierform, auf CD (via Nationalfonds) oder auf dem Netz unter www.snf.ch
Humanmedizin: Nationales Ueberwachungssystem für antibiotikaresistente Krankheitserreger
Aus 22 demographisch und geographisch repräsentativen mikrobiologischen Labors wurden wöchentlich sämtliche bakteriologischen Resultate gesammelt und analysiert. Hiermit dürften etwa 70-80% der Spitaltage und mindestens 30% der Meldungen praktizierender Aerzte gesammelt worden sein. Somit kann eine repräsentative Resistenzlage aus dem stationären wie dem ambulanten Alltag beschrieben werden. Bis dato sind 495 Bakterienarten absolut und 85000 Bakteriendaten pro Jahr erfasst worden. Im Jahre 2006 konnten 4 Hauptresistenzprobleme Schweizer Spitäler definiert werden: multiresistenter staph. aureus (MRSA), extensive spectrum Betalactamasebildner (ESBL: e. coli und Klebsiellen), multiresistente Pseudomonas aeruginosa und Acinetobacter spp. Diese Problemkeime machten ca. 4000 Fälle/a mit 1000 invasiven Infektionen, 400 Bakteriämien und 80 Todesfälle aus. Die MRSA-Resistenz ist im Steigen begriffen (aktuell gesamtschweizerisch 5-6% aller erfassten staph. aureus), beunruhigend sind hierbei auch die zunehmend ambulant erworbenen Kolonisationen (meist common variant) oder Infektionen. Die dadurch entstandenen reinen Behandlungskosten wurden im Jahre 2006 auf 14 Mio. Franken geschätzt, hochgerechnet dürften sich bei steigender Resistenzlage im Jahre 2015 reine Behandlungskosten von 140 Mio. Fr. ergeben. Auch die gesamtschweizerische Rate an resistenten e. coli bei Erwachsenen stieg im Jahre 2006 mittlerweile auf 18%, bei Kindern (restriktiver Einsatz bei möglichen Knorpelschädigungen) auf lediglich 4% an. Die Datenbank ANRESIS ist seit dem 11.4.07 für alle zugänglich (www.search.ifik.unibe.ch) und soll nebst der ständig aktualisierten Datenerfassung auch als Ausgangslage für folgende Empfehlungen und Forschungsprojekte dienen (als Beispiel: Erarbeiten einer schweizerischen Richtlinie zur ambulanten Behandlung einer Pneumonie).
Ueberwachung der Antibiotikaresistenzen bei Nutztieren
Die potentielle Uebertragung krankmachender Keime kann grundsätzlich auch via Tieren oder über Lebensmittel erfolgen. Beispiele eigentlicher Zoonosen sind Salmonellen und Campylobacter. Diese Erkenntnis rechtfertigt die Ueberwachung der Resistenzlage bei Nutztieren. Nach einem Pilot-Monitoring am Huhn wurde für andere Tierspezies ein Simulationsmodell und dann ein Vorschlag zur Routine-Monitorisierung entwickelt. Die Daten der Resistenzlagen erwiesen sich insgesamt als günstig (vergleichbar mit der tiefen Prävalenz skandinavischer Länder). Im Schweizer Poulet-Fleisch wurden im Vergleich zu Import-Geflügel geringere resistente Keime gefunden. Seit der Erfassung der Daten im Jahre 2004 zeigte sich ein Rückgang der Resistenz-Prävalenz, beispielsweise ein Rückgang des multiresistenten Campylobacter von 8.4% auf 5.1%. Diese vermeintlich spontane Lageverbesserung ist möglicherweise auf eine verbesserte Sensibilisierung der Geflügelfarmen zurückzuführen (überlegterer, gekonnterer Einsatz von Antibiotika). Bei der Schweinezucht konnte gezeigt werden, dass eine tierfreundliche Haltung zu geringerer Resistenzausbildung führt. Die weitere Monitorisierung von Nutztieren wird seitens des BAG in Zukunft weitergeführt werden (Ueberwachung von gesunden und kranken Tieren, Erfassung des Antibiotikaverbrauchs).
Antibiotika in der aquatischen Umwelt
Die in der Human- und in der Veterinärmedizin eingesetzten Antibiotika (machen je etwa 50% des schweizerischen Antbiotikakonsums aus) gehen nach der Ausscheidung unterschiedliche Wege: Humanpharmaka werden durch Kläranlagen nicht vollständig eliminiert. Veterinärpharmaka gelangen über Gülle in den Boden. Beide Pharmaka münden letztendlich in das Trinkwasser. Die grössten Anteile der verwendeten Pharmaka sind der Reihe nach in der Humanmedizin Betalactame, Sulfonamide, Makrolide und Chinolone. In der Veterinärmedizin machen der grösste Anteil (beinahe 50%) Sulfonamide aus, dann folgen Tetracycline und Betalactame. Die Analytik für Sulfonamide ist sehr aufwändig. Betalactame werden rasch abgebaut, Sulfamethazin hat eine lange Halbwertszeit (noch monatelang nachweisbar). Bis auf Betalactame werden alle in der Humanmedizin verwendeten Antibiotika ubiquitär in der aquatischen Umwelt gefunden, wobei die Konzentration in Bächen, Flüssen und Seen weit unterhalb der Wirkgrenzen liegen. Spitalabwässer enthalten die höchsten Antibiotikakonzentrationen an Humanpharmaka. In Spitalabwässern finden sich beispielsweise hohe Konzentrationen von Chinolonen (1-10ng/l), die nachher in absteigender Konzentration in den entsprechenden Wassersystemen immer noch nachgewiesen werden können. Es könnten Zusammenhänge zwischen Antibiotikakonzentrationen und der Ausbildung von Resistenzen bestehen. Es ist aber noch unklar, ob die relativ geringen aquatischen Antibiotikakonzentrationen zur Verbreitung resistenter Keime beitragen. Im Boden und in der Gülle wurden bereits viele Resistenzgene gegen Sulfonamide und Tetrazykline beschrieben. Ozon wäre eine geeignete Massnahme, um Abwässer von Antibiotika zu befreien. Andere Massnahmen sind fachgerechte Entsorgungen entsprechender Antibiotika-haltiger Behältnisse.
Molekularbiologie
Multiresistenter staphyloccus aureus (MRSA): Die Rolle von Membranproteinen für die Glykopeptidresistenz (TcA) ist bekannt. Es wurde einerseits eine rasche und effiziente molekularbiologische Screening-Methode zur Detektion von MRSA mit verminderter Suszeptibilität für Glykopeptide (GISA) entwickelt (bed side). Zudem besteht eine PCR-Methode, die innert 4 Stunden eine real-time Typisierung unbekannter oder neu identifizierter MRSA-Stämme erlaubt (4h, >100 Stämme/d, 4-5 Fr./Stamm). Als Grundlage dient dazu die PCR-Analyse der sogenannten Repetitionszonen im Genom, welche für evulotive Replikationsfehler verantwortlich sind. S. auch www.genomic.ch
Aspergillus fumigatus: In der Landwirtschaft werden häufig Azole eingesetzt. Hierbei zeigten sich bisher noch sehr niedrige Resistenzraten
Mycobacterium tuberculosis: Die Tuberkulose ist ein weltweites Problem, weltweit werden zunehmende Resistenzraten auf die vor etwa 40 Jahren entwickelten Tuberkulostatika beobachtet. Auf der Grundlage von langsamem Wachstum und perfect hiding kann die Ausbildung einer Resistenz bei Adhearance-Problemen verstanden werden. Das Biozentrum Basel ging unter Prof. Pieters der Frage nach, weshalb Mykobakterien das Immunsystem umgehen können. Es konnte gezeigt werden, dass Mykobakterien zwar korrekt von Makrophagen aufgenommen, dann aber nicht zu den Lysosomen gelangen, also nicht abgebaut werden. Ursächlich fand sich ein durch die Mykobakterien produzierte Kinase (PknG). Nach Ausschaltung dieser Kinase fand die lysosomale Aufnahme und Verdauung statt. Als künftiger therapeutischer Ansatz gilt die Verbesserung des angeborenen Immunsystems mit medikamentöser Ausschaltung der mykobakteriellen Kinase.
Sozioökonomische, rechtliche und regionale Faktoren
Als Ziel wurde nebst der Erfassung rechtlichen Grundlagen und der Thematik des Bioterrorismus die Untersuchung des regionalen Konsums von Antibiotika in der Schweiz im Vergleich mit anderen europäischen Ländern formuliert und der Versuch, die Faktoren zu identifizieren, die für kantonale oder regionale Variationen des Antibiotikakonsums verantwortlich sind. Zudem die Frage nach der Abschätzung der Wohlfahrtsminderung aufgrund von Resistenzen und der Einfluss der ärztlichen Selbstdispensation. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern besteht in der Schweiz ein relativ geringer Antibiotikakonsum, dennoch ist der Zustand alarmierend. Es gibt inter-kantonale Unterschiede (Kantone Genf, Waadt, Neuenburg mit analogen Resistenzraten wie Frankreich; Zentral- und Ostschweiz mit tiefsten Raten). Das Bewusstsein über das Thema der Antibiotikaresistenz ist in der schweizerischen Bevölkerung nicht allzu gross; die in der Schweiz hierzu angebotenen Quellen (Zeitungen, Beipackzettel für Antbiotika) sind eindeutig unzureichend. Es wurden Regresssionsanalysen unter Einbezug verschiedener Faktoren wie z.B. Aerzte-, Apothekerdichte, Zugang zu Antibiotika / Selbstdispensation, Antibiotikapreis, Einkommens-, Altersstruktur, kulturellen Eigenheiten durchgeführt. Als Resultat figuriert beispielsweise die ärztliche Selbstdispensation, die – warum auch immer (mit möglichen Thesen des Versuchs der Verhütung von stationären Aufenthalten einer ländlichen Bevölkerung, pekuniäre Interessen,….) – in der vermehrten Abgabe von Breitbandantibiotika mündet. Es konnte gezeigt werden, dass regionale Unterschiede bezüglich Antibiotika-Pro-Kopf-Konsum bestehen, ohne dies mittels Regressionsanalysen erklären zu können, was als Ausdruck regionaler Resistenzprobleme verstanden werden könnte. (Die Variable "Resistenz " war primär nicht vorhanden, um in die Berechnungen einfliessen zu lassen.) Als mögliche Lösungsansätze werden Informationskampagnen zum angemessenem Antibiotikaverbrauch an Fachleute und Patienten, standardisierte Vorgehensweisen in der Schweiz, die Förderung lokaler Richtlinien und die Festlegung von Anreizen selbstdispensierender Aerzte und eine verbesserte Informationsstrategie durch die Industrie vorgeschlagen.
Zukunftsvision
Etablierung eines Nationalen Zentrums für Antibiotikaresistenz (NARC) zur Ueberwachung und Auswertung der Antbiotikaresistenzlage, des -Konsums mit Implementierung von Meldewesen / Alarmierungssystemen sowie zur Expertise und Beratung, Erarbeitung von Richtlininen, Fortbildung, angewandten Forschung. Die hierfür notwendige Finanzierung wird auf Fr. 700’000 geschätzt, wovon jeweils Zusagen von je Fr. 150’000 durch das BAG und die Universität vorliegen. Der verbleibende Betrag von Fr. 400’000 harrt noch der Uebernahme (Beispiele möglicher Kostenträger: Spitäler, Kantone, Sponsoren). Wir sind über die bisherigen Resultate begeistert und hoffen sehr, dass die begonnene Arbeit weitergeführt werden kann!