WHO case management: Bedeutet Tachypnoe Pneumonie?

Seit den 90-er Jahren gibt es durch die WHO verfasste Leitlinien zur Diagnose und Therapie einer Pneumonie in Entwicklungsländern bei Kindern auf der Basis einer Tachypnoe. Der Erfolg dieser Strategie wurde anhand einer Mortalitätsreduktion um 27% in einer Metaanalyse dokumentiert. Die vorliegende Untersuchung von 2000 Kindern aus Pakistan mit klinisch vermeintlich unkomplizierter Pneumonie zeigt nun aber anhand von Röntgenbefunden, dass mindestens in 82% keine Pneumonie vorhanden ist. Ein praktisches Beispiel zur Demonstration wie bei hoher Sensitivität und tiefer Spezifität die Differentialdiagnose zur Diagnose mutiert.

Akute respiratorische Erkrankungen, allen voran Pneumonien, sind in Entwicklungsländern zu 20% für die Mortalität von Kindern unter 5 Jahren verantwortlich. Mit dem Ziel der Mortalitätsreduktion führte die WHO ein einfaches standardisiertes case management zuhanden der medizinischen Grundversorgung (inklusive nicht ärztlichem Personal) und bei schwerer Pneumonie auch auf Ebene der öffentlichen und privaten Spitäler ein. Als einziges Kriterium zur Diagnose einer unkomplizierten Pneumonie gilt die Tachypnoe (Atemfrequenz von 50 oder mehr zwischen 2 und 12 Monaten, 40 oder mehr zwischen 1 und 5 Jahren). Es bestehen altersbezogene Algorhythmen, die danebst aufgrund weiterer klinischer Kriterien die Notwendigkeit einer ambulanten vs. einer stationären antibiotischen Behandlung diskriminieren. In einer Metaanalyse zusammengefasste nicht randomisierte, nicht verblindete Studien zeigten eine durchschnittliche Reduktion der Gesamtmortalität um 27%, hierbei pneumonieassoziiert gar um 42%.

Die im BMJ erschienene Studie von Hazir et al. erhob die radiologischen Daten einer Studie, die randomisiert und doppel blind die Effektivität einer 3- und 5-tägigen Therapie einer "community acquired non-severe pneumonia" untersuchte (Ambulatorien städtischer Spitäler in Pakistan, 2000 Kinder, hiervon 50% bis 11 Monate und 50% 12-59 Monate alt). Die Röntgenaufnahmen fanden bei der Erstkonsultation statt, die Befundung zentral im Unwissen der Klinik durch zwei unterschiedliche Radiologen, wobei in 19% bei divergenter Diagnose die Entscheidung durch einen 3. Radiologen gefällt wurde. Klassifiziert wurde als Pneumonie (gemäss WHO-Kriterien), Bronchiolitis und normal. Von den 2000 Patienten standen 92% vorhandene und auswertbare Röntgenaufnahmen mit klinischem follow up zur Verfügung.14% der Röntgenbilder zeigten eine Pneumonie, 4% eine Brochiolitis und 82% keine radiologischen Veränderungen.

Somit wurden aus radiologischer Sicht mindestens 82% falsch diagnostiziert und unnötig behandelt. Der radiologische Ausschluss einer Pneumonie ist aber sicherlich mit Limitationen verbunden: Bei Babys und Kleinkindern ist die pulmonale radiologische Diagnostik schwierig, abhängig von der Erfahrung des Radiologen und auch der (üblicherweise) mitgeteilten Klinik. Danebst kann in Frühstadien einer klinisch diagnostizierten Pneumonie das radiologische Infiltrat noch fehlen. Letzteres Argument lassen die Autoren allerdings nicht gelten, da die Inzidenz radiologischer Veränderungen nicht mit der Dauer der Symptome (perakut vs. länger als 3 Tage dauernd) korrelierte.

Es scheint offensichtlich zu sein, dass mit der Strategie der WHO zwar die Pneumonie-assoziierte Mortälität gesenkt werden kann, dafür aber viele Kinder unnötig (Tachypnoen anderer Aetiologien) behandelt werden. Zumindest die durch die WHO festgelegten klinischen Kriterien bedürfen einer Spezifierung: möglicherweise könnten Einschlüsse von Symptomen wie beispielsweise assoziiertes Fieber oder isoliertes wheezing mit Frage nach promptem Ansprechen auf Beta2-Mimetika die Differentialdiagnose einer Pneumonie vermehrt ein- oder ausschliessen. Es bleibt noch viel zu tun…

Quelle: BMJ, 2006 Sep 23; 333(7569):629 Epub 2006 Aug 21