HIV und Genitaltrakt: Doch kein Virus-Reservoir

Eine Gruppe von HIV-Spezialisten aus Amsterdam macht Schluss mit der stetig wiederholten Behauptung, dass der Genitaltrakt ein besonderes "Reservoir" darstellt. Zu Recht, meine ich, doch ganz so einfach ist es doch wieder nicht.

Alles begann in St. Gallen

Die erste Studie, welche bei HIV Patienten eine unterschiedliche Wirksamkeit der HIV-Therapie im Genitaltrakt und im Blut zeigte, war eine Studie aus unserem Zentrum in St. Gallen. 1994 haben wir insgesamt 20 Patienten in ein Behandlungsprotokoll mit Saquinavir, dem ersten damals untersuchten Protease-Hemmer eingeschlossen. Die Substanz war, wie sich herausstellte, in dieser Form ein Flopp. Keine oder nur eine ungenügende Wirkung, wenige Patienten konnten die Virusvermehrung unterdrücken. Damals haben wir von all diesen Patienten Spermaproben vor und während der Therapie genommen. Dabei fiel uns auf, dass bei manchen Patienten das Virus im Genitaltrakt noch viel besser nachweisbar war als im Blut.

Virus im Sperma nicht immer das gleiche wie im Blut

Wir haben in der Folge die Virussequenzen in Blut und Sperma sequenziert. Was wir fanden, war eine Überraschung, die wie eine Bombe einschlug (AIDS Fasttrack 1996): Im Genitaltrakt fanden wir weniger Mutationen als im Blut, ein Zeichen dass die Viren im Genitaltrakt einem kleineren Selektionsdruck unterworfen waren, sich also gar nicht mutieren mussten. Speziell daran war aber, dass sich – und das war nur bei wenigen Patienten der Fall – die Viruspopulation im Sperma auch über mehrere Wochen hinweg von der Population im Sperma unterschied.

Seither haben dutzende von Arbeiten ein ähnliches Phänomen beschrieben und immer wieder von einem Virus-Reservoir gesprochen. Nun haben die Holländischen Autoren in einer sehr umfangreichen Literaturübersicht die Frage mit Recht etwas relativiert. Klar ist, dass nicht alle HIV-Medikamente gleich gut in die Samenflüssigkeit gelangen. Besonders gewisse Protease-Hemmer sind dort nur in ungenügender Konzentration vorhanden. Doch das, was wir in unserer Arbeit nur in 2 von 11 Patienten gefunden haben, nämlich eine ganz eindeutige Virusentwicklung über mehrere Wochen nur im Genitaltrakt, das ist doch eher eine Seltenheit.

Chronische Entzündung

Es gibt einige Personen, welche in ihrem Genitaltrakt eine chronisch entzündliche Erkrankung haben. Vielleicht ist es nicht einmal eine Erkrankung, sondern eine "Normvariante". Bei diesen Personen finden sich sehr viele weisse Blutkörperchen im Sperma und im Falle einer HIV-Infektion auch deutlich mehr Virus als bei Kontrollpersonen. Es scheint, dass sich das Virus bei diesen Personen im Genitaltrakt tatsächlich "lokal" vermehrt, das heisst, die Replikation richtet sich nach den Bedingungen im Genitaltrakt, wenn wenig Medikamente dort hin gelangen, dürfte das Virus im Genitaltrakt dieser Personen auch vermehrt resistenzen verursachen.

Wer die interessante Kritik der Holländer in der Julinummer des AIDS 2004 lesen will, findet den link dazu hier:

Quelle: Lowe et al, AIDS, 2004; 18;1353-62