Allgemeines zur HIV-Therapie

Die HIV-Infektion ist nach wie vor eine unheilbare Erkrankung. Es ist aber möglich, die Krankheit über Jahre mit einer HIV-Kombinationstherapie zu stabilisieren. Im folgenden finden Sie allgemeine Informationen zur HIV-Therapie.

1. Therapieindikation

Nicht jeder HIV-Patient/Patientin braucht eine Therapie. So wird eine Therapie bei asymptomatischen HIV-infizierten Personen, deren CD4-Zellzahl über 350/ul liegt nicht empfohlen, da bei diesen das Risiko für das Auftreten einer AIDS-definierenden Erkrankung aufgrund der noch guten Immunlage klein ist. Der Benefit einer HIV-Therapie ist hier im Vergleich zu deren potentiellen Nebenwirkungen zu klein.

Klare Therapieindikationen sind:

– symptomatische HIV-Infektion

– eine CD4-Zellzahl unter 200/ul

Nicht klar definiert ist die Therapieindikation bei asymptomatischen Patienten, deren CD4-Zellzahl zwischen 200 und 350/ul liegt. Hier muss individuell entschieden werden, ob eine Therapie begonnen werden soll oder nur unter engmaschigen Kontrollen weiter beobachtet wird.

Eine weitere mögliche Therapieindikation kann eine HIV-Primoinfektion sein. Die Meinungen der Experten sind hier aber nicht ganz einheitlich. Befürworter wollen mit einer frühen Therapie die gegen HIV gerichtete Immunantwort vor der Zerstörung durch HIV schützen. Dies in der Hoffnung, dass man in einigen Jahren Methoden haben wird, diese Immunantwort so zu stimulieren, dass HIV ganz unter Kontrolle gebracht werden könnte.

2. Adherence

Das A und O für den Erfolg einer HIV-Therapie ist die Adherence (Medikamententreue). Ist diese nicht gegeben, so hat es auch bei einer klaren Therapieindikation keinen Sinn, eine Therapie einzuleiten. Bei unregelmässiger Medikamenteneinnahme kommt es relativ rasch zu einem Therapieversagen infolge Resistenzbildung des HI-Virus. In einem solchen Fall können die Medikamente, gegen welche das Virus resistent geworden ist, nicht mehr eingesetzt werden, weil sie ihre Wirksamkeit für immer verloren haben.

Bei den meisten HIV-Therapien erfolgt die Medikamenteneinnahme alle 12h. Zwischenzeitlich gibt es auch schon Therapieregime, die nur noch alle 24h eingenommen werden müssen. Für einen langfristigen Erfolg sollten mindestens 95% der Dosen korrekt eingenommen werden. Dabei ist auch wichtig, dass das 12- bzw. 24-stündige Intervall zwischen den einzelnen Dosen gut eingehalten wird.

Die Einhaltung der Medikamententreue ist verständlicherweise nicht immer einfach. Vor allem am Anfang, wenn sich der Patient/ die Patientin noch nicht gewohnt ist, regelmässig an die Medikamenteneinnahme zu denken, gehen Dosen vergessen, was bereits zu einer Resistenzbildung führen kann. Um dies zu vermeiden, bieten wir unseren Patienten/Patientinnen vor Einleitung der eigentlichen HIV-Therapie ein sogenanntes MEMS-Training an.

Weitere Informationen zu Compliance, HIV-Therapie und MEMS finden Sie hier.

3. Die verschiedenen HIV-Medikamentenklassen

Bei der Therapie der HIV-Infektion werden immer mehrere HIV-Medikamente (in der Regel 3) gleichzeitig eingesetzt. Im Falle einer Therapie mit weniger als 3 Medikamenten treten rasch Resistenzen auf. Deshalb sollte auch bei einem Therapieab- oder -unterbruch nie nur einzelne Medikamente, sondern immer alle zusammen abgesetzt werden.

Es gibt 4 verschiedene Medikamentenklassen:

– Nukleosidanaloga (NRTI) und Nukleotidanaloga (NtRTI) Reverse-   Transkriptase Hemmer
– Nicht-Nukleosidanaloga Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI)
– Proteasehemmer (PI)
– Entry Inhibitoren oder Fusionshemmer (EI)

Welche Medikamente für die Kombinationstherapie ausgewählt werden, wird individuell von Fall zu Fall entschieden. Bei der Medikamentenauswahl müssen verschiedenste Faktoren berücksichtigt werden wie Therapievorgeschichte, Resistenzprofil des jeweiligen HI-Virus, Unverträglichkeiten, Begleiterkrankungen und Interaktionen. Bei einer bisher nicht behandelten Person werden bei der ersten Therapie meist 2 NRTI mit einem PI oder allenfalls einem NNRTI kombiniert.

4. Wirkungsmechanismen der HIV-Medikamente:

a) Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI, NtRTI und NNRTI)

Sämtliche Reverse-Transkriptase-Hemmer behindern die Uebersetzung der genetischen Information des Virus von RNA in DNA. Auf diese Weise kann das HI-Virus sein Viruserbmaterial nicht in das Erbmaterial der Wirtszelle einbauen, was zu seiner Vermehrung absolut notwendig ist. Dadurch wird die Infektion von neuen Zellen verhindert.

NRTI und NtRTI sind Reverse-Transkriptase-Hemmer, die beim Uebersetzen des viralen Erbgutes als falsche Bausteine in die Viruserbgutübersetzung eingebaut werden. Hierdurch wird der Uebersetzungsprozess abgebrochen. Die NRTI müssen in der infizierten Zelle durch 3fache Phosphorylierung in ihre aktive Form umgewandelt werden, bevor sie wirksam werden können. Dagegen braucht ein NtRTI nur 2 Aktivierungsschritte.

NNRTI sind spezifische Hemmer der Reverse-Transkriptase, ohne dass sie als falsche Bausteine bei der Viruserbgutübersetzung fungieren.

b) Proteasehemmer (PI)

Bei der Produktion von neuen HI-Viren in der Wirtszelle werden gemäss viraler Erbinformation Eiweisse hergestellt, die zum Aufbau neuer Viren gebraucht werden. Diese Eiweisse sind Vorfabrikate, die zuerst durch Eiweissscheren, den sogenannten Proteasen, entsprechend zugeschnitten werden müssen, damit sie funktionieren. Die Proteaseinhibitoren hemmen wie es ihr Name sagt, die Virusvermehrung auf diesem Niveau.

c) Entryinhibitoren (EI)

EI verhindern den Eintritt von HIV in die Wirtszelle, d.h. dass nicht-infizierte Zellen durch EI gegen HIV geschützt werden. Die Produktion von Viren, die bereits vor Therapiebeginn Zellen infiziert haben, kannn aber durch EI nicht  verhindert werden. Der erste Entry-Inhibitor (Fuzeon) ist in der Schweiz seit Juni 03 erhältlich.

5. Nebenwirkungen der HIV-Therapie

Die HIV-Therapie kann diverse Nebenwirkungen verursachen. Die Nebenwirkungen sind in der Regel in den ersten 3-4 Therapiewochen am stärksten und nehmen dann ab. Wenn auch 4 Wochen nach Therapiebeginn immer noch eine schlechte Verträglichkeit besteht, muss eine Umstellung der Therapie diskutiert werden. Im folgenden finden Sie Informationen zu den allgemeinen Langzeitnebenwirkungen der HIV-Therapie. Die spezifischen Nebenwirkungen der einzelnen HIV-Medikamente finden sie in unserer Zusammenstellung aller aktuell verfügbaren HIV-Medikamente.

Bei einer Proteasehemmer-haltigen Therapie kann es zu Hyperlipidämien (zu hohe Blutfette) kommen, die zu einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos führen. Ebenso kann es zu Blutzuckerentgleisungen kommen. Deshalb braucht es regelmässige Kontrollen der entsprechenden Blutwerte. Bei Auftreten der obengenannten Komplikationen muss von Fall zu Fall individuell entschieden werden, ob eine Umstellung der HIV-Therapie sinnvoll ist. Manchmal braucht es auch zusätzliche Medikamente, die den Cholesterin bzw. den Blutzucker senken. Dabei ist auf die möglichen Interaktionen mit den HIV-Medikamenten zu achten.

Die NRTI können eine mitochondriale Toxizität mit Lipodystrophie (Umverteilung des Fettgewebes mit Abnahme des Fettgewebes an den Extremitäten, Gesäss und im Gesicht und/oder Zunahme des Fettgewebes abdominal und im Nacken) oder Laktatazidose hervorrufen. Auch diesbezüglich braucht es regelmässige klinische und labormässige Kontrollen. Viread (Tenofovir), ein neueres Medikament, das zur Gruppe der NtRTI gehört, hat im Vergleich zu den NRTI bezüglich mitochondrialer Toxizität das günstigste Nebenwirkungsprofil, Zerit (Stavudin), das am wenigsten günstigste und wird deshalb nur noch selten eingesetzt. Auch die PI können zur Entstehung einer Lipodystrophie beitragen. Wird wegen dieser Nebenwirkung eine Therapieumstellung auf ein Regime mit geringerer mitochondrialer Toxizität vorgenommen, so kann das Fortschreiten der Lipodystrophie meist verlangsamt oder sogar gestoppt werden. Die Rückbildung der Fettumverteilung nach Therapieumstellung ist weniger häufig.

6. Interaktionen

HIV-Patienten und -Patientinnen, die therapiert werden, müssen darüber informiert werden, dass viele HIV-Medikamente mit anderen Medikamenten Wechselwirkungen haben. Gewisse Medikamente können die Metabolisierung von HIV-Medikamenten beschleunigen oder deren Resorption negativ beeinflussen, was infolge eines ungenügenden HIV-Medikamentenspiegels im Blut zu einem Therapieversagen führen kann. Andere Medikamente können aber auch die Metabolisierung von HIV-Medikamenten hemmen und so durch Erhöhung der HIV-Medikamentenspiegel zu toxischen Erscheinungen führen. Im Falle einer Einnahme von zusätzlichen nicht HIV-Medikamenten sollte jeder Patient / jede Patientin mit ihrem Arzt / ihrer Aerztin Rücksprache nehmen. Auch Medikamente natürlicher Herkunft können Wechselwirkungen mit der HIV-Therapie verursachen. Ein bekanntes Beispiel ist das Johanniskraut, das bei leichten bis mittleren Depressionen eingesetzt wird, und mit den Proteasehemmern interagiert. Ebenso kann Grapefruitsaft zu Interaktionen mit der HIV-Therapie führen.

Es gibt diverse Webseiten, die über Interaktionen Auskunft geben. Die Qualität ist aber unterschiedlich. Hier einige direkte Links zu solchen Webseiten:

7. Therapieüberwachung

Eine HIV-Therapie braucht eine regelmässige Ueberwachung der Therapieverträglichkeit und des Therapieansprechens:

Eine erste Kontrolle erfolgt 2 Wochen nach Therapiebeginn. Hier wird v.a. die Therapieverträglichkeit beurteilt. Die 2. Kontrolle erfolgt 4 Wochen nach Therapiebeginn. Zu diesem Zeitpunkt wird erstmalig die HI-Viruslast zur Beurteilung des Ansprechens gemessen. Bei einem adäquaten Ansprechen sollte diese um mind. 1 log Kopien/ml abgefallen sein. Bei komplikationslosem Verlauf wird danach der Patient in 3-monatigen Abständen kontrolliert. Eine optimale Virussuppression, bei welcher die Viruslast unter 50 Kopien/ml liegen sollte, wird in der Regel innerhalb von 4-6 Monaten erreicht.

Unter Therapie kommt es zudem zu einem Anstieg der CD4-Zellzahl und damit zu einer Verbesserung der Immunlage. Die CD4-Zellzahl wird in 3-monatlichen Abständen kontrolliert. Die Geschwindigkeit und das Ausmass des CD4-Zellzahlanstiegs ist individuell verschieden.