SARS – was uns sein Genom erzählt

Das Genom des SARS-Coroanvirus ist entschlüsselt. Vergleichende Analysen zwischen verschiedenen Isolaten lassen die wissenschaftliche Welt aufhorchen: Verhält sich das Virus anders, als dies aufgrund der Erfahrungen mit anderen Coronaviren anzunehmen war? Hat die SARS-Epidemie eine andere Dynamik, als vermutet?

Bei Coronaviren handelt es sich um +-Strang RNA-Viren, welche über das grösste Genom unter den RNA-Viren verfügen. Das Genom aller Coronaviren kodiert unter anderem für die Proteine N (Nukleokapsid), M (Membran), E (Envelope=Hülle) und S (Spike). Das Spike-Protein ist essentiell für die Aufnahme des Virus in die Wirtszelle und damit für den Gewebetropismus des Virus verantwortlich. Die Virulenz des Virus ist abhängig von Mutationen im Genlokus des Spike-Proteins. Gegen das Spike-Protein ist auch hauptsächlich die Immunantwort des Wirts gerichtet. Aus diesem Grund unterliegt diese Genregion einem grösseren Selektionsdruck. Die Gruppe der Coronaviren zeichnet sich insgesamt durch eine hohe Mutationrate aus, durch welche sie dem Immunsystem des Wirts immer wieder entkommen können und neue Stämme bilden. Die Mutationsrate des SARS-Coronavirus ist somit wichtig für das Verständnis der SARS-Verbreitung.

Das Genom des SARS-Coronavirus ist inzwischen vollständig entschlüsselt. Ruan et al. untersuchten 14 verschiedene Isolaten des SARS-Coronavirus aus Singapore, China und Kanada. In diesen 14 Isolaten fanden sie 16 Genloci, in denen jeweils mindestens in zweien dieser Isolate eine Mutation aufgetreten war. Mutationen, welche nur einmalig aufgetreten waren, wurden von den Autoren nicht berücksichtigt, da diese während der Kultivierung aufgetreten sein könnten.

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Abb.: Das SARS-Coronavirusgenom besteht wie die Genome anderer Viren der Coronavirus-Familie aus 11 open reading frames, welche für 23 Proteine kodieren. Die meisten strukturellen Proteine liegen auf der zweiten Hälfte des Genoms (S, E, M und N); auf der ersten Hälfte sind Proteinasen und die RNA-abhängige-RNA-Polymerase (NSP9), sowie einige Proteine mit unbekannter Funktion kodiert. Die von Ruan et al. gefundenen Mutationsorte sind mit Pfeilen gekennzeichnet.

Die Resultate und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen werfen ein neues Bild auf die Epidemiologie des SARS-Coronavirus:

  • Vergleiche des gesamten Genoms mit bekannten Coronavirenstämmen ergaben lediglich geringe Homologien. Der SARS-Coronavirus bildet eine eigenständige Gruppe unter den Coronaviridae.

  • Phylogenetische Analysen ergaben, dass inzwischen unterschiedliche Virusstämme existieren.

  • Die Wahrscheinlichkeit eines Auftretens einer Mutation ist erstaunlich und wider erwarten gering.

  • Selbst in der Genregion, welche für das Spike-Protein kodiert, sind Mutationen selten. Gerade in diesem Genlokus wäre -wie oben ausgeführt- aufgrund des Selektionsdrucks eine höhere Mutationsrate zu erwarten.

Diese bemerkenswerte genetische Stabilität lässt einige teils beängstigende Hypothesen und Schlussfolgerungen zu:

  • Der SARS-Coronavirus scheint gut an den menschlichen Wirt adaptiert zu sein.

  • Durch die geringe Mutationsrate sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Virus in eine weniger virulente Richtung entwickeln wird.

  • Andererseits wird dadurch die Entwicklung einer Impfung etwas vereinfacht.

Es bleibt also zu befürchten, dass die Virulenz des Virus nicht von selbst innert kurzer Zeit abnimmt.

Vor diesem Hintergrund kann auch der Ursprung des SARS-Coronavirus in einem neuen Licht gesehen werden. Möglicherweise ist dieser schon vor längerer Zeit auf einem menschlichen Wirt präsent gewesen, um nach der geeigneten Mutation oder Gentransfer zu einem beängstigenden Pathogen zu werden.

 

Ruan et al. Comparative full-length genome sequence analysis of 14 SARS coronavirus isolates and common mutations associated with putative origins of infection. Lancet 2003, online publication 9.5.2003

 

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