HIV"s Sirenengesang – die verführerische Seite des HIV

Die "attraktive" Seite des HI-Virus: das virale tat-Gen-Produkt greift auch in die Genexpression zellulärer Gene ein. Dadurch vermehrt gebildete Zytokine locken weitere Zellen an die schon infizierte Zelle heran.[Abb.: Eine Sirene bezirzt auf einem Felsen sitzend den (nicht sichtbaren) Odysseus; griech. Vase, Antikenmuseum München]

Virale tat-Gen-Produkte steuern die HI-Virusreplikation, indem sie zelluläre Enzymen an das HIV-Genom heranführt, um so die Transkription der viralen Proteine zu ermöglichen bzw. zu verbessern. Fehlt tat, so ist die HIV-Genexpression stark beeinträchtigt.Izmailova et al. haben in ihrer Studie den Einfluss von tat auf die zellulären Gene ruhender dendritischer Zellen in Zellkulturen untersucht. Diese gehören zu der ersten Immunzellen, welche bei einer HIV-Infektion mit dem eindringenden Virus in Kontakt kommen. Es zeigte sich, dass tat nicht nur HIV-, sondern auch zelluläre Gene steuern kann. Durch tat werden insbesondere Gene aktiviert, deren Genprodukte (Zytokine u.a.) für die Zellmigration und die Chemotaxis wichtig sind.tat

Abb.: In einer HIV-infizierten Zelle rekrutiert tat zelluläre Transkriptionsfaktoren für die Virusreplikation und führt diese zu den long terminal repeats (LTR) des Pro-Virus-Genoms. Durch einen noch unbekannten molekularen Mechanismus induziert tat jedoch auch die Replikation zellulärer Gene, welche für Chemokine kodieren. Die dadurch vermehrte Chemokinproduktion der infizierten Zelle lockt weitere Monozyten und aktivierte CD4-T-Lymphozyten an. Durch die entstehende bindungsbedingte Nähe könnte die Virusübertragung auf genau die Zellen, welche spezifisch gegen das HIV gerichtet sind, effizienter stattfinden und die Immunantwort durch das HI-Virus gezielt geschwächt werden (vgl. [Quelle: Nature Medicine]

HIV scheint sich des tat zu bedienen, um noch nicht infizierte CD4-positive Lymphozyten anzuziehen und diese infizieren zu können. Dieser Infektionsmodus erscheint weitaus effizienter als eine "zellfreie" Übertragung, da die meisten CD4-Zellen sich normalerweise in einer Ruhephase (G0) befinden und damit einer HIV-Infektion entgehen. Es wäre jedoch falsch, dem Virus auf menschliche Logik basierende Verschlagenheit zuzugestehen, könnten doch tat-Proteine auch nur "aus Versehen" in die Regulation der menschlichen Gen-expression eingreifen.Tat war schon vor diesen neuen Erkenntnissen ein attraktiver Kandidat für therapeutische Interventionen. Durch diese Studie nimmt seine Attraktivität noch weiter zu, und es bleibt abzuwarten, ob die Anziehungskraft des HI-Virus zu brechen ist.

Stevenson M. Tat"s Seductive Side. Nature Medicine 2003; 9: 163-4.Izmailova et al. HIV Tat Reprograms Immature Dendritic Cells to Express Chemoattractants for Activated T Cells and Macrophages. Nature Medicine 2003; 9: 191-7.