Akute HIV-Infektion: Doch ein therapeutischer Notfall?

Neuere Arbeiten weisen darauf hin, dass es während einer akuten HIV-Infektion zur vollständigen Elimination der CD4 Lymphocyten im Darm kommt. Ein kurzer Review im J Allerg Clin Immun fasst das Wissen über die Rolle des intestinalen Immunsystems in der HIV-Infektion zusammen.

mehandru.jpgWir haben bereits in unserem Bericht vom CROI_2005 über diesen Zusammenhang berichtet (Dani Douek, S. 4). Die kurze Übersichtsarbiet von Mehandru und Kollegen fasst die wichtigsten Grundlagen für diese neue Hypothese zusammen.

Die Hypothese, welche nun eine immer breitere Anhängerschaft findet, geht davon aus, dass während der Erstinfektion mit HIV vor allem die Lymphocyten in der Darmschleimhaut eliminiert werden. Diese Zellen gehören zum sogenannten Lympho-Retikulären System und bilden im Darm die submukosalen Lymphfollikel. Schon drei Wochen nach einer HIV-(Primo-)Infektion sind diese Lymphfollikel bei der Colonoskopie nicht mehr erkennbar. Auch im mikroskopischen Bild (rechts, untere Hälfte) zeigt sich nach HIV Primoinfektion (im Vergleich zu einer HIV-negativen Person, obere Hälfte) dass die Lymphozyten (und zwar vor allem Memory-CD4 Zellen) zwischen den Darmfollikeln völlig fehlen.

Die Konsequenzen dieses Zerfalls des Immunsystems im Darm sind noch nicht klar. Es ist aber möglich, dass damit eine wichtige Vorausseztung für die chronische Aktivierung des Immunsystems gegeben ist (Darm-Pathogene aktivieren das Immunsystem). Doch genau diese Aktivierung des Immunsystems ist letztendlich für die Progression der HIV-Erkrankung verantwortlich.

Diese relativ neuen Erkenntnisse lassen vermuten, dass wir vielleicht doch eher eine vorzeitige Therapie in Erwägung ziehen sollten. Wir halten es in St. Gallen so, das wir Patienten mit HIV-Primoinfektion primär eine sofortige Therapie empfehlen. Später, wenn dann einmal die vielen weiteren Fragen im Zusammenhang mit der HIV-Infektion geklärt sind, diskutieren wir mit den Patienten, ob man die Therapie fortsetzen will oder nicht. Umgekehrt lässt sich das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen.

Quelle: Mehandru et al, J Allerg Clin Immunol, 2005: 116:419