Was haben Postkutschen mit der Epidemiologie der Grippe zu tun?

Vom Altertum bis weit ins Mittelalter meinte man landläufig, dass der Wind uns die Grippesymptome bringt. Ein grosser Philosoph war es, der durch scharfe Beobachtungsgabe die Hypothese der Mensch zu Mensch-Übertragung aufstellte.

Die reine Vernunft:
Es war Emanuel Kant, der 1782 im Rahmen einer Grippe-Pandemie beobachtete, dass sich die Infektionskrankheit weltweit nie schneller als die Postkutschen von einem Ort zum anderen ausbreitete. Diese Beobachtung hat wohl auch in der Moderne für die Pandemievorbereitung grosse Bedeutung. Die Sars-Epidemie hat bestätigt, dass wir heute für den Fall einer Pandemie mit einer globalen Verbreitung der Influenza innert Tagen bis Wochen rechnen müssen.

Die Sondernummer
Die Novembernummer 2007 der Therapeutischen Umschau präsentiert nicht nur die Geschichtlichen Aspkete der Influenza. Die Sondernummer, von Schweizer Infektiologen, Virologen, Epidemiologen und Public Health Experten verfasst, präsentiert einen breiten Überblick über die heutigen Möglichkeiten, sich wirksam vor einer Grippe zu schützen aber auch zu Klinik, Diagnostik und Therapie – sowohl der saisonalen wie der pandemischen Influenza.

Schütze deinen nächsten – impfe dich selbst
In dieser Sondernummer ist es uns auch ein besonderes Anliegen darauf hinzuweisen, dass wir ältere und abwehrgeschwächte Personen besonders wirksam schützen, indem wir die Immunität der gesunden jungen Menschen durch die Impfung erhöhen. Dieses Prinzip haben uns die Japaner in den 60-er und 70-er Jahren vorgelebt, indem Sie ihre Kleinkinder und nicht die alten Menschen gegen Grippe geimpft hatten (Reichert et al, NEJM, 2001,344:889-896). Im Vergleich mit der US-Strategie, welche auf die Impfung von über 60-jährigen setzt, war das Japanische Vorgehen bezüglich Senkung der Mortalität viel wirkungesvoller. Kein Wunder, denn die Personen, welche infolge alterbedingter Immunschwäche besonders gefährdet sind, sind auch jene, welche schlecht auf die Impfung reagieren können.
Besondere Bedeutung erlangt das Konzept "Schütze deinen nächsten" im Pflegebereich. Doch leider ist gerade hier das Verständnis für diese Massnahme vielerorts kaum vorhanden. Reine Vernunft?

Influenza ist keine Bagatelle
Ich mag mich an keine klinische „Grippevorlesung“ während meines Medizinstudiums erinnern. Die Infektion wurde bestenfalls als Banalität behandelt. Erst die Verfügbarkeit von spezifischen Neuraminidasehemmern brachte die Grippe ins Gespräch. Eine Firma hat mit einer Plakataktion und Taschentüchern die Schweizer Bevölkerung auf die kommende Grippesaison aufmerksam gemacht. Plötzlich wurden uns die sozioökonomischen Kosten der Influenza vorgerechnet. Tatsächlich ist die Grippe keine harmlose Erkrankung für viele ältere und chronischkranke Menschen. Auch wenn Berechnungen mittels Excess-Mortalität während einer Grippesaison belegen, dass jedes Jahr 400 bis 1000 Menschen an Influenza sterben, übersehen wir dies im klinischen Alltag leicht. Denn im Einzelfall ist der Beitrag der Infektion für den letalen Verlauf selten zu erkennen. Und dennoch, können wir die Neuraminidasehemmer tatsächlich so effizient einsetzen, dass sie einen wesentlichen Einfluss auf die Gesamtmortalität haben werden? Und werden wir dadurch tatsächlich Kosten einsparen? Können sie eine Pandemie verhindern? Und wenn sie das nicht können, wie sollen wir uns dann in der Praxis auf die Grippe vorbereiten.

Die Novemberausgabe der Therapeutischen Umschau  gibt Antworten auf einen Teil der Fragen. Auch wenn die Influenza-Pandemie im Moment noch nicht vor der Tür steht, so müssen wir doch damit rechnen, dass wir auf einmal sehr überraschend mit dem Problem konfrontiert werden. Die geistige Vorbereitung hilft. Denn die Postkutschen von heute bewegens sich wesentlich schneller als zu Kant’s Zeiten.

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