Penizillin durch Notfallarzt bei Verdacht auf Meningitis – sinnvoll?

Einige Experten empfehlen eine notfallmässige Injektion mit Penizillin G noch bevor ein Patient mit Verdacht auf Meningitis in ein Spital eingewiesen wird. Eine neue Arbeit geht untersucht den Nutzen dieser Massnahme.

Eine Infektion mit Meningokokken ist potentiell eine schwere lebensbedrohliche Erkrankung, ein schnelles Handeln aller Beteiligten im Verdachtsfall ist hierbei unerlässlich. In England haben viele Hausärzte Benzyl-Penicillin in ihrem Notfallkoffer, um dieses bei einem Verdacht auf eine Meningokokkeninfektion rasch parenteral verabreichen zu können. Die Studienlage zu diesem Thema ist laut den Autoren widersprüchlich. So zeigten Cartwright et al. 1992 einen deutlichen Benefit bei Kindern, die bereits ambulant (parenteral) Penicillin erhalten hatten. Im Gegensatz dazu stellten zwei dänischen Studien (Sorensen et al., Norgard et al.) bei entsprechender Behandlung eine erhöhte Mortalität fest. Harnden et al. versuchten nun diesen Widerspruch mit einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie zu klären.

Die retrospektive Untersuchung umfasste die Fälle von 158 Kindern (26 Todesfälle, 132 Überlebende), bei denen ein niedergelassener Arzt, der die Möglichkeit hatte parenteral Penicillin zu verabreichen, ambulant die Verdachtsdiagnose einer Meningokokkenerkrankung stellte. 105 (von 158) Kindern erhielten das Medikament vor Spitaleintritt.

Hauptgründe gegen eine Gabe von Penicillin waren: Unsicherheit bei der Diagnose (57%), Penicillinallergie, Vermeidung von Transportverzögerungen. Die Auswertung widersprach den allgemeinen Erwartungen: Die Gabe von Penicillin war mit einem deutlich höheren Mortalitätsrisiko assoziiert. Die vorbehandelten Kinder hatten auch eine höhere Komplikationsrate. Allerdings waren Kinder, die vorab Penicillin erhielten, auch signifikant schwerer erkrankt (Messung anhand des: Glasgow meningococcal septicaemia prognostic score GMSPS).

Der Hauptgrund für das schlechtere Outcome nach ambulanter Penicillingabe war sicherlich, dass schwerer erkrankte Kinder häufiger Penicillin erhalten haben. Eine weitere Überlegung der Autoren war, dass die Kinder durch die Freisetzung von Endotoxinen vor Spitaleintritt bereits einen Schock entwickelten und so eine schlechtere Prognose hatten. Gegen diese Annahme sprach jedoch, dass keine Assoziation zwischen der Schwere der Erkrankung und der Transportzeit gefunden wurde. Ein weiterer wichtiger Faktor war der mögliche Einschluss von Kindern mit Meningokokkenerkrankung, die vom Hausarzt gesehen, aber nicht mit der entsprechenden Verdachtsdiagnose in das Spital eingeliefert wurden. Bei Einschluss dieser (weiteren 166) Kinder in die Studie hätte sich die Odds-Ratio deutlich von 5,96 auf 1,45 reduziert!

Die Studie ist kontraintuitiv: Jeder würde erwarten, dass eine frühere Behandlung einer akuten Infektionskrankheit bessere Heilungschancen haben sollte. Sicher nicht schlechter. Ein Selektionsbias, wie er auch von den Autoren als Erklärung vorgeschlagen wurde, dürfte schwierig zu kontrollieren sein.

Ob die Fragestellung je mit einer randomisierten, kontrollierten Studie schlüssig beantwortet werden kann, ist fraglich. Nachdem mindestens für Pneumokokken-Pneumonien auch gezeigt ist, dass eine frühe Steroid-Gabe das Therapieresultat verbessert, müssten dann sicher auch noch Steroide zuvor verabreicht werden. Sicher sind unverzügliche Diagnostik und notfallmässiger Transport die beiden wichtigsten Faktoren. Vielleicht können wir noch etwas verbessern, wenn die Steroidtherapie rechtzeitig (ev. schon auf dem Transport) verabreicht und das Antibiotikum unmitttelbar nach Spitaleintritt verabreicht wird.

Quelle: Harnden et al, BMJ 24. März 2006