Medikamente bei Kindern

Tenofovir im Kindesalter als First Line Option?
In Europa werden im Kindesalter in der First-Line-Behandlung einer HIV-Infektion – vorausgesetzt HLA-B57 ist negativ – 3TC und ABC in Kombination mit einem PI oder NNRTI eingesetzt (Penta 2009). Das NRTI Tenofovir ist im Alter <18 Jahre gar nicht zugelassen. Die FDA hat Anfang 2012 nun Tenofovir ab dem Alter von 2 Jahren zugelassen (AIDSinfo). Die Dosierung ist 300mg OD ab dem Alter 12 Jahre oder Körpergewicht > 35kg. Für jüngere und leichtere Kinder gilt 8mg/kg OD. Zusätzlich zu Tabletten à 300mg sind Dosierungen zu 150mg/200mg/250mg und ein Pulver mit 40mg/1g verfügbar. In der Session 12 wurden die bisherigen Daten zu Tenofovir im Kindesalter zusammengefasst und neue Studienresultate aus Thailand präsentiert. Kann Tenofovir als First Line Option im Kindesalter empfohlen werden?

Wirksamkeit gegenüber Placebo und bisherigen NRTIs
Peter Havens aus Milwaukee, Wisconsin analysierte die beiden Studien der FDA Zulassung. Eine Untersuchung aus Brasilien umfasste Jugendliche im Alter zwischen 12-18 Jahren. Bei diesen knapp 90 Adoleszenten mit Virämie unter der aktuellen cART zeigte sich nach 24 Wochen keine Wirksamkeit bei Zugabe von TDF (N=45) gegenüber Placebo (N= 42; siehe Della Negra, 2012, PIDJ). Allerdings zeigte sich in beiden Gruppen ein hoher Anteil an Resistenzen gegenüber TDF und dem OBR (optimized background regimen). Zusätzliche Informationen sind in den Unterlagen der FDA verfügbar (siehe Clinical Review, FDA). In der zweiten Studie wurden Kinder zwischen 2-12 Jahren untersucht. Die Daten sind bisher leider nicht publiziert, d.h. die präsentierten Resultate wurden von der Herstellerfirma Gilead zur Verfügung gestellt (siehe auch Resultate clinicaltrials.gov). Verglichen wurden knapp 100 Kinder mit einem durchschnittlichen Alter von 7 Jahren, die randomisiert von ZDV oder d4T auf TDF gewechselt haben. 98% der cART enthielt RTV. Eine vergleichbare Wirksamkeit von TDF zu den bisherigen Standardbehandlung konnte nicht gezeigt werden (siehe Graphik oben). Im Kindesalter wird aufgrund der erhöhten GFR das TDF vermehrt ausgeschieden. Ob der Nachteil in der Wirksamkeit mit einer AUC (area under the curve) zusammenhängt wurde. Bei unklaren Knochenschmerzen sollte sicherlich daran gedacht werden.
 
Nephrotoxizität und Knochendichte
In beiden Studien zeigte sich keine klare Nephrotoxizität. Doch sind proximale Tubulopathie (Fanconie Syndrom) und akute Nierenschädigung im Zusammenhang mit TDF beschrieben. Daher soll auch im Kindesalter unter Therapie mit TDF eine regelmässige Diagnostik hinsichtlich Proteinurie und Glucosurie sowie Serumkreatinin und -phosphat und ggf. 25-OH-Vitamin D erfolgen. Der Knochendichte bei Start im Kindesalter sollte besondere Sorge getragen werden. Eine Arbeit aus Thailand bei Kindern im Alter zwischen 3 und 18 Jahren zeigte eindrücklich (Aurpibul #972), wie die Knochendichte (BMD z-score) in der Gruppe mit TDF während der ersten 24 Wochen abnahm (siehe Graphik links). Welche Auswirkungen dies während des Wachstums auf lange Sicht hat, bleibt offen. Unklar ist zudem, wie häufig Knochendichte¬bestimmungen im Kindesalter erfolgen sollen und welchen Einfluss die Substitution von Vitamin D hat.

Auf Grund der bisherigen Daten wrid Tenofovir im Kindesalter gegenüber der bisherigen Therapie nicht favorisiert. Sicherlich soll die Substanz weiter untersucht werden. Vorteile sind die Dosierung 1x pro Tag, die verschiedenen Formulierungen inkl. der Pulverform und die Möglichkeit, die Therapie von Mutter und Kind zu „harmonisieren“. Zusätzlich erscheint am Horizont bereits eine Prodrug-Substanz, die offenbar ein verbessertes Toxizitätsprofil aufweist (siehe Tenofovir Alafenamide (Link)). Gespannt erwarten wir zudem Daten zu HIV-negativen, während der Schwangerschaft TDF exponierten Kindern.

Lipodystrophie Syndrom unter cART bereits im Kindesalter wichtig!

Daten aus der EuroCoord Studie zeigen eindrücklich, dass auch im Kindesalter unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf den Fettstoffwechsel zwingend beachtet werden müssen (ALAM #960). In einer europäischen Kohorte waren bei 55% von über 400 Kindern mit medianem Alter von 12 Jahren Lipodystrophie, Lipoatrophie bzw. Lipid- oder Glucosestoffwechselstörungen manifest. Nur 48% waren bei einer durchschnittlichen Zeit unter cART von 5 Jahren vollständig supprimiert. Risikofaktoren für ein Lipodystrophie-Syndrom waren eine fortgeschrittene HIV-Infektion und dunkle Hautfarbe. Risikofaktoren für Stoffwechselstörungen waren PI-Therapie und Übergewicht. Die meisten Kinder wurden über 4 Jahre weiter beobachtet. Dabei verschwand das Lipodystrophie-Syndrom bei 25% vollständig. Es bleibt unklar, welche Faktoren dieses Verschwinden begünstigen. Die Gesamtprävalenz nahm in dieser Kohorte jedoch zu.