Trink viel Orangensaft! Dann wirst du nicht krank!

Angeblich stärken Zitrusfrüchte die Abwehrkräfte. Wir sagen Ihnen, welche
Infektanfälligkeiten sich damit nicht einfach wegtrinken lassen.

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Dr. Anita Niederer-Loher und Dr. Christian Kahlert, Ostschweizer Kinderspital // Kantonsspital St. Gallen / 26. Februar 2009
*deutsch

Wieso trinken wir Orangesaft zum Frühstück? Macht er gesund? Haben wir nur Durst und sind zittrig? Sind wir Hypochonder und haben Angst vor der Grippewelle? Oder glauben wir ganz einfach den Ratschlägen des Grosi? Die beiden infektiologischen Pädiater Christian Kahlert und Anita Niederer-Loher stellten die Publikumsfrage.

Vom Skorbut zum Volksglauben
Orangensaft und Vitamin C gelten als gesund. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass der Mangel an Vitamin C Ursache ist für den Skorbut, der auszehrenden und tödlichen Krankheit der Seefahrer. Von der Beobachtung zur Mitte des 16. Jahrhunderts, dass frisches Gemüse und Früchte den Skorbut heilen, bis zum eigentlichen Erkennen des Zusammenhangs vergingen rund 200 Jahre. Noch im 18. Jahrhundert war der Skorbut die häufigste Todesursache auf Seereisen.
Die Ascorbinsäure (Vitamin C) erhielt ihren Namen 1921 und wurde 1934 erstmals in vitro synthetisiert. Wir Menschen, Primaten und Meerschweinchen können die Ascorbinsäure nicht selber synthetisieren, weshalb wir sie über die Nahrung zu uns nehmen müssen. In Zitrusfrüchten ist sie vorhanden – soviel wissen wir. Die doppelte Quantität findet sich aber in grünem Gemüse (Broccoli, Grünkohl, Petersilie) und weit mehr noch in Sanddorn und Hagebutte. Mit einem Glas Orangensaft am Morgen decken wir gerade mal 3% des Tagesbedarfes an Vitamin C ab.

Das grossmütterliche Dogma gerät ins Wanken
Und was bringt uns dies Vitamin C? Aus der Literatur wissen wir, dass die Ascorbinsäure auf vielen Ebenen in den Stoffwechsel eingreift. Der bekannteste Effekt ist der antioxidative und die Hemmung entzündlicher Prozesse. Kann daraus nun gefolgert werden, dass Vitamin C vor Entzündungen der Luftwege, vor der Erkältung schützt?
Die Suche in der wissenschaftlichen Literatur brachte die Vortragenden Niederer und Kahlert zu folgendem Schluss: Vitamin C schützt nicht vor einer Erkältung. Das grossmütterliche Dogma gerät ins Wanken.

Unlucky child oder Abwehrschwäche?
Dass die Anfälligkeit für Infektionen im Bereich der oberen Luftwege auch eine andere Ursache haben kann, als das nicht getrunkene Glas Saft am Morgen, zeigten Niederer und Kahlert im zweiten Teil ihres Vortrags auf. Am Fallbeispiel des kleinen David, der ab dem dritten Lebensjahr wiederholt an Infektionen der oberen und unteren Luftwege litt, erklärten die beiden infektiologischen Pädiater das Bild des Immunmangel-Syndroms.
Kommt es gehäuft zu Infektionen, gerade im Kindesalter, stellt sich schnell einmal die Frage der «Abwehrschwäche». Breite und teure Abklärungen führen oft zu nur einem Ergebnis: Das Kind leidet, es ist ein «unlucky child». Eine messbare Abwehrschwäche findet sich aber nicht. Ganz im Gegensatz dazu der kleine David. Er litt an einem «Common Variable Immunodeficiency» (CVID). Einem zwar seltenen, aber mitunter dem häufigsten Bild des messbaren Immunmangels.
Nicht jedes Kind, dessen Nase oft läuft, hat eine «echte» Abwehrschwäche, ein Immunmangel-Syndrom. Gewisse Warnhinweise aber sollten daran denken lassen. Niederer und Kahlert erläuterten diese in ihrem Vortrag eingehend.
Wenn sich die Verdachtsdiagnose bestätigt, sollte die weitere Betreuung und Therapie in die Hände von Spezialisten gelegt werden, so die Vortragenden. Ein grösseres Kompetenzzentrum befindet sich in Freiburg im Breisgau. Die infektiologische Klinik des KSSG plane, in Zusammenarbeit mit dem Ostschweizer Kinderspital, eine Kooperation mit Feiburg aufzubauen. Ziel wird es sein, Abklärung und Betreuung von Patienten mit chronischem Immunmangel in der Region anbieten zu können.