HIV-Transmission: EKAF Statement in Frage gestellt? – Eher bestätigt!

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In der morgigen Ausgabe des Lancet berechnen Australische Autoren in einem mathematischen Modell das HIV-Transmissionsrisiko unter einer HIV-Therapie. Auf den ersten Blick scheint es, als würden die Berechnungen das EKAF Statement zur HIV-Infektiosität unter Therapie in Frage stellen. Doch eine genaue Betrachtung der Arbeit stärkt das EKAF statement eher, wie auch die Autoren des Editorial feststellen.

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Die Autoren des Lancet-Artikels vom 26.7.08 (David P Wilson, Matthew G Law, Adnrew E Grulich, David A Cooper, John M Kaldor) analysieren auf der Grundlage des "Swiss Statement" welche Konsequenzen es haben könnte, wenn HIV positive Personen unter einer HIV-Therapie in Ihrer Partnerschaft auf Kondome verzichten würden. In ihrem mathematischen Modell nehmen sie die bekannte Rakai-Partnerstudie als Basis (Quinn et al, NEJM, 2000). Diese Arbeit hat gezeigt, dass das Risiko einer Transmission abhängig ist von der Viruslast im Blut. In dieser Population von ca. 450 HIV-differenten Paaren war mit jeder 10-fachen Erhöhung der Viruslast im Blut das HIV-Übertragungsrisiko um einen Faktor 2.45 erhöht.

Einfaches mathematisches Modell als Grundlage
Die Autoren nahmen nun diesen Faktor und extrapolierten gegen Null. Das heisst, sie berechneten das Übertragungsrisiko bei ganz kleinen Viruskonzentrationen im Blut (10kop/ml). Durch diese Extrapolation erhält man ein lineares Modell (s. Abbildung, anklicken für Vergrösserung) bei welchem (per definitionem) das Risiko nie Null sein kann.

Das lineare Modell geht allerdings von Grundvoraussetzungen aus, die nicht empirisch verifiziert sind. Von vielen Experten wird die Rakai-Partnerstudie nämlich dahingehend interpretiert, dass in dieser ein kritischer Schwellenwert in der Grössenordnung von 1’500 HIV-RNA Kopien/mL nachgewiesen wurde, unterhalb dessen eine HIV-Transmission sehr unwahrscheinlich ist und eben keiner linearen Beziehung folgt. Existiert ein solcher Schwellenwert, so ist die Australische Studie wertlos!

Risiko bei Analverkehr geschätzt
In der Rakai-Studie waren nur heterosexuelle Paare eingschlossen. Die Autoren haben nun aber auch das homosexuelle Transmissionsrisiko berechnet. Um dies zu tun, nahmen sie aus der Literatur Daten zum Transmissionsrisiko pro Sexualkontakt bei Vaginalverkehr und bei Analverkehr. Aufgrund dieser Erfahrungszahlen adaptierten sie die oben erhaltene Kurve nach oben. Diese "Parallelverschiebung" des Risikos akzentuirt die Schwellenwert-Problematik. Mit dieser Extrapolation erhalten die Autoren sehr unplausible Werte: Die Berechnung bedeuten, dass es pro Analverkehr mit einem Mann mit 10 Viruskopien im Blut in 1:6000 Fällen zur Infektion kommt. Dies ist kaum plausibel, wissen wir doch, dass in der Schweizerischen Kohortenstudie (und vermutlich auch weltweit) knapp 20% der Patienten angeben, mit ihrem festen Partner nicht immer Kondome zu verwenden (Panozzo et al).

Realität zeigt ein anderes Bild
Tatsächlich sehen wir das von den Autoren gezeichnete Bild nicht bestätigt. Seit Jahren suchen wir in unseren Sprechstunden nach Fällen von HIV-Transmission in einer Partnerschaft, doch wir sehen diese Übertragungen nicht. Das sagt, nicht, dass eine Übertragung unter den von der EKAF beschriebenen Bedingungen nicht möglich sei, es bestätigt einfach das sehr geringe Risiko einer Transmission unter optimalen Voraussetzungen.

Wichtigster Risikofaktor bei der sexuellen Übertragung: Geschlechtskrankheiten
Das mathematische Modell hat einen wichtigen Aspekt des EKAF-Statements nicht berücksichtigt. Ein wichtiger Begleitumstand, welcher die HIV-Transmission erhöht, sind Geschlechtskrankheiten (v.a. Herpes, Syphilis, Tripper und Trichomonaden). Solche Geschlechtskrankheiten waren auch in der Rakai Studie im Spiel und haben die Infektionsrate beeinflusst. Wir wissen, dass bei einer Geschlechtskrankheit die Viruslast in Genitalsekreten um einen Faktor zehn ansteigen kann. Auch das erhöhte Risiko beim Analverkehr unter Männern, die Sex mit Männern haben ist zum Teil durch die Häufung von Geschlechtskrankheiten bedingt und nicht nur eine Folge des Geschlechtskontaktes. Das EKAF Statement hat klar gemacht, dass das Risiko unter einer HIV-Therapie nur unter ganz speziellen Umständen vernachlässigbar klein sei. Dazu gehört die Abwesenheit von Geschlechtskrankheiten bei beiden Partnern.

EKAF-Statement: Einschränkung, nicht Freipass
Insofern war das EKAF Statement kein "Freipass" für HIV-positive Menschen, welche eine Therapie einnehmen. Das Statement hat vielmehr eine klare Präzisierung erreicht, für Personen, welche unter einer HIV-Therapie stehen. Vor dem öffentlichen Statement haben viele Ärzte hinter vorgehaltener Hand mit Ihren Patienten über das geringe Risiko gesprochen. Doch die Informationen waren selten ausführlich und haben meist Geschlechtskrankheiten ausgeschlossen. Genau dies bezweckte das EKAF-Statement: Eine Einschränkung der bereits da und dort gemachten Hinweise auf ein vernachlässigbares Infektionsrisiko hat hier versucht, Situationen mit höherem Restrisiko von solchen mit vernachlässigbarem Risiko auseinanderzuhalten.<


Die Australische Arbeit bestätigt EKAF Angaben
Tatsächlich haben Wilson et al die Ang aben der EKAF bestätigt, wie dies im Editorial korrekt dargestellt wurde. Garnett & Gazzard haben in ihrem Kommentar basierend auf den Angaben von Wilson et al. den schützenden Effekt einer Therapie mit demjenigen von Kondomen verglichen. Basierend auf diesen Grundlagen ist das Risiko einer Übertragung nach 100 Sexualkontakten tatsächlich höher bei 100% Verwendung von Kondomen (ohne Therapie) als unter einer gut wirksamen Therapie. Das EKAF Statement hat diese Berechnung auch bereits vorausgenommen und festgestellt, dass diese beiden Risiken vergleichbar sind (s. Abbildung, zur Vergrösserung auf Bild klicken).

Mündige Patienten sollen selbst entscheiden können
Das EKAF Statement ist immer von einem "Risiko im Bereich des täglichen Lebens" ausgegangen. Genauso wie das Restrisiko beim Sex mit Kondom (ohne Therapie) oder Oralverkehr (kein Sperma im Mund) als vernachlässigbar eingestuft werden, obwohl sie in der gleichen Grössenordung sind. Von jährlich 200’000 Berggängern sterben in der Schweiz durchschnittlich 10 in einer Lawine. Ein normales, bewusst eingegangenes Rsiko, welches auch von Versicherungen als solches akzeptiert wird. Die Schweizer Experten haben nie behauptet, das Risiko sei Null. Doch es schien den Autoren vernünftig, dass ein HIV-negativer Partner eines HIV-infizierten Patienten über die Risiken aufgeklärt werden darf und dass die Entscheidung zum Umgang mit diesem Risiko dem Partner überlassen werden soll. Vergleichbar mit dem Berggänger, oder dem Partner, der Oralverkehr ohne Kondom praktiziert. Auch sie wurden adäquat informiert und entscheiden für sich.

Weitere Probleme des mathematischen Modells
Für den besonders interessierten Leser sollen noch zwei weitere Probleme des mathematischen Modells beleuchtet werden. Das eine Problem ist der Umgang mit dem kumulativen Risiko, also dem Risiko sich nach 100 oder 1000 Sexualkontakten mit HIV zu infizieren. Wir wissen aus epidemiologischen Daten, dass das Risiko pro Sexualkontakt mit der Dauer der Partnerschaft abnimmt. Dies führen wir z.T. auf eine Immunantwort beim Partner zurück. Sehr geringe Konzentrationen von Virus führen eher zu einer Immunantwort als zu einer Infektion. Die Autoren des Modells haben aber für jeden Sexualkontakt immer ein gleich grosses Risiko angenommen.
Wesentlich ist dieser Zusammenhang auch bei der Beurteilung des Transmissionsrisikos bei Männern die Sex mit Männer haben. Hier liegt, wie bereits eingangs erwähnt, das Risiko höher als bei heterosexuellen Paaren, doch diese Daten stammen fast alle aus Studien mit Gelegenheitsparnern. Somit ist auch die theoretische Grundlage für die Berechnung des Transmissionsrisikos beim Analverkehr nicht gut fundiert.

Quelle: Wilson et al, Lancet 26.7.2008, 372:314-20
Editorial: Garnett & Gazzard, Lancet 26.7.2008, 372:271-2
Beitrag DRS Echo der Zeit vom 4.8.2008