Wenn die Impfung zum Bumerang wird…
Es gibt Studien, die man besonders gern liest. Zum Beispiel dann, wenn man selbst bei ihrer «Geburt» beteiligt war. Im März 2020, als die Pandemie gerade Fahrt aufnahm, half ich am Kantonsspital St. Gallen mit, eine Kohortenstudie für Gesundheitsfachpersonen zu initiieren und die erste Finanzierung zu sichern. Heute, mehr als fünf Jahre und zahlreiche Publikationen später, gehört diese Kohorte zu den am besten dokumentierten Gruppen von Angestellten im Gesundheitswesen in der Schweiz.
Die aktuelle Veröffentlichung, erschienen 2025 in Nature Communications (Dörr et al), ist brisant: Sie zeigt, dass die Häufigkeit von sogenannten influenza-like illness (kurz ILI) nach COVID-19-Impfung höher war – vor allem in den ersten Wochen nach der dritten und vierten Dosis.
Was bedeutet „influenza-like illness“?
ILI ist ein medizinischer Sammelbegriff für Erkrankungen, die einer Grippe ähneln, aber nicht zwingend von Influenzaviren verursacht werden. Typischerweise umfasst die Definition Fieber in Kombination mit Husten, Halsschmerzen, Gliederschmerzen oder allgemeinem Krankheitsgefühl. In der St. Galler Kohorte wurden diese Symptome wöchentlich per Online-Fragebogen erfasst, ergänzt durch Tests, wenn es medizinisch angezeigt war.
Die wichtigsten Resultate
Die Analyse umfasste die Grippesaison von November 2023 bis April 2024. Besonders nach der dritten und vierten COVID-19-Impfung waren die ILI-Neuerkrankungen in den ersten Wochen signifikant erhöht. In der untenstehenden Abbildung aus der Studie sieht man, dass unter den nie geimpften (ganz links) ein höherer Prozentsatz nie an Grippe erkrankte und dass die Erkrankungsrate (gelb: einmal, grün: mehrmals) höher war, je häufiger die Person geimpft wurde.
Bei den ersten beiden Impfungen war der Unterschied noch nicht signifikant – allerdings lagen diese Impfungen bei den meisten Teilnehmenden bereits mehr als 2,5 Jahre zurück. Da der negative Effekt im Zeitverlauf deutlich abnahm, ist nicht ausgeschlossen, dass auch die frühen Impfungen damals eine erhöhte Infektanfälligkeit ausgelöst haben könnten, dies aber später statistisch nicht mehr erkennbar ist.
Ein bekanntes Muster
Die Beobachtung, dass nach einer Impfung mehr ILI auftreten, ist kein Einzelbefund, sondern reiht sich in eine ganze Serie ähnlicher Resultate ein. Mehrere grosse Studien berichten, dass in den Wochen nach einer mRNA-Impfung das Risiko für Atemwegsinfektionen – einschliesslich COVID-19 – erhöht sein kann, teils mit klarer Dosis-Wirkungs-Beziehung. Für den interessierten Leser habe ich einige dieser Studien unten etwas ausführlicher beschrieben. Insgesamt unterstüzen diese Arbeiten meine vor bald drei Jahren gemachte Aussage: Stoppt den Booster!
Dass nach einer Impfung auch unspezifische Nebenwirkungen möglich sind, analysiert das Dänische Forscherteam um Christine Benn schon seit über zehn Jahren. Eine Metaanalyse von dieser Gruppe (preprint) zeigt, dass die Covid-Impfung bei Kindern unter 18 Jahren das Risiko von Atemwegsinfektionen (einschliesslich RSV) um fast das Dreifache erhöht.
Ein plausibler Mechanismus
Dass sich solche Effekte ergeben, ist biologisch plausibel. Mehrere unabhängige Teams, darunter die Gruppe um Mihai Netea, haben gezeigt, dass mRNA-Impfstoffe die Aktivität des angeborenen Immunsystems – insbesondere die Interferonantwort – vorübergehend dämpfen können. Diese erste Abwehrlinie gegen Atemwegsviren entscheidet oft darüber, ob eine Infektion überhaupt Fuss fasst. Wird sie kurzzeitig geschwächt, können sich Erreger leichter vermehren.
Unbekannt ist, ob solche Phänomene im angeborenen Immunsystem auch Auswirkungen auf bakterielle Infektionen haben. Das deutsche Ärzteblatt berichtete 2024 über einen massiven Anstieg bakterieller Infektionen im Winter 22/23 und vermutete als Ursache unter anderem eine reduzierte Abwehr. Ob dies Folge der COVID-Impfung sein könnte, ist ungewiss, aber nicht ausgeschlossen.
Bereits im Dezember 2022, dann erneut im März 2023 berichtete ich über die Resultate von Netea zur langfristigen Unterdrückung des Immunsystems durch die Covid-Impfung. Und im August 2023 dann über bestätigende Arbeiten von zwei weiteren Gruppen. Insgesamt berichten diese Studien über Tierversuche als auch Resultate bei geimpften Personen. Diese zeigen, dass die mRNA-Impfung zu unspezifischen Effekten in der angeborenen Immunabwehr führt. Mit solchen unspezifischen Effekten könnte man die verminderte Influenza-Abwehr nach Covid-Impfung gut erklären.
Von Korrelation zu Kausalität
Ich wurde nach diesen Berichten oft kritisiert, es handle sich doch nur um «reine Korrelationen» oder «kleine Fallstudien». 1965 stellte der britische Epidemiologe Austin Bradford Hill Kriterien auf, die einen ursächlichen Zusammenhang nahe legen. Mittlerweile sind mehrere dieser Bradford-Hill-Kriterien erfüllt: Konsistenz über verschiedene Studien und Populationen hinweg, klare zeitliche Abfolge, biologisch plausibler Mechanismus und teilweise eine Dosis-Wirkungs-Beziehung.
Das bedeutet nicht, dass COVID-19-Impfstoffe insgesamt schädlich waren – die Grundimmunisierung hat in der Pandemie vermutlich schwere Krankheitsverläufe verhindert, insbesondere bei älteren Menschen. Aber die zunehmende Evidenz mahnt uns, auch unbeabsichtigte Effekte der Impfung ernst zu nehmen, besonders wenn diese sich wiederholt und unabhängig voneinander zeigen.
Ein möglicher Einwand – und warum er nicht alles erklärt
Natürlich könnte man einwenden, dass sich vor allem diejenigen häufiger impfen liessen, die auch ein höheres Risiko für Infektionen hatten – zum Beispiel Mitarbeitende in besonders exponierten Bereichen des Gesundheitswesens oder Personen mit höherem Gesundheitsbewusstsein. Ein solcher „bias by indication“ wurde auch in der Cleveland-Clinic-Studie diskutiert. Die Autorinnen und Autoren argumentierten dort: Selbst wenn man davon ausgeht, dass Mehrfachgeimpfte besonders vorsichtig waren oder in einem Umfeld mit erhöhtem Risiko arbeiteten, wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass sie weniger und nicht mehr Infektionen haben. Zudem zeigen die Analysen, dass die Unterschiede nicht durch Alter oder Komorbiditäten erklärbar sind.
Zudem bestand die untersuchte Kohorte in der Schweizer Studie überwiegend aus jungen, gesunden Personen mit einer Impfquote von 90 Prozent. Das spricht klar dagegen, dass sich vor allem besonders vulnerable Personen mehrmals gegen Covid impfen liessen und das Resultat deshalb allein auf diese Selbstselektion zurückzuführen ist.
Was den Einwand jedoch wesentlich schwächt ist der Nachweis ähnlicher Effekte in Populationen, in denen ein solcher Selektionsbias weniger ins Gewicht fällt, etwa bei Kindern (Feldstein et al.) oder in bevölkerungsweiten Studien wie in Island (Eythorsson et al.) oder Katar (Chemaitelly et al.). Die wiederholte Beobachtung desselben paradoxen Musters in sehr verschiedenen Kontexten macht es unwahrscheinlich, dass allein Verhaltensunterschiede die Erklärung sind.
Fazit
Die St. Galler Kohorte liefert einen wertvollen Baustein für eine differenzierte Impfdebatte. Sie erinnert uns daran, dass wir nicht nur die Wirksamkeit gegen das Zielvirus messen sollten, sondern auch die Auswirkungen auf die gesamte Infektanfälligkeit und allenfalls auch weitere unspezifische Folgen. Denn wenn wir nur auf einen Teil des Bildes schauen, übersehen wir vielleicht wichtige Nebenwirkungen – und die Wissenschaft lebt davon, auch das Unbequeme zu untersuchen.
Anhang:
Weitere Studien zu mRNA Covid-Impfungen, die über ähnliche Beobachtungen berichteten:
1) Studie bei Krankenhauspersonal
Eine grosse Kohortenstudie der Cleveland Clinic in den USA (Shrestha et al., 2023) untersuchte ebenfalls Mitarbeitende des Gesundheitswesens. Das Ergebnis war überraschend: Das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, stieg mit jeder zusätzlichen mRNA-Impfdosis an. Wer nur eine Dosis erhalten hatte, hatte im Studienzeitraum ein mehr als doppelt so hohes Risiko wie Ungeimpfte (Hazard Ratio 2,07), bei drei oder mehr Dosen war das Risiko sogar 3,53-fach höher. Wir haben hatten hier bereits darüber berichtet.
2) Kleinkinder nach Impfung signifikant häufiger krank
Eine Analyse der US-Gesundheitsbehörde CDC (Feldstein, 2023) untersuchte Kleinkinder im Alter von 6 Monaten bis 4 Jahren während der Omikron-Welle. Nicht neu war dabei die Schutzwirkung einer früheren Infektion: Diese Kinder hatten ein um rund 70–80 % geringeres Risiko, sich erneut zu infizieren oder symptomatisch zu erkranken – unabhängig davon, wie lange die Infektion zurücklag. Die zusätzliche Impfung half dabei nichts. Doch Kinder ohne vorherige Infektion, die mit Covid-mRNA geimpft wurden, hatten im Beobachtungszeitraum ein mehr als doppelt so hohes Risiko für eine Infektion (HR 2,59) und ein ähnlich erhöhtes Risiko für symptomatische COVID-19-Erkrankungen, verglichen mit ungeimpften, ebenfalls nicht infizierten Kindern.
3) Hinweise auf Toleranzentwicklung nach Booster
Eine Studie aus Spanien (Perez, 2023) untersuchte Blutproben von Geimpften und konzentrierte sich auf die Antikörperklasse IgG4. Diese spezielle Antikörperform spielt bei klassischen Virusinfektionen normalerweise kaum eine Rolle. Ihr Auftreten ist ein Zeichen einer Toleranzentwicklung, also das Gegenteil einer Immunabwehr. Die Forschenden fanden: Je mehr mRNA-Dosen eine Person erhalten hatte, desto höher waren ihre IgG4-Spiegel – im Mittel um das Elffache nach mehreren Boostern. Auffällig war zudem, dass Personen mit besonders hohen IgG4-Werten ein erhöhtes Risiko hatten, sich erneut mit SARS-CoV-2 zu infizieren.
4) Impfung nach durchgemachter Erkrankung erhöht Infektionsrisiko
Eine populationsbasierte Studie aus Island (Eythorsson, 2022) verfolgte über mehrere Monate hinweg Personen, die alle bereits mindestens einmal eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten. Das Hauptergebnis war wenig überraschend: Je länger die Erstinfektion zurücklag, desto höher war die Wahrscheinlichkeit einer Reinfektion – nach 18 Monaten war das Risiko um etwa 56 % höher als nach nur 3 Monaten. Überraschend war jedoch ein anderer Befund: Personen, die zwei oder mehr Impfdosen erhalten hatten, hatten ein signifikant höheres Reinfektionsrisiko als solche mit einer Dosis oder gar keiner Impfung (Odds Ratio 1,42; 95 % KI: 1,13–1,78).
5) Wirkdauer limitiert, gefolgt von erhöhtem Erkrankungsrisiko
Eine grosse Analyse aus Katar (Chemaitelly, 2022) verfolgte den Schutz verschiedener COVID-19-Impfungen gegen Infektionen mit den Omikron-Varianten BA.1 und BA.2. Untersucht wurden sowohl Personen mit als auch ohne vorangegangene Infektion. Direkt nach der Impfung zeigte sich zunächst noch ein messbarer Schutz gegen Infektionen, der jedoch rasch abnahm und innerhalb weniger Monate nicht nur verschwand, sondern ins Negative kippte. Bei der Pfizer-Impfung sank die Wirksamkeit gegen BA.1 von rund 47 % auf –18 Prozent (relativ) und gegen BA.2 von 52 % auf –12 Prozent. Ein negativer Wert bedeutet, dass Geimpfte im Beobachtungszeitraum häufiger infiziert, wurden als Ungeimpfte – ein Befund, der sich mit den Resultaten anderer Studien deckt. Auch bei Moderna zeigte sich ein ähnliches Muster: gegen BA.1 von 71 Prozent auf –10 Prozent und gegen BA.2 von 36 Prozent auf –20 %.
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