6. April 2025

Medien empfehlen: Impfen gegen Demenz

Derzeit rollt eine mediale Welle durch die Schweiz, die eines verspricht: Mit der Impfung gegen Gürtelrose könne man auch das Demenzrisiko senken. «Die Gürtelrose-Impfung schützt auch vor Demenz», titelt etwa die NZZ am 5. April 2025. Auch CH-Media fragt vielsagend: «Kann die Gürtelrose-Impfung das Demenzrisiko senken?» – um dann im Kleingedruckten der Publireportage ziemlich deutlich mit „Ja“ zu nicken. Der Tagesanzeiger hatte bereits vor zwei Jahren über die Studie berichtet, als der Vorabdruck (ohne peer-review) öffentlich wurde und auch dort hiess es im Titel: «Die Gürtelrose-Impfung schützt auch vor Demenz»

Alle Beiträge beziehen sich auf eine einzige Studie, kürzlich publiziert in Nature (2. April 2025). Die Daten darin zeigen eine Assoziation zwischen der Einführung der Gürtelrose-Impfung in Wales und einer reduzierten Inzidenz von Demenzfällen. Klingt spannend – ist aber wissenschaftlich deutlich weniger sensationell, als es medial verkauft wird.

Einfaches Studienmodell:
Zunächst zur Methodik: Die Nature-Studie (Eyting et al, 2.4.25) untersuchte das Auftreten einer Gürtelrose nach Einführung der Impfung 2023/14 in Wales und verglich das mit den Personen, die im Vorjahr nicht geimpft wurden. In der geimpften Population war die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten 7 Jahren an Demenz zu erkranken tatsächlich um 3.5 % gesunken. Wenn dieser Zusammenhang wirklich bestätigt würde, so müsste man ca. 30 Personen gegen Gürtelrose impfen, um einen Fall von Demenz zu verhindern. Nicht ganz auszuschliessen wäre dann noch die Frage, ob sich in der Studienzeit auch die Demenz-Diagnostik in Wales verändert hat.

Impfstoff nicht mehr verwendet
Was die Medien verschweigen: Der in der Studie verwendete Impfstoff, Zostavax®, ist ein attenuierter Lebendimpfstoff, der heute in der Schweiz – aus gutem Grund – nicht mehr verwendet wird. In der Schweiz (und praktisch überall sonst) wird aktuell  ein Totimpfstoff verwendete(Shingrix®), der das neuartige Ajuvans AS01b in liposomaler Verpackung verwendet.

Totimpfstoffe verhalten sich immunologisch anders als Lebendimpfstoffe, insbesondere wenn es um die unspezifischen Wirkungen geht. Die dänische Forscherin Christine Benn hat in zahlreichen Studien aufgezeigt, dass insbesondere Lebendimpfstoffe günstige unspezifische Wirkungen zeigen können – also das Immunsystem auch über die gezielte Pathogenabwehr hinaus positiv beeinflussen. Gemäss Benn haben Totimpfstoffe auch unspezifische Effekte, doch diese sind eher nachteilig (Benn et al., 2019). Kurz: Wir wissen schlicht nicht, ob Shingrix ähnliche Effekte hat – und wenn ja, in welche Richtung.

Noch wenig bekanntes Adjuvans: Der Impfverstärker, AS01b, welches Shingrix besonders wirksam machen soll, basiert auf liposomalen Nanopartikeln – ein relativ neues Konzept in der Vakzinologie. Über mögliche Langzeitwirkungen dieses Adjuvans weiss man bislang wenig. Die Zahl der Studien zur Langzeittoxizität lässt sich derzeit an den Fingern einer Hand abzählen – und da ist vermutlich noch ein Daumen übrig.

Nebenwirkungen? Reden wir später drüber.
Neue Impfstoffe wie auch Medikamente werden gern als „gut verträglich“ beworben – das klingt beruhigend, ist aber oft ein Placebo fürs Vertrauen. Denn seltene, aber schwere Nebenwirkungen zeigen sich in der Regel erst Jahre nach Markteinführung. Bei Shingrix sind aktuell über 20 Millionen Dosen verimpft – das ist gut für die Bilanz, aber noch lange kein Garant für langfristige Sicherheit. Vorsicht ist daher nicht impfkritisch, sondern schlicht vernünftig.

Hinzu kommt: Die klinischen Studien zu Shingrix schlossen Personen mit früherer Gürtelrose aus. Ebenso wurden Menschen mit allergischen oder immunologischen Vorerkrankungen von der Teilnahme ausgeschlossen. Ob die Impfung bei diesen Gruppen überhaupt wirkt – oder ob sie ein höheres Nebenwirkungsrisiko hat – wissen wir nicht. Das steht nirgends auf dem Plakat – aber vielleicht sollte es.

Werbung, aber mit weissem Kittel
Dass ausgerechnet ein rezeptpflichtiges Medikament nun mit publizistischen Mitteln im grossen Stil beworben wird, wirft auch juristische Fragen auf. Die Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist in der Schweiz nach Art. 32 Abs. 2 des Heilmittelgesetzes (HMG) untersagt – mit gutem Grund. Wenn aber bezahlte Inhalte als journalistische Berichterstattung daherkommen, droht eine Vermischung von PR und Information, die nicht nur kritisch, sondern auch gesetzlich heikel ist.

Wie Sie meinen Artikeln auf infekt.ch entnehmen können, bin ich durchaus ein Befürworter von klugen, evidenzbasierten Impfungen. Aber ich wehre mich gegen unreflektierte Impfbegeisterung und bleibe bei neuen Medikamenten und Impfstoffen grundsätzlich vorsichtig und zurückhaltend. Wenn nun für diese Zoster-Impfung mit getarnten Werbeaktionen pseudowissenschaftliche Berichterstattung betrieben wird, so stimmt mich das allerdings kritisch.

Fazit
Gürtelrose kann schmerzhaft sein, die Impfung schützt zuverlässig – vor Gürtelrose. Das allein ist ein valider Grund, über eine Impfung nachzudenken. Aber dass dieselbe Impfung auch noch Demenz verhindern soll, ist – Stand heute – eine Hypothese mit dünner Beweislage. Und keines der zitierten Medien hat darauf hingewiesen, dass diese Hypothese gar nicht auf die bei uns verfügbare Impfung zutrifft. Statt mit grossen Schlagzeilen wäre hier etwas mehr demenzfreie Klarheit angebracht.