Covid-Kreuzimmunität – Könnte Zeckenimpfung schützen?
Lassen Sie mich mit einer klaren «Disclaimer» beginnen: Ich diskutiere hier eine Hypothese. Ich stelle keine Behauptung auf. Aber die Hypothese ist durchaus ernst gemeint und ich bin interessiert an seriösen Ffeedbacks auf Covid@vernazza.ch.
Es begann im Fernen Osten
Die Hypothese wurde vor gut fünf Monaten von japanischen und weiteren Autoren publiziert (Kathoh et al, Arch Acad Emerg Med, 21.4.20). Den Autoren sind Unterschiede im epidemiologischen Verlauf in benachbarten Ländern aufgefallen. Sie vermuteten, dass Impfungen einen Einfluss haben könnten. Ich fand die Idee dieser Publikation zwar originell, doch eher verwegen. Irgendwie kann doch das nicht wahr sein. Doch nach fünf Monaten ohne ein Argument, das die Hypothese falsifiziert, muss ich es nun mal loswerden: Vielleicht ist doch etwas dran…
Impfungen gegen Encephalitis sollen gegen Covid schützen…
…so die Hypothese. Die Autoren fanden es auffallend, dass wir bei der Analyse von Krankheitsfällen in benachbarten Ländern grosse Unterschiede beim Verhältnis von Hospitalisations-/ Todeszahlen mit den gemeldeten Fallzahlen beobachteten. Wie kann man solche lokalen Unterschiede erklären? Die Autoren weisen darauf hin, dass es in verschiedenen Ländern unterschiedliche Impfempfehlungen gegen Virusinfektionen gibt, die Hirnhautentzündungen (Encephalitis) auslösen. In Asien ist das die «Japanische Encephalitis» in Europa kennen wir eine ähnliche Viruserkrankung, die «Zecken-Encephalitis», oder FSME. Basierend auf einer gewissen minimalen biologischen Plausibilität fragen die Autoren: Könnte es sein, dass die Impfung gegen Zecken-Encephalitis in den betroffenen Ländern eine gewisse Schutzwirkung hinterlässt.
Geografische Unterschiede sind riesig!
Eine weitere Arbeit von Yamamoto & Bauer (Med Hypotheses, Aug 2020) diskutiert weitere mögliche Hypothesen, welche diese Unterschiede erklären könnten, insbesondere kulturelle, virologische, genetische und hygienische Faktoren. Aus dieser Arbeit übernehme ich die untenstehende Tabelle, aus der die grossen Unterschiede in der Mortalität insbesondere zwischen asiatischen und europäischen Ländern hervorgeht.
Ist die Zecken-Impfung ein Schutzfaktor?
Die Mortalitätsdaten zeigen für eimpfunguropäische Länder in der Tat grosse Unterschiede. Auffallend ist die hohe Mortalität in Südeuropa und UK, verglichen mit der geringen Mortalität in asiatischen Ländern. Aber auch Deutschland gehört zu den Ländern mit tieferer Sterblichkeit. Die Autoren der japanischen Studie postulieren, dass die FSME-Impfung auch eine gewisse Kreuz-Immunität gegenüber Covid bewirken könnte. Tatsächlich hat Österreich, das Land mit der mit Abstand höchsten FSME Impfrate auch die tiefste Covid-Mortalität in Europa (s. Abbildung aus Worldometer.com).
Zufall oder nicht?
Tatsächlich überraschend ist die tiefe Mortalität in Österreich und die hohen Werte für das benachbarte Italien, in dem keine FMSE-Impfung erfolgt (beachte die log-Skala). Die Schweiz liegt etwas dazwischen. Aber auch in der Schweiz beobachten wir eine deutlich niedrige Mortalität in der Ostschweiz. Und die Ostschweiz ist die Region, in der wir seit Jahren aktiv gegen FSME impfen, ganz im Gegensatz zu den südlichen Kantonen TI, VD und GE, wo die schweren Verläufe viel zahlreicher waren.
Wir beobachten hier eine Assoziation, sicher keinen kausalen Zusammenhang zwischen der FSME-Impfaktivität und der tieferen Covid-Sterblichkeit. Mehr nicht. Die Interpretation der Beobachtung überlassen wir unseren Lesern.
Die Medien wissen es meistens besser
Es ist doch interessant: Aus einigen Zeitungsartikeln gewinnt man den Eindruck, dass gewisse Journalisten (ich verzichte auf namentliche Nennung) alleine aus der Beobachtung von unterschiedlichen Fallzahlen beweisen können, dass das eine Land wirksamere Präventionsmassnahmen hat als das andere. Beispiele solcher Diskussionen fanden sich nicht nur für Schweden, auch Italien, USA, England und weitere Staaten wurden verglichen.
Doch die Gründe für die unterschiedlichen Verläufe könnten deutlich komplexer sein. Ich will mit der Diskussion einer möglichen Hypothese nicht suggerieren, wir würden all die Gründe schon kennen. Doch wir sollten zurückhaltend sein mit überstürzten Erklärungen. Möglich, dass wir den Einfluss unserer Massnahmen auf den Verlauf der Epidemie überschätzen. Andere Faktoren – die Impfung gegen Hirnhautentzündung nur als eine Idee – könnten einen viel grösseren Einfluss haben, als wir bisher vermutet haben.
Science first
Bleiben wir also unserem Grundsatz treu: Hypothesen aufstellen, prüfen, falsifizieren, hinterfragen. In der Diskussion werden wir der Wahrheit näher kommen. Das heisst jetzt nicht, dass ich Ihnen eine Zecken-Impfung empfehlen würde. Sicher nicht. Dennoch, wenn ich ehrlich bin, die Tatsache, dass meine Familie gegen FSME geimpft ist, hinterlässt ein gutes Gefühl.
Nachtrag 26.9.90
Erst jetzt lese ich einen Medienbericht, wonach eine mögliche Covid-19-protektive Wirkung von Dengue-Infektionen in Brasilien von einer Gruppe der Duke University, NC, beschrieben wurde. Die Arbeit ist noch nicht publiziert.
Foto von focusonmore.com