Expedition mit überraschendem Ausgang – Ein epidemiologisches Lehrstück
Die beiden Australischen Ärzte Alvin Ing und Christine Cocks wollten auf den Spuren von Ernest Stackleton auf den antarktischen Inseln wohl Pinguine, Albatrosse und andere Naturphänomene beobachten. Beim Einchecken auf dem Expeditionsschiff Mitte März, als alle Passagiere Temperatur messen mussten, haben sie sich vielleicht schon Ihre Gedanken gemacht. Die WHO hatte die Corona-Pandemie ausgerufen. Die Medien hatten wiederholt über schlecht kontrollierbare Krankheitsausbrüche auf Kreuzfahrtschiffen berichtet. Doch die Expedition war überschaubar: 3 Wochen unterwegs mit 128 Passagieren und 95 Besatzungsmitgliedern.
Enttäuschung pur….
…nehme ich an für die Passagiere als am dritten Tag bekannt wurde, dass wegen internationalen Reiseeinschränkungen die Reise auf 2 Wochen abgekürzt werden musste. Ich nehme mal an, dass die beiden auf der Fahrt sich mit dem Australischen Schiffsarzt, Jeffrey Green und seinem Assistenten auch über die Corona-Massnahmen unterhalten hatten, hatte man doch jeden Tag bei allen Passagieren täglich Fiebermessungen durchgeführt.
Und dann: Fieber am Tag 8…
…bei einem Passagier. Doch was jetzt geschah, war bemerkenswert! Man konnte ja noch keine Diagnose stellen, doch die vier Kollegen sahen sich unverhofft mitten in einer epidemiologischen Feldstudie. So entstand eine der interessantesten Publikationen der letzten Tage: Ing et al, COVID-19: in the footsteps of Ernest Shackleton, Thorax.
Sofortmassnahmen eingeleitet
Was der Schiffsarzt und sein Team nun einleiteten war beispielslos: Gleich vom ersten Tag des Verdachts einer Covid-19 Erkrankung an Bord wurden gleich die maximalen Präventionsmassnahmen eingeleitet: Alle Passagiere mussten ab sofort in den Kabinen bleiben. Das Personal brachte das Essen vor die Tür. Um jeden Kontakt zu vermeiden gab es keinen Zimmerservice. Alle Passagiere trugen chirurgische Masken. Kontakt mit infizierten Patienten erfolgte nur mit Schutzanzügen. Das Personal trug dabei N95 Masken, also spezielle Spital-Masken, die auch Aerosole wirksam filtern. Mehr kann man fast nicht tun.
Die Passagiere mussten dann in ihren Kabinen Nerven behalten. Denn die Argentinische Regierung hat dem Schiff die Rückfahrt in den Hafen verboten. Das Schiff nahm Kurs nach Montevideo, Uruguay, wo es am Tag 13 der Expedition einlief.
Konnten weitere Infektionen verhindert werden?
Doch trotz allem, wurden weitere Infektionen beobachtet: Insgesamt 9 Personen entwickelten Fieber, je drei am Tag 10 (crew), 11 (2 pacs, 1 crew) und 12 (3 pacs). Alle febrilen Personen waren bereits wieder symptomfrei oder deutlich gebessert, als das Schiff in Montevideo einlief. Doch die Hafenbehörde verlangte eine Covid-19 PCR Testung aller Personen, niemand durfte das Schiff verlassen. Am Tag 14 entwickelten drei weitere Personen Fieber; insgesamt wurden in der Folge 8 Personen zwischen Tag 17 und 27 wegen zunehmenden Atemproblemen evakuiert und in medizinische Behandlung transferiert. Bei allen Evakuierten konnte die Covid-19 Diagnose mittels PCR bestätigt werden.
Bilanz ernüchternd
Am Tag 20 der Expedition hatte man bei allen Personen einen PCR-Virusnachweis durchgeführt: Und jetzt die Ernüchterung: Trotz den sofort durchgeführten, intensivierten Isolationsmassnahmen wurden insgesamt 59% der Personen auf dem Schiff angesteckt. Besonders interessant ist aber die Beobachtung, dass 81% der Infizierten keine Symptome einer Erkrankung entwickelten (104 von 128). Die Autoren weisen noch darauf hin, dass bei einige Personen, die sich gemeinsam isoliert in einer Kabine aufhielten, die PCR-Untersuchung am Tag 20 noch diskordante Resultate gab, das heisst, mindestens ein Passagier wurde positiv und mindestens ein Passagier negativ getestet. Die Autoren betrachten dies als besonders auffällig und möchte mit weiteren Nachforschungen abklären, ob die Zahl der nicht nachweisbar infizierten Personen allenfalls noch höher liegen könnte.
Asymptomatische Erkrankung eher die Regel als die Ausnahme
Diese Beobachtung einer hohen Rate an asymptomatischen Erkrankung ist kein Einzelfall. Gerade ist eine Untersuchung bei Spitalmitarbeitern eines Spitals in Birmingham publiziert worden (Shields BMJ 19.5.20): Hier fanden die Autoren bei 126 von 516 getesteten Mitarbeitern (24%) Antikörper gegen Covid-19. Doch auch unter den 281 Mitarbeitern, die keine Zeichen einer Erkrankung meldeten, gab es fast 20% (asymptomatische) Infektionen. Sollt sich auch diese Untersuchung bestätigen, ist die Rate von symptomfreien Verläufen doch erstaunlich hoch.
Und was sagt uns diese «Feldstudie»?
Diese Resultate sind doch sehr überraschend und stellen viele unserer Annahmen zur Epidemiologie und zum Management von Covid-19 in Frage. Hier ein paar wichtige Schlussfolgerungen:
- Fiebermessungen, als Massnahme um infizierte Personen zu identifizieren sind sinnlos (auch wenn die meisten Flughäfen in diesen Tagen routinemässige Temperaturmessungen einführen)
- Viele, vielleicht sogar wie hier weitaus die Mehrheit der Covid-19 Infektionen laufen ohne Symptome ab. Die mathematischen Modelle (s. Bericht) scheinen sich zu bestätigen.
- SARS-CoV-2, der Erreger von Covid-19 scheint sehr leicht übertragbar zu sein. Besonders gross scheint auch das Risiko, dass Personen, welche noch ohne Symptome sind, bereits andere Personen anstecken können. Inwiefern diese häufge Übertragung ausschliesslich für solche Schiffsfahrten gilt oder ein allgmeinenes Phänomen dieses Virus ist, bleibt abzkuklären.
Die Beobachtung, dass symptomfreie Personen nicht nur häufig sind, sondern dass sie ihre Krankheit auch sehr einfach übertragen können, macht es sehr unwahrscheinlich, dass eine «Containment» Strategie, also der Versuch jeder einzelnen Krankheitskette nachzugehen und Folgekrankheiten zu verhindern, je funktionieren wird.
Foto von National Library NZ on The Commons