16. Mai 2020

Corona – Impfung als ultimative Rettung?

Am 23. April 1984 – das Internet (so wie wir es heute kennen) war noch längst nicht erfunden – berichteten die amerikanischen Medien über einen Durchbruch! Der Saal der Pressekonferenz war zum Bersten voll, Dutzende von Mikrophonen waren positioniert, um die Botschaft zu empfangen. Es war der Tag, an dem die Entdeckung des AIDS-Virus bekannt wurde. Der Name „HIV“ kam erst später. Bob Gallo wurde an der Konferenz als der Entdecker gefeiert; heute wissen wir, dass er die Entdeckug von französischen Forschern geklaut hat. Die damalige US Ministerin für Gesundheit und Soziales, Margaret Heckler, durfte die Konferenz einleiten. Und sie kündigte auch gleich an, dass wir in zwei Jahren einen Impfstoff gegen AIDS haben werden.

Ich war damals Assistenzarzt an meiner ersten Stelle nach dem Staatsexamen. Wir haben von AIDS gelesen, in der Öffentlichkeit war es noch kaum ein Thema. Gerade hatte ich meinen ersten AIDS Patienen mit schwerer Lungeninfektion betreut, sein Leben wird nur noch kurz dauern, das wusste ich. Die Hoffnung, nun bald eine Impfung zu haben, erleichterte mich sehr. Denn wir sahen damals schon: es waren meist junge Menschen, die durch diese neuartige Erkrankung plötzlich aus dem Leben gerissen wurden. Und es wurden immer mehr.

Heute, 36 Jahre später, warten wir noch immer auf eine HIV-Impfung. Die Erfolge kamen auf anderen Wegen. Hat die Forschung versagt? Nein, sicher nicht! Doch es hat sich gezeigt, dass sich das HIV-Virus sehr viel komplexer verhält, als andere Viren, gegen die wir damals schon wirksame Impfstoffe hatten. Doch wir haben gerade auch durch die Suche nach einem Impfstoff gegen HIV viel dazugelernt.

Mit dem Rückblick auf die HIV-Impfstoffforschung möchte ich nicht den jungen Assistenzärzten von heute die Hoffnungen rauben. Es sind die Hoffnungen, die uns im Leben vorwärts treiben. Doch es lohnt sich auch, realistisch zu sein. Eine Impfstoffentwicklung war noch nie ein Spaziergang.

Hoffnung für Impfstoffentwicklung berechtigt
In einem „Perspective“ Artikel in der Zeitschrift Science fasst B.S. Graham die Probleme bei der Impfstoffentwicklung zusammen. Sein Artikel lässt uns schon hoffnungsvoll bleiben: Die Impfforschung hat sich in den letzten Jahren massiv entwickelt und das Engagement zur Entwicklung neuer Impfstrategien gegen SARS-CoV-2 ist immens. Wir haben einige  Ansätze, wie man das Virus erfolgreich anpacken kann. Wir kennen die Andockstelle des Virus, wo wir mit Antikörpern den Eintritt des Virus in die Zelle blockieren sollten. Doch Graham warnt vor allem davor, dass man die Sicherheitsbedenken bei der Entwicklung von Impfstoffen nicht vernachlässigen darf (Tabelle). Dabei ist es einerseits die Gefahr, dass Antikörper anstatt einen Schutz zu vermitteln, eine Infektion der Zielzelle sogar begünstigen könnten. Ein sogenanntes „Antibody-dependent-enhancement“ (ADE) wurde für SARS-CoV tatsächlich beschrieben. Graham argumentiert sehr klar, dass es entscheidend sein wird, dass wir bei der Impfstoffentwicklung die Sicherheitsbedenken immer im Visier haben müssen. Nur so haben wir eine Chance, innert nützlicher Zeit einen Corona-Impfstoff zu bekommen. Doch die Prüfung von Impfstoffen ist ein aufwändiger Prozess. Und ich wünsche den jungen Ärztinnen und Ärzten, dass Ihnen die Frustrationen, die wir erleben mussten, erspart bleiben.

Selbst mit einem Impfstoff bleiben Probleme
Ich selbst bleibe hoffnungsvoll optimistisch: Auch wenn ich nicht daran glaube, dass wir bereits im nächsten Frühling mit Impfen beginnen können, erachte ich es als möglich, dass ein Impfstoff, der sehr gezielt neutralisierende Antikörper gegen die Andockstelle des Virus bildet und keine „falschen“ Antikörper und ADE auslöst, doch grundsätzlich möglich sein wird. Und ich bin auch zuersichtlich, dass die Sicherheit des Impfstoffes ausreichend getestet wird. Doch die Frage ist, was wir dann am Ende mit dem Impfstoff anstellen.

Wer soll denn geimpft werden?
Eigentlich eine einfache Frage: Alle natürlich. Ok. Das ist simpel. Vorausgesetzt, wir haben genügend Impfstoff. Ist dies nicht der Fall, dann wäre wohl der erste Reflex: Ja natürlich, die am meisten gefährdeten Personen. Und hier wird es kritisch: Denn 80% der Personen, die wir besonders schützen sollten, sind über 70 Jahre alt. Und da wissen wir aus der Erfahrung mit der Grippe und anderen Impfungen, dass gerade die älteren Menschen eine ungenügende Immunantwort auf Impfungen machen. Exakt die Population, die somit von der Impfung profitieren sollte, wird voraussichtlich durch die Impfung nicht ausreichend geschützt. Damit ergibt sich für uns die klare Strategie, dass wir alles daran setzen müssen, mit einer Impfung der Gesamtbevölkerung eine Herdenimmunität zu erreichen. Das bedeutet, dass wir den grössten Teil der  unter 65-Jährigen, vielleicht 90%, erfolgreich impfen müssten, um die besonders gefährdeten Menschen, um die es ja dann konkret ginge, wirksam zu schützen.

Solidarität gefragt: Werden wir es bei Corona schaffen?
Persönlich bin ich skeptisch, ob unsere Gesellschaft sich dann – wenn wir die Impfung haben – so solidarisch zeigen wird. Denn seit 30 Jahren setzen wir uns um genau dasselbe solidarische Prinzip bei der Grippeimpfung ein: Wir wissen, dass die älteren Menschen gefährdet sind. Und wir wissen, dass bei ihnen selbst die Grippeimpfung ungenügen wirksam ist. Und wir wissen aus sehr guten Erfahrungen aus Japan in den 60-er Jahren, dass wir die Grippetodesfälle bei alten Menschen deutlich senken können, wenn wir Kinder und junge Menschen impfen. Doch wir wissen, wie schwierig es heute ist, junge Menschen, ja sogar das gut informierte Pflegepersonal, mit dem solidarischen Appell für eine Grippeimpfung zu motivieren. Selbst wenn wir bald einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 haben, er muss gut und sicher sein, sonst haben wir keine Chance, dass sich junge Menschen solidarisch für andere Menschen impfen lassen.

Nachtrag 17.5.20
Die Medien berichten immer wieder von heroischen Selbstversuchen mit Coronaimpfungen. Ein kürzliches Beispiel aus Deutschland findet sich hier. Bei diesem letzten Beispiel wird von einem „erfolgreichen“ Versuch berichtet. Doch auch hier gilt: Nachgewiesen hat der 73-jährige nur, dass ein künstlich hergestelltes Viruseiweiss in seinem Körper Antikörper produziert. Das ist soweit gut aber keine Überraschung. Was es jetzt nachzuweisen gilt, ob diese Antikörper vor einer Infektion schützen und – wie oben erwähnt – nicht allenfalls eine Infektion sogar verstärken könnten.
Ebenfalls unwahrscheinlich ist, dass wir bei Coronaviren überhaupt die sogenannte „Herdenimmunität“ erreichen können, da Coronaviren, anders als bei Kinderkrankheiten, laufend ihre Oberflächenstrukturen verändern.