Wenn eine Maserninfektion das Immunsystem vergesslich macht

Frühere Daten zeigen, dass eine  Maserninfektion zu lebenslanger Immunität gegen das Masernvirus, jedoch paradoxerweise auch zu starker Immunsuppression führen kann [De Vries et al. Curr.Opin.Virol 2012, Griffin et al. N Engl J Med 1989]. Diese immunologischen Folgen der Maserninfektion können Jahrelang bestehen bleiben und höhere Mortalitätsraten bei Kindern aufweisen [Mina et al. Science 2015].  Eine kürzlich durchgeführte Kohortenstudie aus England zeigte, dass bis zu 15% der Kinder bis zu 5 Jahre nach einer Masernerkrankung Zeichen der Immunsuppression aufwiesen und somit anfälliger für sekundäre Infektionen waren [Gadroen et al. BMJ Open 2018].

Der genaue Mechanismus dieser Immunsuppression war bisher unbekannt. Nun hat eine Forschergruppe um Velislava Petrova und Collin Russell in Science Immunology (https://immunology.sciencemag.org/content/4/41/eaay6125.full) eine molekulare Erklärung für diese immunologische Gedächtnislücke nach einer Maserninfektion geliefert.

Die Memory-B-Immunzellen, sogenannte Gedächtniszellen, sind der Informationsspeicher für die Bildung von Antikörper gegen Krankheitserreger, durch welche der menschliche Körper eine Infektion erlitten hat. Bei erneuter Konfrontation des Körpers mit diesen Erregern starten diese Gedächtniszellen eine Antikörperproduktion und können die Pathogene eliminieren lassen, bevor es zu einer Infektion kommt. Fehlt diese humorale Immunantwort, oder ist sie beeinträchtigt, ist der Körper nicht imstande Krankheitserreger als solche früh genug zu erkennen, bevor sie eine Infektion auslösen.

Die Fähigkeit des „adaptiven Immunsystems“, zu denen die B-Zellen gehören, verschiedene Antigene zu erkennen, ist durch den genetischen Aufbau ihrer Oberflächen Immunrezeptor-Molekülen definiert. Je diverser deren Gene, desto Umfangreicher ist das Rezeptor Repertoire nach Antigenexposition und somit die Abwehr.

Die Forschergruppe um Velislava Petrova und Collin Russell hat das Immunglobulin Gen-Repertoire, sozusagen den genetischen Fingerabdruck der Antikörper, von naiven und Memory-B-Immunzellen von nicht geimpften, 4 bis 17 jährigen  Kindern, gepaart vor- und nach einer erstmaligen Maserninfektion, untersucht.  Die Teilnehmer der Studie stammten von drei orthodox protestantischen Schulen in den Niederlanden, bei welchen die Impfraten weniger als 20% betrugen.

Die Studie zeigte zwei Modalitäten der Immun-“Restrukturierung“ nach Maserninfektion auf:

1.  Eine Inkomplette Knochenmarksrekonstitution von naiver B-Zell-Diversität, welches zu einer immunologischen Unreife- trotz Resolution der klinischen Symptome-führte
2.  Eine Depletion, bzw. Verlust, des vorgängig  generierten Immungedächtnisses, welches auch nach Erholung der Lymphozytenzahl, welches während der Symptomatik abgefallen war, anhielt.

Unter normalen, physiologischen Bedingungen, wird der B-Zell Pool (naive B-Zellen) kontinuierlich durch vom Knochenmark stammenden B-Zellen neu „aufgefüllt“. Dies gewährleistet ein sehr stabiles Reservoir von B-Zellen mit breiter Antigenspezifität, codiert durch die Gendiversität der B-Zell-Rezeptorgene.

In dieser Studie zeigte sich ein schwerer Rückgang der Immundiversität bei ca 10% der maserninfizierten Kohorte und die Verschiebung zu immunologischer Unreife ihres B-Zell-Rezeptor-Repertoires. Dies lässt eine Beeinträchtigung der Rekonstitution der B-Zell-Diversität durch das Knochenmark vermuten.

 

Somit kann eine Maserninfektion zu einer sogenannten immunologischen Amnesie führen. Das Immunsystem verliert einen Teil seines immunologischen Gedächtnisses und muss erneut bereits erfolgreich überstandene Infektionen wieder durchmachen, um neue Antikörper bilden zu können.

So kann diese länger anhaltende Gedächtnislücke zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber anderen Krankheitserregern führen. Eine Tatsache, die bei geimpften Kindern nicht beobachtet wurde. Mit dieser Studie lässt sich die Aussage, dass eine Impfung das „Immunsystem schwächt“ nicht belegen. Das Gegenteil ist der Fall: nicht impfen kann sie schwächen.