Antibiotikaprophylaxe bei Frühgeborenen: nicht länger als 2 Tage!
Sehr kleine Frühgeborene (englisch: Very low birth weight children, VLBW, <1500g) haben ein erhöhtes Risiko für frühe Neugeborenensepsis. Eine grosse kanadische Studie hat nun die allgemein übliche Praxis einer Antibiotikaprophylaxe bei VLBW kritisch hinterfragt und hat Erstaunliches festgestellt.
Sehr kleine Frühgeborene erhalten in der Regel ab Geburt Antibiotika. Nach Erhalt der mikrobiologischen Kulturresultate (im Alter von 36-48 Stunden) sollte die Antibiotikatherapie reevaluiert und nur dann verlängert werden, wenn Kulturen positiv sind. In dieser retrospektiven Kohortenstudie aus der Canadian Neonatal Network Datenbank wurde untersucht, ob die Dauer der Antibiotikagabe einen Einfluss auf die Prognose hat. Als primäre Endpunkt wurde ein zusammengesetzter Outcome aus Mortalität nach Tag 7 und schwerer Morbidität verwendet, welche definiert war als mindestens eines von schwerer intraventrikulärer Blutung, periventrikulärer Leukomalazie, Retinopathie der Frühgeborenen, nekrotisierende Enterocolitis, chronische Lungenerkrankung (d.h. Sauerstoffbedarf im Alter von 36 Wochen oder bei Entlassung) oder nosokomiale Infektion nach Tag 7.
Zwischen 2010-2016 erhielten 21% von 14207 VLBW Neugeborenen ohne Kultur-bestätigte Sepsis in der ersten Woche keine Antibiotika; 38% erhielten Antibiotika über 1-3 Tage und 41% Antibiotika über 4-7 Tage. Eine Antibiotikagabe von 4-7 Tagen war mit einem signifikant höheren Risiko für den primären Endpunkt assoziiert (38% [95% Konfidenzintervall: 25-51%] höher im Vergleich zur 1-3 tägigen Gabe und 24% [9-41%] höher als bei Kindern ohne Antibiotika).
Sehr kleine Frühgeborene mit einem geringen Risiko (Kaiserschnitt, keine Wehen, keine Chorioamnionitis) erlitten signifikant seltener eine frühe Neugeborenensepsis als die übrigen (0.5% vs. 1.8%, p<0.01). Diese niedrig-Risiko VLBW Frühgeborenen erhielten dennoch in immerhin 31% Antibiotika für 4-7 Tage.
Pro Tag einer längeren Antibiotikatherapie (nach Tag 3) stieg das Risiko für den primären Endpunkt um 4.7% an. Bei den niedrig-Risiko VLBW Frühgeborenen betrug dieses Risiko sogar 7.3% pro zusätzlichem Antibiotika-Tag!
Diese Studie ist ein hervorragendes Beispiel wie eine gut gemeinte Antibiotikatherapie ungewollt zu einem schlechteren Outcome führt. Dabei sind mittel- bis langfristige Auswirkungen auf das Mikrobiom mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Allergien, Asthma und metabolischen Erkrankungen (Diabetes, Adipositas) sowie das Risiko zur Selektion von Antibiotikaresistenzen noch gar nicht berücksichtigt.
Eine frühere Studie zeigte, dass Neugeborene, die Antibiotika für 48 Stunden erhalten hatten, nur ausnahmsweise noch im weiteren Verlauf Antibiotika benötigten und nicht häufiger als Neugeborene, die initial länger Antibiotika erhalten hatten. Daher besteht insbesondere für diese niedrig-Risiko VLBW Frühgeborenen ein enormes Potential, Antibiotika einzusparen und gleichzeitig ihre Prognose zu verbessern.
Fazit:
Prolongierte Antibiotika sind nach Erhalt von negativen mikrobiologischen Kulturresultaten bei sehr kleinen Frühgeborenen nicht indiziert und verschlechtern sogar die Prognose!