HIV-Therapie: Nicht hinauszögern!
Der ideale Zeitpunkt zum Start einer HIV-Therapie ist umstritten. Erneut zeigt eine immunologische Untersuchung, dass man den Beginn der HIV-Therapie wohl nicht hinauszögern soll. Therapiebeginn – ein heisses Thema
Seit bald 10 Jahren weisen wir auch hier immer wieder darauf hin, dass die HIV-Infektion auch ganz früh – wenn die CD4-Helferzellen noch hoch sind – einen Schaden am Immunsytem anrichten. Andererseits ist der Nutzen einer frühen Therapie – auch gemessen am zusätzlichen Aufwand – nicht wirklich bekannt. Viele Experten wollen warten, bis die „START“-Studie abgeschlossen ist. Das wird allerdings noch Jahre dauern.
Die multinationalen START Studie will herausfinden, ob Patienten, welche früher (solange die CD4-Werte noch über 500 sind) mit der Therapie beginnen, weniger schwere Komplikationen oder AIDS-Erkrankungen erleiden, als diejenigen, die erst nach Abfall der CD4-Werte beginnen. Diese Frage kann wohl nur in dieser Studie beantwortet werden.
Biologische Evidenz versus randomisierte Studien
Andererseits weisen wiederholt bisher meist retrospektive Studien darauf hind, dass bei früherem Therapiebeginn das Immunsystem in einem besseren Zustand bewahrt wird. Die erste solche Arbeit hatten wir vor 9 Jahren hier vorgestellt (s.u.: weitere Beiträge). Bei solchen Arbeiten kann man nie ganau sagen, ob die beiden verglichenen Gruppen tatsächlich vergleichbar sind.
Nun ist im JAMA eine weitere, nicht randomisierte Beobachtungsstudie publiziert worden, deren Resultate, welche die Effekte eines vorgezogenen Therapiebeginns auf die Immunologische Erholung untersucht.
Behandlungsstart im ersten Jahr der Infektion
Speziell an dieser Studie ist, dass von allen Patienten (n=1119) der Infektionszeitpunkt recht exakt bekannt war. So konnten Patienten verglichen werden, die – aus welchem Grund auch immer – ihre Therapie im ersten Jahr eingeleitet hatten mit solchen, welche später begannen.
Endpunkt: CD4 Erholung >900 – Hepatitis Impfantwort
Interessant ist die Frage, wie man nun die „Erholung“ des Immunsystems nach Therapie misst. Die Autoren wählten im Wesentlichen zwei Faktoren: Einen CD4-Anstieg über 900 Zellen/μl oder ein Ansprechen auf eine Hepatitis B Impfung. Letzerer Faktor ist besonders interessant, weil es sich nicht einfach um eine Messgrösse (Anzahl Zellen) handelt, sondern um eine Information über das korrekte Funktionieren des Immunsystems.
Einigermassen vergleichbare Gruppen
Die Früh-Starter haben ihre Therapie im Mittel 8 Monate nach dem errechneten Infektionszeitpunkt eingeleitet, die Spät-Starter nach 30 Monaten, also knapp zwei Jahre später. Dadurch war auch das Alter der Spät-Starter zum Zeitpunkt des Therapiestartes etwas höher (3 Jahre). Allerddings hatten Früh-Starter zu Beginn der Beobachtung durschnittlich etwas tiefere CD4 Werte (380 vs. 490, eher ein Nachteil).
Unterschiede allerdings frappant
Umso überraschender die Unterschiede bezüglich den Endpunkten: Deutlich mehr Patienten erreichten einen „normalen“ CD4-Wert (38% vs. 28%) bei den Früh-Startern. Das Ansprechen auf die Hepatitis-B Impfung war trendweise besser in der frühstart-Gruppe (knapp 70% vs. 50%, p=0.07), doch der Effekt der Impfung war – unabhängig vom Therapiebeginn signifikannt besser, wenn in den ersten 12 Monaten nach Infektion geimpft wurde.
Die Autoren haben den Effekt der Frühtherapie auch untersucht in den Subgruppen mit hohen CD4-Werten (>500). In der nebenstehenden Kaplan Meier Kurve wurde der Anteil von Patienten dargestellt, die über die Beobachtungszeit eine Normalisierung der CD4 Werte erreichten. Schwarz dargestellt die Frühstarter und blau die Spätstarter. Die durchgezogenen Linien sind von Patienten, die eine Therapie mit hoher CD4 Zahl (>500) begannen. Die gestrichelten Linien entsprechen dem Verlauf der Patienten mit CD4-Start unter 500. Dabei zeigt sich deutlich, dass der frühe Therapiebeginn besonders wichtig ist bei Patienten, die mit einer tiefen CD4 Zahl starten. Bei hohen CD4 Zahlen ist der Effekt zwar immernoch signifkikannt (p<0.001), doch insgesamt weniger imposant. Doch insgesamt hatten die Patienten mit Therapiebeginn >500 eine rund 2x höhere Wahrscheinlichkeit, im Verlauf eine Normalisierung der CD4 Rate zu erreichen als Patienten mit Therapiestart unter 500 CD4-Zellen/μl.
Auch bezüglich weiterer Endpunkte (u.a. Auftreten von AIDS-Symptomen) waren die Früh-Starter besser dran, doch die Zahlen waren klein. Die Früh-Starter zeigten auch seltener eine Immunaktivierung, ein für die Schädigung des Immunsystems wichtiger Faktor.
Einmal mehr: Früher Therapiestart dürfte sich lohnen
Natürlich ist auch diese Studie alleine nicht entscheidend. Doch die Fülle an Arbeiten, welche nun zeigen, dass ein früher Therapiebeginn die Schädigung des Immunsystems durch die HIV-Infektion einschränkt, weisen doch darauf hin, dass Patienten bei einem früheren Therapiebeginn profitieren werden.
Literaturangaben
- Okulicz JF. et al. Influence of the Timing of Antiretroviral Therapy on the Potential for Normalization of Immune Status in Human Immunodeficiency Virus 1-Infected Individuals. JAMA Intern Med. 2014
- Günthard HF. et al. Antiretroviral treatment of adult HIV infection: 2014 recommendations of the International Antiviral Society-USA Panel. JAMA. 2014
Links
- HIV-Therapiebeginn: Vielleicht doch besser früher (Veröffentlicht am 20.08.2004)
- HIV Therapie: Früher Beginn bewahrt Immunantwort (Veröffentlicht am 07.12.2006)
- Früher Therapiebeginn Frühe Diagnose (Veröffentlicht am 17.09.2012)
- Früherkennung und sofortige HIV Therapie sind der Schlüssel (Veröffentlicht am 17.03.2013)
- HIV: früher Therapiebeginn gut für Knochen! (Veröffentlicht am 26.11.2013)