Antibiotika zu später Stunde – wenn Ärzte müde werden
Psychologen bezeichnen als „decision fatigue“ wenn unsere Selbstkontrolle und damit die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, nach gehäuften Entscheidungen abnimmt. Forscher der Harvard Medical School haben untersucht, ob dies auch für das Antibiotikaverschreibeverhalten bei Atemwegsinfekten zutrifft, die häufig zu unrecht mit Antibiotika behandelt werden, und ob mit Fortdauer der Sprechstunde immer mehr Antibiotika verordnet werden.
Dazu wurden die elektronischen Krankenakten von 21867 ambulanten Konsultationen für akute Atemwegsinfekte von Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren retrospektiv analysiert. In 44% der Konsultationen wurden Antibiotika verschrieben. Interessanterweise nahm die Wahrscheinlichkeit einer Antibiotikaverschreibung im Laufe des Morgens zu, fiel dann nach der Mittagspause leicht ab und stieg dann im Laufe des Nachmittags wieder an. Im Vergleich zur 1. Stunde einer jeweiligen Sprechstunde war das Risiko in der 3. und 4. Stunde signifikant um 14% und 26% erhöht (p<0.001).
Der Effekt war ähnlich für Erkrankungen, bei denen Antibiotika praktisch nie indiziert sind (akute Bronchitis, unspezifischer Infekt der oberen Atemwege, Influenza, nicht-Streptokokken Pharyngitis), und für Erkrankungen, bei denen Antibiotika zumindest manchmal indiziert sind (Otitis media, Sinusitis, Pneumonie, Streptokokken-Pharyngitis).
Als Erklärung postulieren die Autoren eine zunehmende Entscheidungsmüdigkeit im Laufe des Tages. Dies wird dadurch plausibel, weil eine Verschreibung von Antibiotika als die einfachere und „sicherere“ Variante angesehen wird, während es erhöhten Erklärungsbedarf erfordert und die Konsultation verlängert, wenn einem Patienten erklärt werden muss, warum ein Antibiotikum nicht indiziert ist. Gerade in den USA erwarten viele Patienten ein Antibiotikum oder zumindest denken das viele Ärzte. Dazu kommt die -meist unberechtigte- Sorge um vermeintlich erhöhte Komplikationsraten ohne Antibiotika. Dass das Komplikationsrisiko bei Infekten der oberen Atemwege sehr niedrig ist und Antibiotika hier in aller Regel nicht indiziert sind, ist bereits länger bekannt (Petersen, 2007). Was die Autoren vorschlagen:
- kürzere Sprechstunden
- geplante Pausen
- Decision-support Systeme
- oder einfach Snacks (auch verwendbar zur Stimmungsaufhellung)!
Unser Fazit: Eine gute Work-Life-Balance ist wichtig, vielleicht sogar in Bezug auf die Antibiotikaresistenzen.