Influenza und bakterielle Superinfektionen – dramatisch und komplex

Am 16. International Congress of Infectious Diseases in Kapstadt hielt Prof. Jon McCullers einen hochinteresssanten State-of-the-Art Vortrag über das bisweilen dramatische Krankheitsbild von bakteriellen Superinfektionen nach Influenza.

Lehren aus der Geschichte
Wer gut recherchiertes Historisches schätzt, sei an John Barrys überaus lesenswertes Buch „The Great Influenza“ über die Spanische Grippe 1918/19 verwiesen. 1917/18 kam es weltweit zu ca. 500 Millionen Influenzainfektionen, die ca. 3-5% der damaligen Weltbevölkerung das Leben kosteten. Bereits 1919 wusste Louis Cruveilhier: „If grippe condemns, the secondary infections execute“. Anhand von Autopsiematerial konnte später bewiesen werden, dass damals bei den meisten (>90%) aller Todesfälle sekundäre bakterielle Pneumonien aufwiesen (Morens, Taubenberger JID 2008). Das war vor der Entdeckung des Penicillins. Und heute?

Vermehrt Todesfälle bei der Mexikanischen Grippe
Während der pandemischen Grippe 2009 starben trotz intensivster Therapie alleine in Memphis, Tennessee, 5 vorher gesunde Kinder, die nach Influenzainfektion eine sekundäre bakterielle Pneumonie entwickelten. So klagte ein gesunder 13-jähriger Bub am 1.9.2009 über Halsschmerzen, Fieber und Husten. Am nächsten Morgen wurde Oseltamivir und Azithromycin durch den Hausarzt begonnen. Am Abend trat er auf die Notfallstation wegen Thoraxschmerzen ein, wo die Sauerstoffsättigung noch 99% bei Raumluft betrug. Noch auf der Notfallstation verschlechterte er sich rapide, musste intubiert werden, radiologisch zeigte sich bereits eine „weisse Lunge“ worauf er Vancomycin und Meropenem zusätzlich zu Oseltamivir und Azithromycin erhielt. Trotz extrakorporaler Membranoxygenation (ECMO) verstarb er 4 Tage später. Im Trachealsekret wurde Influenza H1N1 sowie Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus nachgewiesen, in der Autopsie zeigte sich eine nekrotisierende hämorrhagische Pneumonie. Prof. McCullers‘ Kommentar: „That’s why I study this disease.“

Virus und Bakterien unterstützen sich gegenseitig
Er berichtete über das komplexe Zusammenspiel zwischen Virus, Wirt und Bakterien (s. auch McCullers 2014). Eine Vielzahl von Mechanismen führt zu einer Copathogenese zwischen Influenza und bakteriellen Erregern:

  1. Virale Epithelschädigung, Schädigung von Zilien, Hochregulierung von Rezeptoren und verstärkte bakterielle Adhärenz nach Influenzainfektion (McCullers 2004),
  2. Erleichterter Zugang zu normalerweise sterilen Regionen für Bakterien,
  3. Dysregulation des angeborenen Immunsystems als verstärkte Inflammation durch Cytotoxin-Freisetzung mit Hochregulierung von bakteriellen Rezeptoren. Aber auch als Anergie, z.B. durch eine Influenza-bedingte Hemmung und Reduktion von Alveolarmakrophagen mit folglich verringerter Phagozytose von bakteriellen Erregern. Die dadurch bedingte erhöhte Empfänglichkeit für bakterielle Superinfektionen beginnt bereits nach 3 Tagen, erreicht nach 7-9 Tagen ihr Maximum und dauert mehrere Wochen! Dies scheint vielleicht sogar DER entscheidende Mechanismus für die erhöhte Mortalität zu sein und kann partiell mit GM-CSF rückgängig gemacht werden.
  4. Beschleunigte Freisetzung von Influenzaviren aus den Wirtszellen durch bakterielle Neuraminidasen.
  5. Bei gleichzeitiger Influenza kommt es zu einer erhöhten Bakterienlast im Nasopharynx, was sowohl zu einem erhöhten Pneumonierisiko als auch zu einem erhöhten Übertragungsrisiko führt (Vu 2011).

(Quelle: JA McCullers. Nat Microbiol Rev 2014).

Die meisten bakteriellen Superinfektionen erfolgen kurze Zeit nach Akquisition eines neuen Bakterienstamms, vermutlich da glücklicherweise die einsetzende systemische Immunität mit spezifischen Antikörpern diese Erreger mit der Zeit eindämmen kann.

(Quelle: JA McCullers. Nat Microbiol Rev 2014).

Lehren aus dem Mausmodell
Die klinische Beobachtung zeigt, dass Antibiotika alleine die Mortalität nicht beeinflussen können. Wie kann man nun therapeutisch in diesen Prozess eingreifen?

Ein Problem der Antibiotikatherapie liegt darin, dass sogenannte Zellwand-aktive Antibiotika wie die Penicilline, die innerhalb von 24 Stunden(!) zu einer kompletten Zerstörung der Bakterien führen, den Teufelskreis der Inflammation nur weiter aufschaukeln, zu einem ARDS führen und – wenn alleine ohne Virostatikum gegeben – zu einer Prognoseverschlechterung führen. Wenn allerdings im Tierversuch das gleiche Antibiotikum zu einem frühen Zeitpunkt verabreicht wird, wenn die Bakterienmenge noch gering ist, können die Mäuse gerettet werden.

Tatsächlich kann durch eine Therapie mit Neuraminidaseinhibitoren (NAIs) die verstärkte bakterielle Adhärenz aufgehoben werden. Zusätzlich verhindern NAIs die Entstehung einer sekundären bakteriellen Superinfektion nach Influenza und reduzieren damit die sonst 100%ige Mortalität bei Mäusen (McCullers 2004). Dieser Effekt wird im Tierversuch auch noch beobachtet wenn die NAIs 5-6 Tage nach Infektionsbeginn begonnen werden und interessanterweise sogar auch nachdem alle Influenzaviren bereits verschwunden sind!

Richtiges Timing der Massnahmen ist essentiell
Zusätzlich gibt es auch vielversprechende Ansätze zu einer Immunmodulation mittels Steroiden (Ghoneim JID 2014).  Hier ist aber der Zeitpunkt der Therapie entscheidend! Werden Steroide appliziert, wenn lediglich eine virale Infektion vorliegt (und noch keine bakterielle Superinfektion), dann wird die körpereigene antivirale Abwehr abgeschwächt und alle Mäuse werden noch kränker, scheiden länger Influenzaviren aus und sterben früher. Wenn dagegen Steroide erst zum Zeitpunkt der bakteriellen Superinfektion gegeben werden, wenn die Influenzaviren bereits verschwunden sind, und unmittelbar nach Beginn einer Antibiotikatherapie, dann hemmen sie die sonst schädliche Immunaktivierung und verbessern die Prognose im Mausversuch.

Studien beim Menschen zu diesen Fragen, gibt es leider noch nicht. Trotzdem fliessen diese (tier-) experimentellen Daten bereits in die Behandlungsalgorithmen von Prof. McCullers ein, der folgendes Konzept vorschlug:

  1.  Verhinderung schwerer Influenza-und bakterielle Super-Infektionen: Frühe antivirale Therapie bei allen Patienten mit Influenza!
  2. Beim Vorliegen einer bakteriellen Superinfektion: Therapie mit Antibiotika. Bei Therapie mit einem Penicillin oder Cephalosporin: zusätzlich ein immunmodulatorisches Antibiotikum (Makrolid oder auch Clindamycin bei Staphylococcus aureus, um die Toxinproduktion zu hemmen)
  3. Entscheid hinsichtlich Steroiden wird individualisiert, insbesondere in Bezug auf Zeitverlauf (nicht bei viraler Monoinfektion, eventuell bei bakterieller Superinfektion).