Pest im Mittelalter: Tröpfcheninfektion?

Heute lernt dies jeder Medizinstudent: Die Pest im 14. Jahrhundert wurde durch Ratten-Läuse auf den Menschen übertragen und durch ein besonders agressiven (virulenten) Bakterienstamm verursacht.  So die Lehrmeinung…Neue Erkenntnisse lassen aufhorchen
Doch manchmal  müssen wir auch alte Lehrmeinungen grosszügig über Bord werfen. Vermutlich auch unsere Meinung zur Übertragung der Pest im Mittelalter. Denn wir gehen heute immer noch davon aus, dass die Pest im Mittelalter
in Form der Beulenpest auftrat, einer der drei häufigen Spielformen der bakteriellen Erkrankung, welche vor allem mit Hautinfektionen („Beulen“) einhergeht.
Nun lassen Befunde von Ausgrabungen in der Stadt London vermuten, dass
die Pest im Mittelalter nicht durch Läuse übertragen wurde, sondern vermutlich durch Mensch-zu-Mensch Übertragung. Dabei kommt es beim Husten zur im Rahmen einer Lungeninfektion ähnlich wie bei der Grippe zur Übertragung von Tröpfchen.

Pest befällt auch die Lungen
Die Pest kennt im Wesentlichen drei klinische Präsentationen:

  • Beulenpest
  • Lungenpest
  • Pest-Sepsis

Die Beulenpest hat ihren Namen von den grossen Abszessherden, die an der Einstichstelle eines Flohbisses entstehen. Die Immunreaktion auf das Bakterium (Yersinia pestis) verursacht dann im ganzen Körper Allgemeinsymptome (z.B. Fieber und Kopfschmerzen) und eine Verbreitung in der Blutbahn (sepsis) ist eine mögliche Folge. Bisher ging man davon aus, dass die Pest, der im Winter 1348/49 in London, je nach Quelle 30-60% der Bevölkerung zum Opfer fielen, durch einen besonders hochvirulenten (krankmachenden) Keim verursacht worden sei.

Knochenfunde lassen aufhorchen
Vor einigen Jahren gelang es einer englischen Gruppe in London, aus Zahnfunden aus einem Londoner Massengrab von 1349 das Pestbakterium zu isolieren, sodass das Bakterium, als Ursache für den schwarzen Tod feststand. Nun haben die Forscher das Bakterium mit demjenigen verglichen, welches im letzten Jahr eine Pestepidemie in Madagaskar ausgelöst hatte. Das Resultat war sehr überraschend: Das Genom der Pestbakterien von 1348/9 ist praktisch identisch mit demjenigen der Pestinfektionen in Madagaskar von 2013. Von der Pestepidemie in Madagaskar (Beulenpest) wissen wir, dass sie sich nur recht langsam ausgebreitet hat. Somit müssen wir wohl die Hypothese, dass es sich 1348 um ein besonders virulentes Bakterium gehandelt haben muss, fallen lassen.

Andere Epidemiologie
Es muss also eine andere Erklärung für die schwere Epidemie geben, die ausgehend von China innnerte weniger Jahre ganz Europa heimgesucht hatte. Viele Experten gehen nun davon aus, dass sich das Bakterium eben NICHT durch Rattenflöhe ausgebreitet hat. Dieser Übertragungsweg mit einem „gewöhnlich“ virulenten Bakterium würde kaum eine so schnelle Ausbreitung einer Epidemie erklären. Eine bessere Erklärung wäre, dass sich das Bakterium von Mensch zu Mensch ausegbreitet hatte, was typischerweise bei einer Lungenentzündung der Fall wäre.

Kontroverse hält an
Natürlich lassen sich bald 700 Jahre später keine präzisen Angaben machen und viele Fragen bleiben offen. Die Kontroverse um die Ausbreitung der Pest wird anhalten. Doch die molekularen Funde aus dem Londoner Massengrab werden die Medizinhistoriker noch länger beschäftigen.

Quelle: Channel 4