Neuraminidaseinhibitoren bleiben bei Grippe empfohlen

Entgegen gut dokumentierter Evidenz einschliesslich auch Publikationen unseres eigenen Teams (Muthuri 2014, Frey 2014) verunsichern jüngste Cochrane Analysen (Jefferson, BMJ 2014, Heneghan, BMJ 2014) Ärzte und Patienten bezüglich dem Einsatz von Tamiflu® zur Behandlung einer Grippe. Was steckt dahinter?

Die Cochrane Autorengruppe äussert  medial gut verpackt unverhohlen eine in unserer Wahrnehmung unangemessen heftige Kritik an den einzigen weithin wirksamen antiviralen Medikamenten gegen die Grippe (sog. Neuraminidasehemmern, NAIs). Damit stiften sie unnötig Verwirrung und Verunsicherung.

Nun rücken die IDSA (Infectious Disease Society of America), die CDC (Centers of Disease Control and Prevention) und die American Academy of Pediatrics die Kritik zurecht und bekräftigen online, weshalb sie an den Empfehlungen zu Neuraminidaseinhibitoren (Tamiflu und Relenza) festhalten.

Die Argumente der drei Expertengremien sind klar:

  1. Die NAIs führen – wie auch die Cochrane Analysen zugeben – zu einer Verkürzung der Krankheitsdauer bei Kindern und Erwachsenen. Die Cochrane-Analysen schlossen jedoch nicht nur bestätigte Influenzafälle sondern auch nicht mit Influenza infizierte aber influenza-like illness ein, sodass die Wirksamkeit der spezifisch gegen Influenza gerichteten NAIs naturgemäss unterschätzt wurde.
  2. Ergebnisse von randomisierten Studien zu ambulanten Patienten mit leichten Verläufen erlauben keine Rückschlüsse auf Patienten mit schweren Verläufen oder hohem Risiko für Komplikationen. Leider gibt es in der Tat keine Placebo-kontrollierten Studien zu NAIs bei hospitalisierten Patienten – das wäre unethisch. Die vorhandenen observationellen Daten von hospitalisierten Patienten mit Influenza zeigen trotz aller durch den Studientyp bedingten Limitationen, dass NAIs schwere Verläufe einschliesslich Todesfällen oder Aufenthalt auf Intensivstationen reduzieren. Die besten Ergebnisse werden bei frühzeitigem Einsatz innerhalb von 48 Stunden erzielt, aber selbst danach ist ein gewisser Nutzen gezeigt.
  3. Die vorhandenen randomisierten kontrollierten Studien zu NIAs bei ambulanten Patienten demonstrieren eine Reduktion von unteren Atemwegsinfekten, die Antibiotika erfordern.

Die Fachgesellschaften bleiben somit bei Ihren ursprünglichen Empfehlungen: Tamiflu® oder Relenza® sobald wie möglich:

  1. bei allen hospitalisierten Patienten mit vermuteter oder bestätigter Influenzainfektion,
  2. bei ambulanten Patienten mit erhöhtem Komplikationsrisiko
  3. Jährliche Influenzaimpfung für alle Personen älter als 6 Monate

Rascher Therapiebeginn immer noch entscheidend
Tatsächlich ist die frühzeitige Gabe von Tamiflu® oder Relenza® absolut entscheidend für die rasche Wirksamkeit der Medikamente. Es ist bekannt, dass eine Verzögerung um 24 und mehr Stunden zu einer deutlichen Wirkungseinbusse führt. Während der Pandemie beobachteten wir eine um mehrere Tage reduzierte Symptomdauer bei nachgewiesener Influenza-Infektion, wenn Tamiflu® in den ersten 6 Stunden verabreicht wurde. Für die Routine wäre ein solcher Medikamenteneinsatz jedoch möglich, wenn Risikopersonen das Medikament bei sich zu Hause haben.