Nicht bevormunden, aber Position beziehen
So etwa könnte man eine kürzlich im BMJ publizierte Diskussion zur modernen ärztlichen Haltung kurz zusammenfassen. Doch es steckt viel dahinter. Tatsächllich hat sich die ärztliche Haltung in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Gerade im Bereich HIV wurden wir Ärzte durch junge, gut informierte Patienten herausgefordert. Diese Arbeit hat viele Infektiologinnen und Infektiologen geprägt. Wir versuchen heute allgemein viel mehr, eine Patienten-orientierte Haltung einzunehmen, unsere Patienten mit ihrer persönlichen Geschichte, ihrern Erfahrungen und Bedürfnissen ernst zu nehmen. Dieser Prozess hat die gesamte Medizin verändert und wiederspiegelt sich auch in der modernen Ausbildung der Medizin.
Den Patienten dort abholen, wo er steht
Wir Fachleute haben unsere Vorstellungen, unsere durch unser Wissen aber eigene Haltungen welche durch unsere eigenen persönllichen Erfahrungen geprägt sind. Unsere Lehrer gehörten noch zu einer Generation Ärzte, die der Meinung war, dass sie ihren Patienten sagen konnten, was für diese gut sei. Diese von Bevormundung („paternalismus“) geprägte Haltung war früher dominant. In der Zwischenzeit haben wir aber gelernt, dass wir mehr erreichen, wenn wir uns zunächst überlegen, wo denn der Patient mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen steht. Erst wenn wir die Position des Patienten verstehen können wir versuchen, ihm unsere Sicht zu erklären und Argumente liefern, weshalb wir vielleicht etwas anderes empfehlen, als das, was der Patient für sich als gut befindet. Denn zuerst muss es darum gehen, dass wir verstehen, mit welchen persönlichen Erfahrungen und Haltungen denn der Patient seine Erkrankung beurteilt. Erst so sind wir in der Lage zu verstehen, wie der Patient denn unsere – von medizinischen Wissen geprägten Erfahrungen – in seine eigene Beurteilung einfügen kann.
Patienten-orientierte Gesprächsführung
Die hier beschriebene moderne Haltung führt dazu, dass wir unsere Patienten sehr viel besser für eine Behandlung motiviren können, oder auch besser verstehen, wenn ein Patient den einen oder anderen Behanldungsvorschlag ablehnt. Der erste Schritt dazu erfolgt bereits bei der Erhebung der Anamnese. Eine Patienten-orientierte Gesprächstführung orientiert sich an dem, was der Patient selbst über seine Krankheit denkt und was er von dem, was wir ihm erzählen, verstanden und für sich als wahr beurteilt hat. Wenn uns das im Gespräch gelingt, so sind wir schon mal einen grossen Schritt weiter.
Patient entscheidet für sich
Denn am Ende wird jeder Patient nur diejenigen Behandlungen optimal durchführen, die er selbst auch als richtig einstuft. Erst wenn der Patient verstanden hat, welchen persönlichen Nutzen aus einer Massnahme er erwarten darf und er diesen Nutzen für sich als wichtig einstuft, wird er die Massnahme (z.B. eine regelmässige Medikamenteneinnahme) auch mit grosser Motivation durchführen. Das bedeutet nicht, dass der Patient seine Behandlung selber auswählen muss. Vielmehr bedeutet es, dass der Patient mit der Entscheidung eine gewisse Therapie durchzuführen, zufrieden ist.
Steh zu deiner Meinung!
Dies ist alles gut und recht. Doch der Artikel im BMJ möchte auch verhindern, dass wir zu weit gehen mit der „partnerschaftlichen“, neutralen Haltung. Mit dem Titel „Stop sitting on the fence“ will die Autorin sagen, dass es auch notwendig sei, dass wir selbst Stellung beziehen und nicht einfach eine „neutrale“ Haltung bezüglich Entscheidungen an den Tag legen sollten. Es ist für den Patienten viel einfacher, wenn er auch verstehen kann, was – und mit welcher Begründung – ihm sein ärztlicher Partner empfielt.