Diverticulitis – längst nicht jedermann profitiert von einer antibiotischen Therapie!

Patienten mit Divertikulitis erhalten reflexartig ein Antibiotikum. Ist diese Therapie immer gerechtfertigt? Vermutlich nicht, wie ein Schwedisches Chirurgenteam berichtet. Die Erkenntnis ist zwar nicht taufrisch (Br J Surg 2012), aber in einer Zeit mit zunehmender Resistenzbildung durch Antibiotikakonsum umso wichtiger.

Das Studiendesign
Untersucht wurde multizentrisch (10 Zentren in Schweden) und international (1 Zentrum in Island). Eingeschlossen wurden Patienten (Eintritt via Notfallstation) mit nicht komplizierter Diverticulitis, definiert im Sinne einer Klinik mit Abdominalschmerzen, Fieber und erhöhten Entzündungszeichen sowie einer Dokumentierung mittels Computertomographie mit fehlender Perforation / Abszedierung. Ausgeschlossen wurden komplizierte Divertikulititen, Patienten unter Immunosuppression inkl. Schwangere, laufende antibiotische Therapie und „high fever, affected general condition, peritonitis or sepsis“.

Die Patienten wurden randomisiert in eine Behandlung mit oder ohne Antibiotika. Als antibiotische Therapie wurde mindestens auf der Notfallstation gem. lokalen Gepflogenheiten intravenös ein Betalactam mit Wirkung gegen Gramnegative mit od. ohne Aktivität gegen Anaerobier (meist 2.- oder 3.-Generation Cephalosporin mit Metronidazol, Piperacillin-Tazobactam oder Carbapenem) verabreicht und dann ab der Verlegugng auf die Station gemäss Klinik und Entzündungszeichen oralisiert. Dauer der antibiotischen Therapie: mindestens 7 Tage. Der Follow up mit Frage nach Abdominalsymptomen oder Re-Hospitalisierung erfolgte nach mindestens 12 Monaten.

Über 600 Patienten eingeschlossen
Die errechnete „sample size“ von 600 Patienten unter Postulation einer Komplikationsrate von 1.5% bei Patienten unter antibiotischer Behandlung sowie einer maximalen Komplikationsrate von 6.5% ohne antibiotische Therapie (Power 80%, Alpha-Fehler 0.05) wurde erreicht. Von 669 randomisierten Patienten wurden nachträglich etwa hälftig aus beiden Gruppen 46 Patienten ausgeschlossen vorab bei fehlenden Einschlusskriterien oder Absage der Studienteilnahme, sodass 309 Patienten in der Gruppe ohne und 311 Patienten in der Gruppe mit antibiotischer Behandlung verblieben.

Sich verschlechternde Klinik: dann war Antibiotikum erlaubt
In der Gruppe ohne Antibiotika erhielten entgegen dem Protokoll in einer intention-to-treat-Analyse 10 Patienten aufgrund zunehmender Klinik und steigender Entzündungszeichen dennoch eine antibiotische Therapie, in der anderen Gruppe wurde die antibiotische Therapie wegen allergischer Nebenwirkungen vorzeitig sistiert. Der „lost to follow up“ betrug in beiden Gruppen etwa 7%.

Behandlungsgruppen vergleichbar
Die „baseline“-Charakteristika beider Gruppen fiel bis auf die Anamnese vermehrter stattgehabter Divertikulitiden in der Gruppe ohne Antibiotika nicht signifikant unterschiedlich aus (Durchschnittsalter 57 Jahre, BMI um 28, Co-Morboditäten im Sinne von kardiovaskulären, pulmonalen Erkrankungen, Niereninsuffizienz und Diabetes mellitus bei knapp 30%, durchschnittliche Körpertemperatur 38.1°C, CRP im Mittel 90-100mg/l).

Resultate eindrücklich
Es zeigte sich in der Gruppe ohne antibiotische Therapie eine Komplikationsrate (Abszessbildung, Perforation) von 1.9% versus 1% in der Gruppe unter antibiotischer Behandlung (p=0.3). Der chirurigsche Interventionsbedarf im Sinne einer Sigmaresektion betrug in der Gruppe ohne Antibiotika 1 von 6 (restliche Patienten: Gabe von Antibiotika und z.T. Einlage einer Drainage) und in der Gruppe mit Antibiotika 3 von 3. Eine Subgruppenanalyse bei „kränkeren“ Patienten gemäss höherer Entzündungsaktivität (ausgeprägte Abdominalschmerzen mit visuell analoger Skala VAS mind. 8/10, Körpertemp. >38.5°C, ausgeprägter Druckdolenz, CRP >150mg/l) erbrachte keinen signifikanten Unterschied betreffend Komplikationsrate oder Rezidiv einer Diverticulitis. Auch der Anteil von 10 Patienten aus der antibiotikafreien Gruppe, der im Verlauf bei streigender Entzündungsaktivität doch antibiotisch behandelt wurde, zeigte keine Komplikationen.

Kommentar
Die Frage nach Notwendigkeit einer antibiotischen Therapie bei Diverticulitis ohne (computertomographischen) Zeichen der Komplikation ist sicherlich sehr nützlich und die durchgeführte Analyse grundsätzlich gut angelegt und durchgeführt. Allerdings würde eine deutlich höhere Patientenzahl benötigt, um einen tatsächlichen Signifikanzunterschied zu erurieren bei (gem. dieser Studie) eher geringem Komplikationsunterschied (1.9 vs. 1%, postuliert war ein Unterschied von max. 6.5%), wobei sich dann gemäss zu errechnender „number needed to treat“ rasch die Frage nach der klinischen Relevanz stellen würde. Obwohl die Studie den Anspruch hatte, die Gesamtheit der auf der Notfallstation vorstellig gewordenen Diverticulitis-Fälle in die Analyse einfliessen zu lassen, gelang dies – gem. Autoren – aus logistischen Gründen (Notfallsituationen, viele involvierte Aerzte und Zentren) nicht. Zudem bestehen unterschiedliche Einschlussraten von Zentrum zu Zentrum. D.h. die getroffene Auswahl dürfte einem „selection bias“ unterliegen, dessen Bedeutung wir nicht einschätzen können, wie dies auch im Editorial vermerkt wird. Weitere Kritikpunkte sind die fehlende Angabe kürzlich zuvor installierter antibiotischer Therapie (ausgeschlossen wurden lediglich Patienten unter aktuell laufender Therapie) sowie den schwammigen Ausschlusskriterien „high fever, affected general condition, peritonitis and sepsis“. Vor allem letzteres Kriterium liegt ja formal gemäss gängiger Definition bei allen EIN-geschlossenen Patienten (SIRS + Fokus = Sepsis) vor und ist deshalb widersprüchlich. Danebst wird auch die Art und Dauer der eingesetzten antibiotischen Therapie nicht weiter differenziert, wobei wir zumindest gemäss der Studie von Sebastian Biondo et al. (Outpatient Versus Hospitalization Management for Uncomplicated Diverticulitis, A Prospective, Multicenter Randomized Clinical Trial (DIVER Trial)) vermuten können, dass bei nicht schwer kranken Patienten mit unkomplizierter Diverticulitis nach erster intravenöser Betalactamgabe eine orale antibiotische Therapie (inkl. Co-Amoxicillin) einer intravenösen Therapie vom outcome her ähnlich wirken dürfte (auch in jener Studie allerdings grosse Unbekannte mit „selection bias“ zum Zeitpunkt der Randomisierung und follow up von lediglich 60 Tagen).

Konklusion
Die Autoren plädieren für den Verzicht auf antibiotische Therapie bei unkomplizierter Diverticulitis, als Ratio geben sie eine mögliche abakterielle Aetiologie (Diverticulitis als Form einer chronisch rezidiv. Darmerkrankung?) an. Die Richtigkeit dieser These bleibt dahingestellt und die Resultate dieser Studie können aus oben erwähnten Mängeln nicht unbesehen auf unser Patientengut übertragen werden. Allerdings geht es im Falle einer bakteriellen Aetiologie bei der unkomplizierten Diverticulitis in erster Linie ohnehin vorderhand um eine Keimreduktion, und wir sind aus Gründen der zunehmenden Resistenzproblematik alle dazu angehalten, mit antibiotischen Resourcen sparsam umzugehen. Es scheint somit grundsätzlich sinnvoll, beim klinisch nicht schwer kranken und nicht schwer comorbidem Patienten den klinischen Verlauf unter engmaschiger Kontrolle abzuwarten und erst bei entsprechenden Warnsymptomen prompt diagnostisch und (inkl. antibiotisch) therapeutisch fortzuschreiten. Die Studie reiht sich in den Trend ein, eine allfällig bakteriell passager erhöhte Keimlast in einer anatomischen Umgebung, die mit bakterieller Kolonisation umzugehen weiss, bei geringgradiger Symptomatik nicht zu behandeln (in zumindest konzeptioneller Analogie: komplikationslose Cystitis der jungen Frau, die primär mit gutem Erfolg auch lediglich mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSER) behandelt werden kann und soll: Bleidorn J et al., BMC 2010).