HIV Medikamente müssen auch im Gehirn wirken
Seit Jahren wissen wir um die Probleme einer ungenügenden Wirksamkeit von einigen HIV-Medikamenten im zentralen Nervensystem. Eine kürzlich publizierte Studie aus Basel hilft, einige Beobachtungen besser einzustufen.
Bluthirn-Schranke: Gute Schutzwirkung
Die Natur hat für unser Gehirn eine besondere Schutzfunktion aufgebaut. Ein ausgefeiltes System verhindert, dass giftige Substanzen die langlebigen Gehirnzellen schädigen: die sog. "Blut-Hirn-Schranke". Doch diese "Schranke" ist nicht einfach eine Membran, die das Gehirn umhüllt und nichts reinlässt. Vielmehr ist es ein aktives System mit sog. "Efluxpumpen", das dabei eingesetzt wird. Efluxpumpen sind Eiweissstrukturen in der Zelloberfläche, welche gewissen Stoffe aktiv – also unter Einsatz von Energie – aus dem Gehirn schaffen.
Für eine erfolgreiche HIV-Therapie ist es jedoch nötig, dass die HIV-Medikamente auch die Zellen im Gehirn erreichen, denn auch dort gibt es Immunzellen, welche von HIV befallen werden und die auch das umliegende Gehirngewebe schädigen können.
Ob ein Medikament einen hohen Wirkspiegel im Gehirn erreicht, ist von vielen Faktoren abhängig. Je kleiner das Molekül, desto besser gelangt es (passiv) ins Gehirn. Aber auch die Löslichkeit in Wasser spielt eine Rolle und die Proteinbindung im Plasma kann auch den passiven Transfer in die Gehirnzelle behindern. Wir wissen, dass gerade die klein-molekularen Medikamente (Nukleosid-Analoga, Nevirapine) gut im Gehirn wirken. Es sind die grösseren Substanzen, wie z.B. die Protease-Hemmer, welche sehr aktiv von solchen Effluxpumpsystemen ausgeschafft werden, was deren Wirkspiegel reduziert.
Interessante Wechselwirkungen entdeckt
Das Team aus Basel hat nun eine wichtige Entdeckung gemacht: offenbar unterscheiden sich verschiedene Medikamente (z.B. Proteasehemmer) in ihrer Bindungsaktivität für die Effluxpumpen. Nun können Medikamente, welche eine sehr hohe Bindungsstärke zur Effluxpumpe aufweisen, diese Effluxpumpe behindern. Damit verhindern sie das Ausschaffen von anderen Medikamenten. Mit diesem Mechanismus erklärt man sich insbesondere die Wirkung von Kombinationstherapien mit Ritonavir. Diese, lediglich als "booster" eingesetzte Substanz ist wichtig für die Wirksamkeit von Protease-Hemmern und anderen Substanzen, deren Wirksamkeit durch die Effluxpumpe behindert würde.
Konsequenzen nicht nur für HIV-Therapie
Wir müssen diese Erkenntnisse sicher für die Therapie von HIV-Medikamenten berücksichtigen: Oft setzen wir jetzt Medikamente ein, die ohne den Booster Ritonavir auskomen. Aufgrund der Arbeit von Marzolini et al. müssen wir damit rechnen, dass sich damit auch die Wirksamkeit einzelner Substanzen im Gehirn ändern wird. Und wenn wir in Zukunft vermehrt (mit bisher guten Erfahrungen) Ritonavir-boosted Darunavir verwenden, so wird es entscheidend sein nachzuweisen, dass ein allfälliger Wechsel auf die neue "boosting-Substanz" Cobicistat ebenfalls noch mit derselben Wechselwirkung im Gehirn funktionieren wird.
Und weiter könnte diese Beobachtung auch für die Krebstherapie eine wichtige Bedeutung haben: Denn auch bei vielen Tumoren im Gehirn ist es schwierig, ausreichende Wirkspiegel im Gehirn zu erreichen. Da könnte der Einsatz von Ritonavir eventuell eine neue Bedeutung erhalten.
Quelle: Marzolini et al, Mol Pharm, 2013